Reaktionen

Schock in Bulgarien

Helfer am Anschlagsort im bulgarischen Burgas (2012) Foto: Flash 90

Bis zu dieser Woche, sagen Vertreter der kleinen jüdischen Gemeinde in Bulgarien, hätten sie sich vor Hassverbrechen und Terrorismus gut geschützt gefühlt. Doch nach dem Selbstmordanschlag auf einen Reisebus mit israelischen Touristen vor dem Sarafovo-Flughafen in Burgas an der Schwarzmeerküste, bei dem am vergangenen Mittwoch fünf Israelis und der Busfahrer getötet wurden, sprechen die Juden des Landes davon, dass sich ihr Gefühl von Sicherheit ins Gegenteil verkehrt hat.

sicherheitsmassnahmen »Bislang sind wir in der jüdischen Gemeinde immer ohne das geringste Zeichen von Angst zusammengekommen«, sagt Kamen Petrov, Vizepräsident von Maccabi Bulgaria. »Ich glaube, wir waren völlig unvorbereitet. Wir dachten, so etwas sei in Bulgarien nicht möglich. Jetzt wird sich alles ändern müssen.«

Maxim Benvenisti, Präsident des Dachverbandes der Juden in Bulgarien, hat vor drei Jahren für die jüdischen Gemeinden Krisenpläne erarbeitet, um auf mögliche Terrorangriffe reagieren zu können. »Wir haben über solche Szenarien diskutiert. Aber jetzt begreifen wir, es ist eine Sache, darüber zu diskutieren, und eine andere, wenn sich das Szenario vor deinen eigenen Augen abspielt.« Die Sicherheitsmaßnahmen würden nun verschärft. »Wir müssen unsere Situation verbessern«, fordert er.

Die jüdische Gemeinschaft Bulgariens hatte ihre Sicherheitsvorkehrungen bereits im Februar verstärkt, nachdem sie von der israelischen Botschaft in Bulgarien gewarnt worden war, sagte Martin Levi, stellvertretender Vorsitzender der jüdischen Gemeinde in der Hauptstadt Sofia. Neben weiteren Maßnahmen wurde die Sicherheit im Eingangsbereich des Gemeindegebäudes in Sofia und anderer jüdischer Institutionen erhöht. Die bulgarischen Behörden seien über die Hinweise informiert worden, sagte er.

Warnungen All das geschah, nachdem die bulgarische Polizei in einem von Israelis gemieteten Bus, der von der türkischen Grenze in einen bulgarischen Skiort unterwegs war, eine Bombe gefunden hatte. »Wir nahmen die Warnungen ernst und erhöhten die Sicherheit, aber die bulgarischen Behörden taten das Ganze als Bagatelle ab«, beklagt Levi. »Einige argumentierten, Bulgarien sei gegen solche Dinge immun, weil es ausgezeichnete politische und kulturelle Beziehungen zu muslimischen Ländern unterhalte. Ich bin sehr enttäuscht darüber, wie die Behörden mit der Situation umgingen.«

Levi erfuhr von dem Anschlag in Burgas, als er sich in Ungarn aufhielt, wo er half, ein Sommerlager für etwa 260 jüdische Kinder aus verschiedenen Balkanländern zu organisieren. Nächste Woche soll ein Sommerlager für bulgarische jüdische Kinder im eigenen Land eröffnen. Auch dort hat man zusätzliche Sicherheitsvorkehrungen getroffen, sagt Levi. »Wir wollen aber die Sicherheit erhöhen, ohne Panik zu verursachen« sagt er. »Wir versuchen, den Kindern so wenig wie möglich über den Anschlag zu erzählen, und setzen unser Programm fort. Wir wollen nicht, dass das Lager als ›das Sommerlager des Terroranschlags in die Geschichte eingeht‹.«

austausch Die Zahl israelischer Touristen nach Bulgarien schnellte 2009 nach oben, nachdem sich die Beziehungen Israels mit der Türkei verschlechtert hatten. Das bulgarische Tourismusministerium rechnete dieses Jahr mit 150.000 israelischen Besuchern. Etwa 20 Prozent der Buchungen aus Israel wurden seit dem Anschlag indes storniert.

Tania Reytan, Soziologin an der Universität Sofia, ist Jüdin und engagiert sich im interreligiösen Dialog. Sie glaubt, dass zusätzliche Sicherheitsvorkehrungen auf lange Sicht nur bedingt etwas bringen. »Wir müssen uns intensiver mit anderen religiösen Gemeinschaften austauschen und erläutern, wer wir sind und was unsere Werte sind«, erklärt sie. Obwohl die Außenpolitik des Balkanstaates proisraelisch ist, werde »Israel in Bulgarien stets in negativem Zusammenhang erwähnt«, konstatiert Reytan. Die Terroristen hätten das Land gewählt, »weil sie das schwächste Glied in der Europäischen Union suchten – und sie haben es gefunden«.

