Belgien

(Stolper-)Steine des Anstoßes

Disput in Antwerpen: Ausgerechnet anlässlich der jährlichen Gedenkfeier für die Opfer der Schoa am 9. Mai kam ein altes Reizthema wieder auf die Agenda. In Abstimmung mit dem lokalen Forum der Joodse Organisaties (FJO) spricht sich die Stadtregierung gegen Stolpersteine zum Gedenken an ihre deportierten jüdischen Bewohner aus.

Dagegen wehren sich jüdische Vereinigungen in Brüssel: die Association pour la Mémoire de la Shoa (AMS), die 2007 mit Stolperstein-Initiativen in der Hauptstadt begann, sowie die Agence Diasporique d’Information (ADI). Beide wollen, dass auch in Antwerpen Gedenksteine vor den ehemaligen Häusern von Holocaust-Opfern verlegt werden.

Laut FJO widersprechen Steine, die täglich von Passanten mit Füßen getreten und womöglich Ziel von Hundekot und Vandalismus werden, der jüdischen Auffassung eines ehrenhaften Andenkens an die Toten. André Gantman, Anwalt und Lokalpolitiker der flämisch-nationalistischen Separatistenpartei N-VA, unterstützt diese Position: »Keine Sekunde lang« könne er sich vorstellen, dass ein solcher Stein vor dem Haus seines deportierten Großvaters verlegt werde, so Gantman, der als Redner bei der Gedenkfeier auftrat.

Kosten Die Konstellation ist ebenso wenig neu wie das Thema: Schon 2012 hatte sich die damalige Antwerpener Stadtregierung gegen Stolpersteine entschieden. Damals war der Sozialdemokrat Patrick Janssens Bürgermeister, heute ist es der Chef der flämischen Nationalisten, Bart De Wever. AMS und ADI plädierten für die Steine, das Forum hatte die gleichen Gegenargumente wie heute. Auch die Tatsache, dass die Familien der Deportierten die Kosten für die Stolpersteine selbst tragen müssen, spielte damals eine Rolle. Zudem würden Schoa-Opfer ohne Hinterbliebene benachteiligt.

Bei der jüngsten Neuauflage des Streits sahen Aktivisten von AMS und ADI in letzter Minute von ihrem geplanten »stillen Protest« ab, während der Feier am Denkmal für die deportierten Juden der Stadt Stolpersteine in den Händen zu tragen. Stattdessen kamen sie vor dem Stadthaus zusammen und schlugen damit die Einladung des Forum-Vorsitzenden Raphael Werner aus, doch bitte »ohne Steine« am Gedenken teilzunehmen.

»Ich bin für jede Initiative, die an die Opfer der Schoa erinnert. Aber eine Gedenkplakette an Häusern wäre vielleicht wirklich besser«, findet der Antwerpener Rabbiner Aaron Malinsky. Allerdings gibt er zu bedenken: »Bei der Abwehr der Stolpersteine geht es zwar vordergründig um Vandalismus. Doch dahinter steckt der Streit der belgischen Sprachgruppen.«

Das FJO, das flämisch-jüdische Organisationen vertritt, steht dabei dem landesweiten Comité de Coordination des Organisations Juives de Belgique (CCOJB) entgegen. »Das Forum ist konservativer, das Comité eher progressiv-links«, erklärt Malinsky. Seine Analyse ist beklemmend: »In Krisenzeiten treten bei den Gemeinschaften die eigenen Nöte stärker hervor, und die Einheit verwässert.« Dabei gebe es so viele wichtigere Dinge zu klären: die Sicherheit zum Beispiel oder die Vermittlung des Holocaust an Schulen.

Frankophon Für Viviane Teitelbaum sind die jüdischen Vertretungen ein »Spiegel der politischen Situation« in Belgien. Auch dort seien die Frankophonen eher aufs ganze Land bedacht, flämische Akteure hingegen vor allem auf die Regionen.

Teitelbaum ist Expertin für solcherlei Feinheiten. Aufgewachsen in Antwerpen, studierte sie in Brüssel und sitzt seit Jahren für die liberale Partei Mouvement Réformateur (MR) im Parlament der Hauptstadtregion. Wie im gesamten Land wachse auch die Distanz zwischen den Juden der beiden Metropolen. »Antwerpen war immer konservativer, aber die Unterschiede nehmen zu. Heute ist die Stadt orthodoxer als in meiner Jugend. In Brüssel ist die orthodoxe Gemeinschaft dagegen kleiner geworden.«

Die Politikerin hält die Dimension des Disputs für überzogen: »In Deutschland hat man doch auch verschiedene Ansichten zu Stolpersteinen!« Persönlich hält sie sie für ein »schönes Projekt«. Aber sie versteht, »dass man dazu verschiedene Ansichten haben kann«. Ihr Fazit: »Persönliches Gedenken sollte kein politisches Statement sein.« Die jüngsten Ereignisse zeigen, dass die Realität sich von diesem Anspruch immer weiter entfernt.

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