#Grexit

Stichtag Sonntag

Als noch Hoffnung bestand: Griechenlands Ministerpräsident Alexis Tsipras trifft am 26. Juni auf dem EU-Gipfel in Brüssel ein. Foto: dpa

#Grexit

Stichtag Sonntag

Rechte Parteien machen gegen die Regierung mobil – Juden sind besorgt

von Marianthi Milona  29.06.2015 18:09 Uhr

Viele Menschen in Griechenland fragen sich dieser Tage, warum die Verhandlungen zwischen ihrer Regierung und den Brüsseler Partnern vergangene Woche gescheitert sind. Die Schuld daran sehen sie nicht allein auf griechischer Seite. Nun herrscht große Unsicherheit bei den Bürgern zwischen Thessaloniki und Athen. Niemand kann auch nur annähernd vorhersagen, wie das Ergebnis des Referendums am Sonntag ausfallen wird.

»Wir Juden in Griechenland haben dieselben Schwierigkeiten zu meistern wie alle anderen Bürger auch«, betont Moses Constantinis, Präsident des Zentralrats der Juden in Griechenland, wohl wissend, dass sich das Land auf einem schwierigen Pfad bewegt. Deshalb sei das Gebot der Stunde: Ruhe und Umsicht zu bewahren, damit Unruhe und Instabilität in ganz Europa vermieden werden, so Constantinis. »Die griechischen Juden erwarten aber auch Solidarität von Europa.« Man könne und dürfe Griechenland in dieser schweren Stunde nicht allein lassen.

Viele meinen, es sei falsch, Griechenland so radikal abzuurteilen, wie die deutschen Medien es derzeit tun. Gern kontert man entsprechend scharf zurück: »Griechenland wird niemals ein zweites Deutschland werden – und Gott sei Dank, dass das so ist.« Diese Worte hört man in diesen Tagen häufig auch von Mitgliedern der jüdischen Gemeinden.

Die Entscheidung, wie man beim Referendum abstimmen soll, macht das jedoch nicht leichter. Jetzt geht es nicht allein um das Verhältnis zwischen Griechenland und Deutschland, sondern auch um die Zukunft des eigenen Landes.

Hetzkampagne Seit Tagen führt die Opposition eine Hetzkampagne gegen die Regierung. Rechte Politiker treten in den Talkshows des Abendprogramms auf. Ausgerechnet jene, die dem rechtsradikalen Flügel der Nea Dimokratia angehören und vor einigen Jahren ihre Karriere in rechtspopulistischen oder gar rechtsextremen Parteien begonnen hatten, wittern nun erneut ihre Stunde und schimpfen unermüdlich auf die Regierung von Ministerpräsident Alexis Tsipras. Sie entwerfen Horrorszenarien und finden Worte, in denen sich die Ängste der griechischen Bevölkerung widerspiegeln. So heißt es immer wieder: »Wenn sich Tsipras nicht mit Brüssel einigt, ist es aus mit dem Euro. Die Banken bleiben geschlossen. Wir werden kein Benzin mehr haben, und die Supermarktregale sind dann leer.«

Griechenlands Juden fühlen sich von solchen Beschreibungen bedrängt. Denn oft ist die Frage nach den Schuldigen nicht weit, und so manchem Rechtsextremen liegt die Antwort bereits auf der Zunge. Juden kennen diese Mechanismen, denn seit Jahrtausenden werden sie zu Sündenböcken gemacht.
»Die drastischen Sparmaßnahmen können nicht mehr hingenommen werden, und die Rigorosität der Verhandlungen in Brüssel ist nicht zu billigen«, sagen Mitglieder der jüdischen Gemeinde in Athen.

Vor allem, nachdem Ministerpräsident Alexis Tsipras am Montag in einem Fernsehinterview zu verstehen gegeben hat, dass er nicht ein »Ministerpräsident für alle Zeiten« sei, hat er viel Vertrauen zurückgewonnen. Die griechische Regierung habe sich gut geschlagen, Charakter bewiesen und wolle sich nicht den Forderungen Europas beugen, hört man immer wieder, auch von Juden.

