Belgien

Schuldig in allen Punkten

Bei der Urteilsverkündung im Brüsseler Justizpalast: Mehdi Nemmouche (2.v.l.) und sein Komplize Nacer Bendrer (r.) Foto: www.imago-images.de

Im Prozess um das Attentat im Jüdischen Museum Belgiens vor knapp fünf Jahren hat ein Brüsseler Schwurgericht die Urteile gegen die beiden Angeklagten gefällt. Der französische Is­la­mist Mehdi Nemmouche (33) wurde we­gen vierfachen Mordes mit terroristischem Hintergrund zu lebenslanger Haft verurteilt. Sein Komplize Nacer Bendrer (30) erhielt eine Gefängnisstrafe von 15 Jahren.

Die zwölf Geschworenen befanden Nemmouche für schuldig, am 24. Mai 2014 im Eingangsbereich des Jüdischen Museums in weniger als 90 Sekunden kaltblütig das israelische Ehepaar Emmanuel und Miriam Riva sowie die Museumsmitarbeiter Dominique Sabrier und Alexandre Strens erschossen zu haben.

Für das Gericht sind die beiden Waffen, die Nemmouche bei seiner Verhaftung 2014 in Marseille bei sich trug, eindeutig die Tatwaffen.

Für das Gericht sind die beiden Waffen, ein Kalaschnikow-Sturmgewehr und ein Revolver vom Typ »Llama«, die Nemmouche bei seiner Verhaftung am 30. Mai 2014 in Marseille bei sich trug, eindeutig die Tatwaffen. Im Innern der Kalaschnikow fand ein Forensiker DNA-Spuren des Angeklagten, die darauf hindeuteten, dass der Täter das Gewehr gereinigt hatte.

Außerdem sei die blaue Jacke des Angeklagten identisch mit jener des Attentäters auf den Videoaufnahmen, und ein Fußabdruck, der am Museum gefunden wurde, stamme von Nemmouches Schuhen einer Marke, von der in ganz Belgien zuvor lediglich zwei Paar verkauft wurden.

Auch Fotoapparat und Notebook des Hauptangeklagten lieferten belastende Hinweise. So hatte Nemmouche vor seiner Tat Informationen zu Mohammed Merah gegoogelt, jenem Dschihadisten, der 2012 ein ähnliches Attentat auf eine jüdische Schule im südfranzösischen Toulouse verübt hatte.

Urteil Mit ihrem Schuldspruch folgten die Geschworenen auf ganzer Linie der Anklage. Das Gericht verwarf ausdrücklich die von der Verteidigung vorgebrachte These, Nemmouche sei Opfer eines Komplotts. Hierfür gebe es »überhaupt keine stichhaltigen Anhaltspunkte«, erklärte die Vorsitzende Richterin Laurence Massart bei der Urteilsverkündung.

Nacer Bendrer wurde als Mittäter für schuldig befunden. Er hatte dem Schützen Tatwaffen und Munition besorgt. Das Schwurgericht sah es als erwiesen an, dass Bendrer für Planung und Durchführung des Attentats »unerlässlich« gewesen war.

Eine Berufung ist nach belgischem Recht nicht möglich. Lediglich bei gravierenden Verfahrensfehlern könnte das Urteil des Schwurgerichts vom Kassationsgericht aufgehoben werden.

Richterin Massart hob bei der Urteilsverkündung im Brüsseler Justizpalast den terroristischen Hintergrund der Tat hervor.

Richterin Massart hob bei der Urteilsverkündung im Brüsseler Justizpalast den terroristischen Hintergrund der Tat hervor. Das Attentat habe eindeutig der jüdischen Gemeinschaft gegolten und sei auch ein »schwerer Anschlag auf den belgischen Staat« gewesen, in dessen Folge sich die Sicherheitslage im Königreich drastisch verschlechtert habe.

Das Gericht sah es als erwiesen an, dass sich der in Nordfrankreich aufgewachsene Nemmouche als IS-Kämpfer in Syrien aufgehalten und von dort in Videobotschaften angekündigt hatte, »Brüssel in Brand zu stecken«.

Der Anschlag auf das Jüdische Museum war das erste Attentat eines dschihadistischen Kämpfers in Europa – dem bald weitere folgten (darunter am Brüsseler Flughafen und auf eine U-Bahn-Station im Europaviertel der Stadt 2016). Und es war das erste Mal, dass ein IS-Rückkehrer auf europäischem Boden zuschlug.

Medien Nicht nur innerhalb der jüdischen Gemeinde Belgiens, sondern auch in den Medien des Landes wurde der Prozess mit großer Aufmerksamkeit verfolgt, und Presse und Fernsehen berichteten in den vergangenen zwei Monaten fast täglich darüber.

Der belgische jüdische Gemeindebund, der in dem Verfahren als Nebenkläger aufgetreten war, begrüßte das Urteil.

Der belgische jüdische Gemeindebund CCOJB, der in dem Verfahren als Nebenkläger aufgetreten war, begrüßte das Urteil der zwölf Geschworenen. »Die jüdische Gemeinschaft als Ganzes hat durch diesen terroristischen Akt schwerwiegende Konsequenzen tragen müssen«, erklärte CCOJB-Präsident Yohan Benizri. Er spielte damit auf die drastisch verschärften Sicherheitsvorkehrungen für jüdische Schulen und andere Einrichtungen an, die nach dem Attentat eingeführt wurden.

