Baltikum

Reise nach Litauen

Heute eine Werkstatt: die ehemalige Talmud-Tora-Schule in Panevezys Foto: Irina Leytus

Es gibt etwas, das die meisten jüdischen Familien verbindet: Ihre Verwandtschaft ist oft über die ganze Welt verstreut. Viele kennen diese innere Unruhe: »Woher komme ich eigentlich? Wo sind meine Wurzeln?« Und letztlich: »Wer bin ich?«

Paul Abramowitz aus Kapstadt ist dem Ruf seiner Familiengeschichte gefolgt. Gemeinsam mit der aus Moskau stammenden Berliner Journalistin Irina Leytus hat er sich in Litauen auf die Suche gemacht und ein Buch darüber geschrieben: Panevezyser Mühlen der Geschichte.

Leerstellen Die Reise in die Vergangenheit führt zunächst in die Hauptstadt Vilnius. Einerseits sind Abramowitz und Leytus von der Stadt beeindruckt. Andererseits verschlagen ihnen die Zeugnisse der Schoa den Atem. Es gibt kaum sichtbare Hinweise, eher ein Fehlen als ein Vorhandensein. Vielleicht ist es gerade diese Lücke, die sie erschreckt. Der Holocaust scheint im litauischen Alltag keine große Rolle zu spielen. Und das, obwohl Vilnius früher als das »Jerusalem des Ostens« galt.

Immer wieder gibt es im Buch Abschnitte, die sich mit der jüdischen Geschichte des Landes beschäftigen. So erfährt man, dass Litauen seit jeher ein Zentrum jüdischer Intellektueller in Osteuropa war. Hier lehrte der Gaon von Wilna, einer der erbittertsten Gegner des Chassidismus. Doch die Lebensbedingungen der litauischen Juden veränderten sich, je nachdem, ob das Land gerade unabhängig, ein Fürstentum in der Polnisch-Litauischen Union oder Teil des russischen Zarenreiches war.

Auch über die Unterdrückung des Judentums zur Zeit der Sowjetunion wird berichtet. Darüber, wie die jüdische Tradition im Untergrund überdauerte, über Auswanderungswellen bis zur Renaissance des litauischen Judentums seit dem Ende der 80er-Jahre.

Geschichte Der Leser wird Zeuge gleich zweier Ebenen von Familientreffen. Eine liegt in der Vergangenheit. Immer wieder wird Abramowitz’ Familiengeschichte in den Reisebericht mit eingebaut. Sein Vorwissen wird ergänzt durch das, was er und Leytus auf ihrer Reise erfahren, wie es kam, dass seine Familie sowohl mütterlicher- als auch väterlicherseits nach Südafrika auswanderte, wie es dort weiterging und was aus denen wurde, die in Litauen blieben.

Das führt zur zweiten Ebene: der Gegenwart. In Kaunas kommt es zu einem realen Familientreffen. Abramowitz trifft die litauische Verwandtschaft. Er erfährt, wie zwiespältig die Gefühle auf einer solchen Reise sein können. Er trifft Menschen, die er nicht kennt und die doch seine Blutsverwandten sind. Menschen, die in einer christlichen Familie in einem sozialistischen Land aufgewachsen sind, während er in einem westlichen Land jüdisch erzogen wurde. Aber er stellt auch fest, dass vor allem eines zählt: die Menschen.

enttäuschung Ähnlich zwiespältig wird es, als die Autoren in der Stadt Panevezys die Orte besuchen, an denen die Familie Abramowitz einst lebte: Eine alte Mühle verfällt, die ehemalige Tora-Talmud-Schule ist heute eine Werkstatt. Statt Freude über die Entdeckungen zu empfinden, fühlt Abramowitz sich unwohl. Die Reise scheint ihm nicht den Frieden zu geben, den er sich erhofft haben mag. Er hat viel erlebt und erfahren, vor allem über sich selbst. Doch die Aufarbeitung all dieser Erlebnisse kommt erst noch. Die Mühlen der Geschichte mahlen weiter – nicht nur in Panevezys.

Das Büchlein ist ein sehr persönlicher und dennoch sachlicher Reisebericht. Hier zeigt sich, wie Geschichte sich auf das Leben realer Menschen auswirkte, was die »große« Politik für die ganz normale jüdisch-litauische Bevölkerung bedeutete. Daten und Fakten werden dabei viel weniger abstrakt.

Doch der Leser muss ein wenig Willensstärke aufbringen, um durch das Buch zu kommen. Ein guter Lektor hätte dem Buch sicherlich geholfen. Immer wieder stolpert man über holprige Formulierungen, Wortwiederholungen und Zeichensetzungsfehler. Das ist schade, denn der Inhalt des Buches fesselt den Leser, entführt ihn ins damalige Litauen und schickt seine Gedanken auf Reisen.

Paul Abramowitz und Irina Leytus: »Panevezyser Mühlen der Geschichte: Eine jüdische Spurensuche in Litauen«. Meidenbauer, München 2011, 94 S., 19,90 €

USA

Angriff auf Cousin einer ermordeten Geisel

Ariel Yaakov Marciano wurde in Santa Monica angegriffen und geschlagen, weil er Hebräisch sprach

 17.09.2025

Belgien

Gent bleibt hart: Lahav Shani bei Festival weiter unerwünscht

Nach massiver Kritik befasste sich der Verwaltungsrat des Musikfestivals am Montagabend erneut mit der Ausladung der Münchner Philharmoniker. Es blieb bei der Ausladung

von Michael Thaidigsmann  16.09.2025

Bundesamt für Statistik

Dieser hebräische Vorname ist am beliebtesten bei Schweizer Eltern

Auch in der Schweiz wählen Eltern weiterhin häufig biblische Namen für ihr Neugeborenes

von Nicole Dreyfus  16.09.2025 Aktualisiert

Kommentar

Das Geraune von der jüdischen Lobby

Der Zürcher »Tages-Anzeiger« befasst sich kritisch mit dem Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund, der die Absage einer Veranstaltung mit Francesca Albanese an der Uni Bern gefordert hatte. Dabei war diese Intervention richtig

von Michael Thaidigsmann  15.09.2025

Argentinien

Raubkunst in der Immobilienanzeige

Die Tochter eines Naziverbrechers wollte ihre Villa verkaufen und führte Ermittler auf die Spur einer gestohlenen Kunstsammlung

von Andreas Knobloch  13.09.2025

München/Gent

Charlotte Knobloch spricht von »historischem Echo«

Nach der Ausladung des israelischen Dirigenten Lahav Shani von einem Musikfestival meldet sich Charlotte Knobloch mit deutlichen Worten

 11.09.2025

Italien

Jüdisches Touristen-Paar in Venedig attackiert

Die Täter schrien »Free Palestine«, bevor sie die Ehefrau mit einer Flasche attackierten und ihren Ehemann ohrfeigten

 11.09.2025

Georgien

Sicher und schön

Der Kaukasus-Staat pflegt Erbe und Zukunft der Juden. Und bietet atemberaubende Natur. Ein Besuch

von Michael Khachidze  11.09.2025

Belgien

Argerich, Maisky, Schiff empört über Gent-Festival

Bekannte jüdische und nichtjüdische Musiker haben eine Petition gestartet, um gegen die Ausladung der Münchner Philharmoniker und ihres Dirigenten Lahav Shani zu protestieren

 11.09.2025