Italien

Wie eine Schule in Rom jüdische Jungen vor den Nazis versteckte

Amerikanische Soldaten werden gefeiert. Rom, nach der Befreiung, am 4. Juni 1944 Foto: picture alliance / Mary Evans Picture Library

Italien

Wie eine Schule in Rom jüdische Jungen vor den Nazis versteckte

In der ganzen Stadt öffneten Menschen ihre Türen und versteckten Juden

von Anita Hirschbeck  05.02.2024 18:20 Uhr

Vor 80 Jahren retteten ihm die »Brüder« an diesem Ort das Leben. Jetzt sitzt Fausto Zabban auf der Bühne des Schultheaters im Collegio San Giuseppe in Rom und erzählt den Schülerinnen und Schülern seine Geschichte.

Als die Nazis die italienische Hauptstadt besetzten, tauchte seine jüdische Familie unter, berichtet er. Der Vater versteckte sich an seinem Arbeitsplatz, die Mutter wurde in einem Privathaushalt als angeblich christliches Hausmädchen aufgenommen. Die beiden Söhne jedoch kamen ins Collegio zu den »Brüdern«. »Dank ihnen konnten wir beide …«, setzt Zabban an, dann versagt ihm die Stimme. Die Mädchen und Jungen im Publikum klatschen.

Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs lebten in Rom Schätzungen zufolge 10.000 bis 15.000 Juden. Nachdem Italiens Regierung einen Waffenstillstand mit den Alliierten geschlossen hatte, besetzten die Deutschen im September 1943 die Hauptstadt. Sie verhafteten, deportierten und ermordeten etwa 2000 Menschen.

Liste entdeckt

Etlichen gelang es jedoch, sich zu verstecken, bis die Alliierten im Juni 1944 die Stadt befreiten. Über ganz Rom verstreut öffneten Privatpersonen, Arbeitgeber und vor allem katholische Einrichtungen ihre Türen und ließen Juden und politisch Verfolgte untertauchen.

Vergangenen September wurde im Archiv des Päpstlichen Bibelinstituts eine verschollen geglaubte Liste entdeckt. Sie zeigt, dass mehr als 4.300 Personen in kirchlichen Häusern Schutz vor dem Zugriff der Nazis fanden.
Darunter war auch das Collegio San Giuseppe, eine katholische Schule ganz in der Nähe der Spanischen Treppe. 1850 gegründet, übertrug Papst Leo XIII. die Leitung des Instituts im Jahr 1900 an die Kongregation der Brüder der Christlichen Schulen, kurz Lasallianer.

Die »Brüder«, wie sie allgemein gerufen werden, versteckten während der deutschen Besatzung etwa 40 Menschen in ihrem Internat - vor allem Jungen, die sich als katholische Schüler ausgaben. Unter den Geretteten waren aber auch ein paar Erwachsene, vorgebliches Schulpersonal.

Neue Namen

Zabban erinnert sich an seinen ersten Tag im Collegio. 14 Jahre war er damals alt, sein Bruder acht. Ihr erster Weg führte sie zu Schulleiter Sigismondo Ugo Barbaro. Der ermahnte die Jungen, ihr Name sei ab sofort nicht mehr Zabban, sondern »Zambani« - was italienischer klingt. Auch neue Vornamen bekamen sie und sie sollten erzählen, dass sie aus Apulien stammten und erst seit Kurzem in Rom seien.

Barbaro ging mit seinem Engagement ein hohes Risiko ein. Wären die Nazis ihm oder einem der wenigen Eingeweihten auf die Schliche gekommen, hätte das eine harte Strafe, vielleicht sogar den Tod, bedeutet. Heute würdigt in der Schule eine Gedenkplakette im Eingangsbereich den Einsatz.

Zudem erinnert das Collegio jedes Jahr rund um den Holocaust-Gedenktag am 27. Januar an die eigene Geschichte. Dann richtet für gewöhnlich auch Fausto Zabban ein paar Worte an die Mädchen und Jungen der Gymnasialstufe. Das fällt dem kleinen Mann mit den grauen Haaren und dem freundlichen Gesicht auch mit mittlerweile 94 Jahren nicht immer leicht. Mehrfach muss er seinen Vortrag für einige Augenblicke unterbrechen.