Belgiens Demokratie habe sich aber als stärker erwiesen als die Attentäter, so Ben­izri. Sein besonderer Zorn galt den Anwälten Nemmouches, die durch ihre »abs­trusen Verschwörungstheorien« versucht hätten, die Grundlagen des Rechtsstaates zu erschüttern. »Möge der Name dieses Terroristen bald vergessen sein, und mögen wir uns stattdessen nur noch an dieses Urteil erinnern«, erklärte Benizri.

Zynismus Sébastien Courtoy, einer der drei Verteidiger Nemmouches, entwarf in seinem siebenstündigen Schlussplädoyer das Bild einer großen Verschwörung gegen seinen Mandanten. Sowohl das Ehepaar Riva als auch der Museumsmitarbeiter Alexandre Strens seien gezielt liquidiert worden, allerdings nicht von Nemmouche. Die Rivas hätten die Mission gehabt, für den israelischen Geheimdienst Mossad schiitische Bewegungen in Europa zu überwachen, während Strens Beziehungen im Iran pflegte, behauptete Courtoy. Ohne die libanesische Terrororganisation Hisbollah beim Namen zu nennen, suggerierte der Anwalt, seinem Mandanten seien von interessierten Kreisen gezielt Morde in die Schuhe geschoben worden, die er nicht begangen habe.

Doch damit kam Courtoy bei den Geschworenen nicht durch. Nicht nur die von Forensikern minutiös zusammengetragenen Indizien, auch Aussagen zahlreicher Zeugen zertrümmerten die ziemlich kruden Thesen der Verteidigung. Courtoys Hang zum Zynismus und zur Theatralik half ihm nicht. Allgemeines Kopfschütteln verursachte er mit der Behauptung, Nemmouche könne ja gar kein Antisemit sein, trage er doch Schuhe des (jüdischen) Designers Calvin Klein.

Anders als seine Verteidiger angekündigt hatten, trug Nemmouche selbst nichts zur Aufklärung bei, zeigte keinerlei Reue.

Anders als seine Verteidiger angekündigt hatten, trug Mehdi Nemmouche selbst nichts zur Aufklärung bei, zeigte keinerlei Reue und pochte lediglich wiederholt auf sein Zeugnisverweigerungsrecht. Auch am letzten Verhandlungstag brachte er nur drei Worte hervor: »La vie continue« (Das Leben geht weiter). Er sagte es mit einem Lächeln auf den Lippen.

Nacer Bendrer dagegen distanzierte sich in seinem Schlusswort deutlich von seinem Komplizen und nannte ihn ein »Monster«. Auch dies quittierte Nemmouche mit einem Lächeln.

Lob Philippe Blondin, Vorsitzender des Jüdischen Museums Belgiens, nannte den Angeklagten »einen Schurken«, der das Gericht mit »entsetzlicher Geringschätzung« behandelt habe. Blondin lobte die Justiz, die sich während des gesamten Verfahrens »beispielhaft« verhalten habe.

Der Geschäftsführer des Jüdischen Weltkongresses, Robert Singer, begrüßte das Urteil, warnte aber zugleich: Der Anschlag habe »im Kontext eines wachsenden Antisemitismus in Europa« stattgefunden. »Obwohl die belgischen Behörden Sicherheitsvorkehrungen getroffen haben, die zu begrüßen sind, sollten wir uns keinerlei Illusionen machen, dass die Gefahr gebannt ist«, sagte Singer.

Paris

Wegen Brief zu Antisemitismus: Frankreich bestellt US-Botschafter ein

Weil er den französischen Behörden Versäumnisse im Vorgehen gegen Judenhass vorgeworfen habe, soll Charles Kushner heute im Außenministerium erscheinen

 25.08.2025

Frankreich

Freizeitpark-Chef verwehrt israelischen Kindern den Zutritt

Der Betreiber des Parks hatte 150 israelische Kinder weggeschickt. Nun wurde er wegen Diskriminierung angeklagt. Ihm drohen bis zu fünf Jahre Haft

 24.08.2025

Literatur

Vitaler Verteidiger der Freiheit

Zu seinem 96. Geburtstag beschenkt der wachsame Jahrhundertzeuge Paul Lendvai seine Leser mit einem neuen Buch

von Marko Martin  24.08.2025

Norwegen

Die nördlichste Synagoge der Welt

In Trondheim feiert die Gemeinde ihr hundertjähriges Bethaus. Zum Glück ist die Schabbat-Frage schon lange geklärt

von Elke Wittich  24.08.2025

Raubkunst

Drei Millionen Franken für Bührle-Stiftung

Die Stadt Zürich beantragt Kredit für vertiefte Provenienzforschung der Sammlung Bührle

 22.08.2025

New York

Monica Lewinsky stellt mit Amanda Knox Serie vor

Worum geht es in »The Twisted Tale of Amanda Knox«?

von Lukas Dubro  21.08.2025

Ukraine

Jude, Comedian, Freiheitskämpfer

Selten ist ein Staatsmann so sehr in seinem Amt gewachsen wie Wolodymyr Selenskyj. Die erstaunliche Karriere des ukrainischen Präsidenten

von Michael Gold  21.08.2025

Meinung

Für Juden in Frankreich ist das Spiel aus

Präsident Emmanuel Macrons antiisraelische Politik macht ihn zum Verbündeten der Islamisten und deren linken Mitläufern. Für Juden wird das Leben währenddessen immer unerträglicher

von Haïm Musicant  20.08.2025

Österreich

Jüdische Familie aus Taxi geworfen

In Wien beschimpfte ein Uber-Fahrer seine jüdischen Gäste und attackierte dann den Familienvater

von Nicole Dreyfus  19.08.2025