Lauer Moses Elisaf, der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde von Ioannina, sagt, für das Scheitern der Brüsseler Verhandlungen sei auch die griechische Regierung verantwortlich. Mit der Schließung der Banken habe sie das Land in eine prekäre Lage gebracht. »Die Zukunft Griechenlands ist keineswegs rosig, denn es gibt keine würdigen Institutionen«, klagt Elisaf. Er meint damit das Parlament und die Parteien, die Justiz und die griechisch-orthodoxe Kirche. Seine große Befürchtung: Durch einen Fall der linken Syriza-Regierung könnten die Rechtsextremen die Oberhand gewinnen. »Sie sitzen schon auf der Lauer.«

Die meisten Griechen sind nicht darüber schockiert, dass sie am Sonntag in einem Referendum abstimmen sollen. Was sie jedoch entsetzt, ist die Geschwindigkeit, mit der alles entschieden wurde. Es gab keine Anzeichen dafür. Bis zuletzt hatte man fest daran geglaubt, dass es vor dem 30. Juni noch zu einer Einigung mit den Europartnern kommen würde.

Wie bei allen Griechen herrschen auch unter den Mitgliedern der jüdischen Gemeinde Angst und Unsicherheit. Doch Premier Tsipras hält dies für einen schlechten Ratgeber: »Die größte Angst, die wir in dieser schweren Stunde zu überwinden haben, ist die Angst selbst«, beteuert er seit Tagen immer wieder. »Griechenland weiß nicht, was morgen kommt. Es weiß nur, dass es sich gestern noch in einer Sackgasse befand«, sagt eine junge Jüdin in Thessaloniki.

Vielleicht wäre Rückbesinnung ratsam, meint sie. »Oder man müsste sich dem Optimismus der meisten Jungen in Griechenland anvertrauen.« Die junge Frau klappt ihren Computer auf und klickt auf Facebook. »Nach der Stimmung zu urteilen, die einem hier entgegenschlägt, wird das Referendum am Sonntag eindeutig mit Nein entschieden«, sagt sie und fügt hinzu: Griechenland sei eben nicht Deutschland. »Den Göttern sei Dank.«

Dänemark

Männer sollen 760.000 Euro für die Hamas gesammelt haben

Am Dienstagmorgen nahm die Polizei einen 28-Jährigen fest. Sein mutmaßlicher Komplize sitzt bereits in U-Haft

 05.12.2025

Antisemitismus

Litauen: Chef von Regierungspartei wegen Antisemitismus verurteilt

In Litauen ist der Chef einer Regierungspartei mehrfach durch antisemitische Aussagen aufgefallen. Dafür musste er sich vor Gericht verantworten. Nun haben die Richter ihr Urteil gefällt

 04.12.2025

Ukraine

Alles eine Frage der Herkunft

Wie ein Korruptionsskandal den antisemitischen Narrativen in Russland Vorschub leistet

von Alex Friedman  04.12.2025

Berlin

Prozess um Attentat am Holocaust-Mahnmal fortgesetzt

Das überlebende Opfer, der 31-jährige spanische Tourist Iker M., wollte am Mittwoch persönlich vor dem Kammergericht aussagen

 03.12.2025

Sydney

Jüdische Organisationen prangern »Geißel« Antisemitismus an

Im Fokus steht dieses Mal Australien. Es ist Gastgeber einer Konferenz der internationalen jüdischen Initiative »J7«. Sie stellt Zahlen zu Judenhass auf dem Kontinent vor - und spricht von historischen Höchstständen

von Leticia Witte  02.12.2025

New York

Das sind die Rabbiner in Mamdanis Team

Im Gegensatz zu seinem Vorgänger hat Mamdani keinen Ortodoxen in seine Übergangsausschüsse berufen – eine Lücke, die bereits im Wahlkampf sichtbar wurde

 02.12.2025

Italien

Francesca Albanese und ihre »Mahnung« an die Presse

In Turin wurden die Redaktionsräume von »La Stampa« von Demonstranten verwüstet. Die Reaktion der UN-Sonderbeauftragten für die Palästinensergebiete verstörte viele

von Michael Thaidigsmann  02.12.2025

Jüdisches Leben im Libanon

Noch immer hat Beirut eine Synagoge, aber die Gläubigen nehmen ab

Einst war Libanon ihr Zufluchtsort, dann kam der Bürgerkrieg, und viele gingen. Doch nach wie vor gehören Juden zu den 18 anerkannten Religionsgruppen im Libanon - auch wenn nur noch wenige im Land leben

von Andrea Krogmann  02.12.2025

Bereit fürs ICZ-Präsidium: Noëmi van Gelder, Arthur Braunschweig und Edi Rosenstein (v.l.n.r.)

Interview

»Meinungsvielfalt gilt es auszuhalten« 

Am 8. Dezember wählt die Gemeindeversammlung der Israelitischen Cultusgemeinde Zürich ein neues Präsidium. Ein Gespräch mit den Kandidaten über Herausforderungen an die Gemeinde, Grabenkämpfe und Visionen

von Nicole Dreyfus  01.12.2025