Einige Beobachter sind besorgt, dass sich der Anschlag negativ auf die im Allgemeinen guten Beziehungen zwischen bulgarischen Juden und Muslimen auswirken könnte. Zwischen 3.500 bis 5.700 Juden leben in Bulgarien. Etwa acht Prozent der sieben Millionen Einwohner Bulgariens sind Muslime, die meisten davon türkischstämmig. Die Beziehungen zwischen Juden und Muslimen waren bisher immer »friedlich und freundlich«, weiß Verbandspräsident Benvenisti.

Erkenntnisse Der bulgarische Innenminister Zvetan Zvetanov sagte, die Polizei gehe davon aus, dass der Selbstmordattentäter etwa 36 Jahre alt sei und sich mehrere Tage im Land aufgehalten habe. »Wir können die Möglichkeit nicht ausschließen, dass er auf bulgarischem Boden logistische Unterstützung erhalten hat.« Ebenso wie Vertreter anderer ethnischer und religiöser Gruppen und Verbände haben auch Vertreter der muslimischen Gemeinde Bulgariens den Anschlag scharf verurteilt. Bulgariens Mufti Mustafa Alsih Hadschi nannte das Attentat »eine barbarische Tat«. Er sprach den Familien der Opfer sein Beileid aus.

Viele Israelis lassen sich von dem Anschlag nicht beirren und kommen trotzdem nach Bulgarien. Rabbiner Yossi Halperin aus Varna – eine Stadt, rund 80 Kilometer nördlich von Burgas, in die nach dem Anschlag Flüge nach und aus Burgas umgeleitet wurden – berichtete, er habe »jede Menge neu angekommener« Israelis vorgefunden, als er zum Flughafen von Varna fuhr, um »den Menschen in der ganzen Verwirrung Beistand zu leisten«.

Belgien

Gent bleibt hart: Lahav Shani bei Festival weiter unerwünscht

Nach massiver Kritik befasste sich der Verwaltungsrat des Musikfestivals am Montagabend erneut mit der Ausladung der Münchner Philharmoniker. Es blieb bei der Ausladung

von Michael Thaidigsmann  16.09.2025

Bundesamt für Statistik

Dieser hebräische Vorname ist am beliebtesten bei Schweizer Eltern

Auch in der Schweiz wählen Eltern weiterhin häufig biblische Namen für ihr Neugeborenes

von Nicole Dreyfus  16.09.2025 Aktualisiert

Kommentar

Das Geraune von der jüdischen Lobby

Der Zürcher »Tages-Anzeiger« befasst sich kritisch mit dem Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund, der die Absage einer Veranstaltung mit Francesca Albanese an der Uni Bern gefordert hatte. Dabei war diese Intervention richtig

von Michael Thaidigsmann  15.09.2025

Argentinien

Raubkunst in der Immobilienanzeige

Die Tochter eines Naziverbrechers wollte ihre Villa verkaufen und führte Ermittler auf die Spur einer gestohlenen Kunstsammlung

von Andreas Knobloch  13.09.2025

München/Gent

Charlotte Knobloch spricht von »historischem Echo«

Nach der Ausladung des israelischen Dirigenten Lahav Shani von einem Musikfestival meldet sich Charlotte Knobloch mit deutlichen Worten

 11.09.2025

Italien

Jüdisches Touristen-Paar in Venedig attackiert

Die Täter schrien »Free Palestine«, bevor sie die Ehefrau mit einer Flasche attackierten und ihren Ehemann ohrfeigten

 11.09.2025

Georgien

Sicher und schön

Der Kaukasus-Staat pflegt Erbe und Zukunft der Juden. Und bietet atemberaubende Natur. Ein Besuch

von Michael Khachidze  11.09.2025

Belgien

Argerich, Maisky, Schiff empört über Gent-Festival

Bekannte jüdische und nichtjüdische Musiker haben eine Petition gestartet, um gegen die Ausladung der Münchner Philharmoniker und ihres Dirigenten Lahav Shani zu protestieren

 11.09.2025

Südafrika

Unvergessliche Stimme

Die Schoa-Überlebende Ruth Weiss hat sich als Journalistin, Schriftstellerin und Kämpferin für Menschenrechte einen Namen gemacht. Sie wurde 101 Jahre alt. Ein Nachruf

von Katrin Richter  10.09.2025