Österreich

Sefarden an der Donau

Im Zentrum steht ein 60 Quadratmeter großer Tisch. Auf ihm hat Kuratorin Felicitas Heimann-Jelinek vieles angerichtet, was heute noch an die Sefarden erinnert, die sich in Wien ab der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts ansiedelten. Hier finden sich Gebetbücher der »türkisch-israelitisch« genannten sefardischen Gemeinde Wien ebenso wie eine Heiratsurkunde, Verträge, ein Werbeplakat oder eine propagandistische Schale, die die vier Bündnispartner des Ersten Weltkriegs zeigt: Kaiser Wilhelm II., Kaiser Franz Joseph I., Sultan Mehmet Resad und König Ferdinand I.

»Die Türken in Wien. Geschichte einer jüdischen Gemeinde« nennt sich eine Ausstellung, die bis zum 31. Oktober im Wiener Jüdischen Museum zu sehen ist. Sie zeichnet den langen Weg jener 1492 aus Spanien vertriebenen Juden nach, die schließlich in Wien die sefardische Gemeinde bildeten. Die Reise wird durch türkise Kacheln am Boden markiert und führt den Besucher zum nachtblauen Horizont an den Wänden der Ausstellungsräume. Hier wird die sefardische Diaspora nachgezeichnet.

exil Mehr als 100.000 spanische Juden machten sich 1492 aufgrund der bis dahin noch nicht erlebten ethnischen Säuberung in Spanien auf den Weg ins Exil. Manche gingen zunächst nach Portugal, doch von dort wurden sie 1497 ebenfalls ausgewiesen. Viele flüchteten nach Übersee in die neuen Kolonien, andere in die Länder der Levante, wieder andere in die Nordseehäfen Antwerpen und Amsterdam sowie nach Hamburg oder Italien. Der Hauptstrom der Flüchtlinge fand allerdings im Osmanischen Reich eine neue Heimat.

Der als Marrane in Lissabon geborene Chronist Samuel Usque (um 1500–1555) schrieb: »Das große Türkenreich, grenzenlos wie die es umspülenden Meere, tat sich weit vor uns auf. Offen stehen vor dir, du Sohn meines Volkes, die Tore der Freiheit: Du darfst dich ohne Scham zu deinem Glauben bekennen, du kannst ein neues Leben beginnen.«

Doch auch der Balkan wurde jüdisch besiedelt. In Saloniki entstand eine große sefardische, ladinosprachige Gemeinde. Und mit den osmanischen Eroberungen gelangten türkische Juden nach Bulgarien, Belgrad, Budapest und Bosnien. Wien war ab der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts beliebtes Ziel. Als türkische Staatsbürger genossen die zugewanderten Juden das Recht auf Freizügigkeit und freie Religionsausübung. 1735 wurde die sefardische Gemeinde gegründet, die im 19. Jahrhundert 5.000 bis 6.000 Mitglieder zählte.

entrechtung In den 1920er-Jahren wanderten allerdings aufgrund der wirtschaftlich schlechten Situation viele Sefarden ab, und die Gemeinde wurde in die Israelitische Kultusgemeinde (IKG) eingegliedert. 1938 lebten noch an die 1.000 Sefarden in Wien. Die türkische Staatsbürgerschaft schützte sie jedoch weder vor Enteignung noch vor der Deportation durch die Nationalsozialisten.

Anfangs- und Schlusspunkt der Ausstellung bildet ein Holzstich, der das Innere des von 1885 bis 1887 erbauten sefardischen Tempels in der Zirkusgasse zeigt. Hört der Besucher zu Beginn eine in der Zeit verfasste Lobeshymne auf den von Hugo von Wiedenfeld entworfenen Bau, wird am Ende der Ausstellung aus einem Akt der Baupolizei aus dem Jahr 1955 zitiert. Darin wird die IKG als Eigentümerin des Grundstücks aufgefordert, »Schutt und Mist beseitigen« sowie das Areal »einfrieden« zu lassen. Angeprangert wird in dem Schreiben die »Verunstaltung des örtlichen Stadtbildes«. Erst 1988 stiftete die Stadt Wien eine Gedenktafel zur Erinnerung an die während des Novemberpogroms zerstörte Synagoge.

Die Ausstellung »Türken in Wien. Geschichte einer jüdischen Gemeinde« ist noch bis 31. Oktober im Jüdischen Museum Wien, Palais Eskeles, Dorotheergasse 11, zu sehen. Öffnungszeiten: Täglich außer samstags 10 bis 18 Uhr. Telefon 0043-1-535 04 31, www.jmw.at

Großbritannien

Frauen haben Besseres verdient

Die Journalistin Marina Gerner beklagt in ihrem Buch fehlende Innovationen im Bereich Frauengesundheit – und eckt nicht nur mit dem Titel an

von Amie Liebowitz  28.11.2025

Kultur

André Heller fühlte sich jahrzehntelang fremd

Der Wiener André Heller ist bekannt für Projekte wie »Flic Flac«, »Begnadete Körper« und poetische Feuerwerke. Auch als Sänger feierte er Erfolge, trotzdem konnte er sich selbst lange nicht leiden

von Barbara Just  28.11.2025

Fernsehen

Abschied von »Alfons«

Orange Trainingsjacke, Püschelmikro und Deutsch mit französischem Akzent: Der Kabarettist Alfons hat am 16. Dezember seine letzte Sendung beim Saarländischen Rundfunk

 28.11.2025 Aktualisiert

Niederlande

Demonstranten stören Vorlesung in Gedenken an Nazi-Gegner

An der Universität Leiden erzwangen antiisraelische Studenten die Verlegung einer Gedächtnisvorlesung zum Andenken an einen Professor, der während der Nazi-Zeit gegen die Judenverfolgung protestiert hatte

von Michael Thaidigsmann  28.11.2025

Großbritannien

Verdächtiger nach Anschlag auf Synagoge in Manchester festgenommen

Der Angriff auf die Synagoge am Vorabend des höchsten jüdischen Feiertags Jom Kippur sorgte international für Bestürzung. Jetzt wurde ein weiterer Tatverdächtiger festgenommen

von Burkhard Jürgens  27.11.2025

Bereit fürs ICZ-Präsidium: Noëmi van Gelder, Arthur Braunschweig und Edi Rosenstein (v.l.n.r.)

Interview

»Meinungsvielfalt gilt es auszuhalten« 

Am 8. Dezember wählt die Gemeindeversammlung der Israelitischen Cultusgemeinde Zürich ein neues Präsidium. Ein Gespräch mit den Kandidaten über Herausforderungen an die Gemeinde, Grabenkämpfe und Visionen

von Nicole Dreyfus  27.11.2025

Schweiz

Antisemitismus auch in der queeren Szene benennen

Viele Jüdinnen und Juden fühlen sich teils unsicher, wenn in der queeren Szene über Israel gesprochen wird. Der Verein Keschet will das ändern

von Nicole Dreyfus  27.11.2025

Das Ausmalbuch "From the river to the sea" in einer Buchhandlung in Zürich.

Meinung

Mit Kufiya und Waffen

Ein Kinderbuch mit Folgen

von Zsolt Balkanyi-Guery  27.11.2025

USA

Personifizierter Hass

Menschen wie Nick Fuentes waren lange ein Nischenphänomen. Nun drängen sie in den Mainstream - und sind gefährlicher denn je

von Sophie Albers Ben Chamo  26.11.2025