China

Schalom, Peking!

Am Freitag wird wieder das Olympische Feuer entzündet. Die Eröffnungszeremonie im Nationalstadion gilt als offizieller Startschuss der Olympischen Winterspiele in Peking. Doch dem sportlichen Highlight mit mehr als 100 Wettkämpfen in sieben Sportarten und 15 Disziplinen wurde bislang nicht nur mit Freude entgegengefiebert.

Bereits im Vorfeld hagelte es massive Kritik aus dem internationalen Umfeld: Menschenrechtsverletzungen wurden angeprangert sowie der Gigantismus und die mangelnde bis nicht vorhandene Pressefreiheit. Auch die Technikspionage und die Umweltbelastungen wurden immer wieder thematisiert. Von den »schwierigsten Olympischen Winterspielen aller Zeiten« war mitunter die Rede.

Die Corona-Pandemie wirft einen weiteren Schatten auf die Großveranstaltung. Infektionsprävention und Kontrolle werden in diesen Tagen in China noch größer geschrieben als üblich.

Dem Judentum gegenüber herrscht in China eine gewisse Politik der Toleranz.

Was erwartet also die jüdischen Athleten in der Hauptstadt der Volksrepublik? Wie lebt es sich in der »Blase« der Olympischen Dörfer, die aufgrund der strikten Regeln der chinesischen Null-Covid-Strategie hermetisch vom Rest der Stadt abgeriegelt sind? Immerhin gehört das Judentum im laizistischen China – anders als Buddhismus, Daoismus, Islam, Katholizismus und Protestantismus – nicht einmal zu den fünf offiziell anerkannten Religionen.

Pandemie Gegenüber dem Judentum herrsche eine gewisse Politik der Toleranz, sagt Rabbi Shimon Freundlich vom Chabad-Haus in Peking. Was auch daran liegen mag, dass die jüdische Gemeinde immer verhältnismäßig klein war.

Seit Ausbruch der Pandemie ist sie noch kleiner geworden. Von den rund 2000 Gemeindemitgliedern, die den Angaben des Rabbiners zufolge vorher in Peking gelebt haben, seien nur noch rund 300 verblieben. Die meisten leben aus beruflichen Gründen in der Stadt und haben ausländische Pässe. Etliche von ihnen kommen aus den Vereinigten Staaten oder aus Israel, Aserbaidschan, Russland, Südafrika und Europa.

Man lebe mit den Chinesen in friedlicher Koexistenz und falle nicht weiter auf. »Umso mehr war ich positiv davon überrascht, wie viel Unterstützung wir vonseiten des Pekinger Organisationskomitees der Olympischen Spiele erfahren haben. Im Hinblick auf eine angemessene Verpflegung und Unterbringung der jüdischen Athleten und ihrer begleitenden Teams wurden keine Mühen gescheut«, sagt Freundlich.

organisationskomitee Vor einigen Monaten habe ihn eine Delegation des Organisationskomi­tees ausdrücklich eingeladen, bei der Auswahl und Herstellung der koscheren Verpflegung für die Olympioniken mitzuwirken. »Das Komitee hat uns sogar in der Synagoge besucht«, so Freundlich. »Es war ihnen extrem wichtig, für eine angemessene Verpflegung zu sorgen, dafür wurde einiges an Aufwand betrieben.«

Immerhin handele es sich um insgesamt rund 1500 Mahlzeiten. »Das sind riesige Mengen an Lebensmitteln«, betont der Rabbiner. Gemüse, Reis, Nudeln, Eier, Fisch und Fleisch – alles müsse den jüdischen Speisevorschriften entsprechen und den chinesischen Sicherheitsanforderungen.

Der Gemeinderabbiner kümmert sich mit um die koscheren Mahlzeiten für die Sportler.

Sämtliche Speisen werden in einer Großküche außerhalb der insgesamt drei Olympischen Dörfer zubereitet. Entsprechend hoch sei der Aufwand, um diese zum olympischen Campus zu transportieren. Denn anders als bei den Sommerspielen im Jahr 2008 gleichen die Unterkünfte wie auch die Austragungsorte inzwischen Hochsicherheitszonen. Die Sportler und Teammitglieder dürfen sich nur in hermetisch geschlossenen Kreisläufen, sogenannten Closed Loops, bewegen.

»Die größte Herausforderung war allerdings, an ausreichende Mengen von koscherem Fleisch zu kommen«, sagt Rabbi Freundlich, der eigenen Angaben zufolge persönlich mit der Beschaffung des Beefs betraut war. Dazu gehöre Vertrauen.

»Die Auswahl der Gerichte für die jüdischen Athleten haben wir aber nicht nur gemeinsam getroffen, ich habe auch sämtliche Speisen probieren dürfen«, sagt der 49-Jährige und lacht. Das Essen für die Spitzensportler sei ausgezeichnet. »Fast wie in einem Fünf-Sterne-Restaurant.« Auch gebe es einen Gebetsraum und Rückzugsräume für die jüdischen Sportler und ihre Crews. Dort stehe eine Auswahl an Büchern aus dem Chabad House zur Verfügung.

ERÖFFNUNG Da die Eröffnungszeremonie auf Freitagabend fällt, können die observanten unter den jüdischen Athleten der Zeremonie auf eigenen Wunsch auch fernbleiben. Für sie wurde eine Möglichkeit geschaffen, den Feierlichkeiten dennoch beizuwohnen. Dafür wurde eine Fläche mit hinreichend Abstand gefunden, die extra gesichert sein wird. Denn auch hier spiele die Angst vor terroristischen Anschlägen natürlich eine große Rolle.

Anders als das letzte Mal wird es Public Viewing in der Gemeinde wegen Corona nicht geben.

Für weit positivere Bilder im Kopf hingegen sorgt eine Kinder-Kunstausstellung, die zum Auftakt der Olympischen Spiele in Peking ins Leben gerufen wurde und das Motto »Winter« zum Thema hat. Unter den rund 2000 Grund-, Mittel und höheren Schulen mit insgesamt einer Million Schülern fiel das Los unter anderem auf die Kunstwerke der jüdischen Ganeinu International School.

Das sei ein echter Lichtblick gewesen, freut sich Rabbi Shimon Freundlich, der selbst Vater von sechs Kindern ist. »Ein Beweis für die großartige Ausbildung unserer jüdischen Schüler.«Anders als das letzte Mal wird es Public Viewing in der Gemeinde wegen Corona nicht geben.

touristen Doch anders als bei den Olympischen Spielen im Sommer 2008 werde es diesmal keine begleitenden Feierlichkeiten geben, bedauert der Rabbiner. Damals habe es rund um die Uhr ein Public Viewing in »Dini›s Restaurant« im Chabad House gegeben, der einzigen Gaststätte mit koscherer Küche in Peking. Doch diesmal sei kein einziger Tourist in der Stadt.

Vor Corona habe es neben den Juden, die in Peking leben, jedes Jahr rund 15.000 jüdische Geschäftsleute und Touristen in die Stadt gespült. Die fehlen jetzt. »Wir werden die Olympischen Spiele jeder für sich am heimischen Bildschirm verfolgen – oder wie in meinem Fall, die meiste Zeit wohl am Smartphone«, sagt der Rabbi und nimmt schon wieder den nächsten Anruf entgegen.

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