Mechanismen erkennen

Als Hauptredner der diesjährigen Veranstaltung ist Mario Venezia, Stiftungspräsident des Schoah-Museums in Rom, an die Schule gekommen. Der Holocaust sei eine von Menschen gemachte Tragödie, sagt der Sohn eines KZ-Überlebenden. Sie müsse sich nicht unbedingt eins zu eins wiederholen. »Aber es ist wichtig, bestimmte Mechanismen zu erkennen, damit so etwas nicht noch einmal passiert.«

Die Gedenktage am Collegio verpasse er nie, erzählt Zabban der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Im Internat sei es ihm gut gegangen. Nur seine Eltern habe er in den Monaten der Nazi-Besatzung nicht sehen können. Einmal sei er ihnen zufällig in einem Park begegnet, als seine Klasse einen Spaziergang unternommen habe.

Vater und Mutter hätten auf einer Bank gesessen. »Ich habe den Lehrer um Erlaubnis gebeten und dann bin ich zu ihnen gegangen und habe sie begrüßt«, erzählt der 94-Jährige. »Natürlich ohne zu sagen, dass sie meine Eltern sind.«

Dank des Einsatzes der Menschen, die sie versteckten, überlebten die Mutter, der Vater und die beiden Söhne den Zweiten Weltkrieg. Bis heute fühle er sich dem Collegio sehr verbunden, sagt Fausto Zabban. »Sie haben mir im Grunde die Haut gerettet.«

Kommentar

Müssen immer erst Juden sterben?

Der Anschlag von Sydney sollte auch für Deutschland ein Weckruf sein. Wer weiter zulässt, dass auf Straßen und Plätzen zur globalen Intifada aufgerufen wird, sollte sich nicht wundern, wenn der Terror auch zu uns kommt

von Michael Thaidigsmann  14.12.2025

Meinung

Blut statt Licht

Das Abwarten, Abwiegeln, das Aber, mit dem die westlichen Gesellschaften auf den rasenden Antisemitismus reagieren, machen das nächste Massaker nur zu einer Frage der Zeit. Nun war es also wieder so weit

von Sophie Albers Ben Chamo  14.12.2025 Aktualisiert

Anschlag in Sydney

Felix Klein: »Von Terror und Hass nicht einschüchtern lassen«

Zwei Männer töten und verletzen in Sydney zahlreiche Teilnehmer einer Chanukka-Feier. Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung äußert sich zu der Tat

 14.12.2025

Terror in Sydney

Zivilist entwaffnet Angreifer und wird als »Held« gefeiert

Zwei Männer schießen auf Teilnehmer einer Chanukka-Feier in Sydney: Es gibt Tote und Verletzte. Ein Video soll nun den mutigen Einsatz eines Passanten zeigen

 14.12.2025

Australien

Merz: »Angriff auf unsere gemeinsamen Werte«

Bei einem Anschlag auf eine Chanukka-Feier in der australischen Metropole gab es viele Tote und Verletzte. Der Bundeskanzler und die Minister Wadephul und Prien äußern sich zu der Tat

 14.12.2025 Aktualisiert

Terror in Sydney

Zentralrat der Juden: »In Gedanken bei den Betroffenen«

Der Zentralrat der Juden und weitere jüdische Organisationen aus Deutschland äußern sich zu dem Anschlag auf eine Chanukka-Feier im australischen Sydney

 14.12.2025 Aktualisiert

Australien

16 Tote bei antisemitischem Massaker in Sydney

Australien ist im Schockzustand: Zwei Attentäter schossen am Sonntag auf Juden, die sich in Bondi Beach zu einer Chanukka-Feier versammelt hatten

von Michael Thaidigsmann  14.12.2025 Aktualisiert

Australien

Judenfeindlicher Terroranschlag in Sydney: Zwei Personen in Polizeigewahrsam

Die Polizei ruft nach dem Angriff in Sydney dazu auf, das Gebiet des Angriffs weiter zu meiden. Der Einsatz dauere an

 14.12.2025

Terror

Medienberichte: Terroranschlag in Australien bei Chanukka-Feier

Die Polizei warnt vor einem »sich entwickelnden Vorfall« am Bondi Beach. Ersten Berichten zufolge soll das Ziel ein Chanukka-Fest gewesen sein. Australische Medien berichten von mehreren Opfern

von Denise Sternberg  14.12.2025 Aktualisiert