Ukraine

Putins Krieg und Trumps Frieden

Ein Spielplatz vor zerstörten Wohnhäusern in Kyjiw: Russland schickt täglich Drohnen und Raketen. Foto: picture alliance / SvenSimon-ThePresidentialOfficeU

Es ist eine blutige Bilanz: 28 Tote und 134 Verletzte infolge eines russischen Raketenangriffs auf ein Wohnhaus in Kyjiw. 20 Tote und mehr als 300 Verletzte – darunter 27 Kinder – nach dem Beschuss von Dnipro, 46 Hochhäuser, 19 Schulen sowie zehn Kindergärten und acht medizinische Zentren beschädigt.

In Kramatorsk im Osten der Ukraine wurden nach dem Abwurf einer Fliegerbombe in den Trümmern eines Wohnhauses fünf Leichen gefunden. In Bilhorod-Dnistrowskyj im Oblast Odessa wurden beim Einschlag einer ballistischen Rakete drei Mitarbeiter eines Gymnasiums getötet. In Kyjiw stürzte nach einem Raketenangriff ein Wohnhaus ein: Neun Menschen wurden getötet, darunter ein elfjähriges Mädchen, weitere 34 Menschen wurden verletzt. All dies geschah in den zwei Wochen, als der Krieg zwischen Israel und dem Iran die Schlagzeilen beherrschte und die Geschehnisse in der Ukraine etwas ins Abseits gerieten.

So funktioniert die mediale Aufmerksamkeit. Die meisten Menschen nehmen nur die neuesten Nachrichten wahr, weshalb viele Tragödien in anderen Teilen der Welt schnell in Vergessenheit geraten. Doch unterdessen steigt die Zahl der zivilen Opfer des Krieges in der Ukraine weiter an, und das auch in den Städten mit größeren jüdischen Gemeinden.

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»Bei der ersten Explosion schien unser Haus leicht zu hüpfen, und der Putz rieselte«, schreibt der Sofer Izchak Malzew aus Dnipro. »Gott sei Dank, wir sind unversehrt. Etwa 40 Minuten saßen wir nahe der Eingangstür. Jetzt sitze ich an meinem Sofer-Tisch und schreibe sorgfältig mit einer Truthahnfeder mein geliebtes ›Schma, Israel‹. Mit Fotos der Zerstörung werde ich Sie nicht belästigen, davon gibt es genug. Gott, schenke uns deine Aufmerksamkeit.«

»Es war sehr laut«, berichtet auch Mila Braginskaja, Programmdirektorin der Vereinigung jüdischer Organisationen und Gemeinden in der Ukraine. »Über unserem Haus flogen die ganze Zeit diese verdammten Drohnen. Es dauerte mehr als fünf Stunden, bis man sie abschießen konnte. Auch Raketen waren zu hören. Die klingen aber völlig anders. Dank Gott und unserer Luftverteidigung sind wir am Leben und unversehrt.«

Moskaus Taktik

Der Terror gegen die Zivilbevölkerung gehört zu Moskaus Taktik. Und das Ziel der Angriffe auf die Ukraine wird offen kommuniziert: »Wir haben eine alte Regel: Wo ein russischer Soldat seinen Fuß hinsetzt, das gehört uns.« Für manche mag der Ausspruch des russischen Präsidenten Wladimir Putin nur Rhetorik sein. Doch der polnische Außenminister Radosław Sikorski sieht das anders. »Wir haben in den vergangenen 500 Jahren eines gelernt: Wenn die Russen einem drohen, dann sollte man das sehr ernst nehmen.«

Ob diese Aussage oder etwas anderes die Politik von US-Präsident Donald Trump beeinflusst hat, ist schwer zu sagen. Fakt ist: Auf dem jüngsten Nato-Gipfel vergangene Woche in Den Haag wurde betont, dass derzeit Russland die einzige »langfristige Bedrohung« darstelle. Alle Mitglieder des Verteidigungsbündnisses haben sich daher verpflichtet, bis zum Jahr 2035 fünf Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für Verteidigungszwecke bereitzustellen. Gleichzeitig bekräftigten sie ihre Bereitschaft, die ukrainischen Streitkräfte weiterhin finanziell zu unterstützen.

Darüber hinaus betonte Nato-Generalsekretär Mark Rutte, dass die vom früheren US-Präsidenten Joe Biden geprägte Formel, dass der Weg zu einer Mitgliedschaft der Ukraine »unumkehrbar« sei, weiterhin Gültigkeit habe. Die Zustimmung des aktuellen Präsidenten im Weißen Haus hierzu ist definitiv ein Erfolg für Kyjiw. Ebenso wie das persönliche Treffen von Wolodymyr Selenskyj mit Trump, der den ukrainischen Präsidenten einen »großartigen Kerl« nannte. Zur Erinnerung: Zuvor hatte Trump wiederholt erklärt, dass der russisch-ukrainische Konflikt nicht sein Krieg sei und der Ukraine noch im Februar geraten, »die Nato zu vergessen«.

Öffentliche Meinung

Nun wird darüber spekuliert, ob das alles eine echte politische Wende darstellt oder nur einen taktischen Schachzug. Denn einerseits vertagt Trump auffallend hartnäckig die Entscheidung über neue Sanktionen gegen Russland immer wieder »um zwei Wochen«. Andererseits kann er die öffentliche Meinung im eigenen Land nicht völlig ignorieren.

Laut einer aktuellen Umfrage des Pew Research Center misstrauen satte 84 Prozent der US-Amerikaner Wladimir Putin, und 85 Prozent haben generell eine negative Einstellung zu Russland. Dies deckt sich übrigens fast mit den Umfrageergebnissen in Deutschland – mit Ausnahme der Aussagen von AfD-Wählern, die zu 47 Prozent dem russischen Präsidenten gegenüber positiv eingestellt sind. Zum Vergleich: Bei Anhängern der republikanischen Partei in den Vereinigten Staaten sind es nur 17 Prozent.

»Wenn die Russen einem drohen, dann sollte man das sehr ernst nehmen.«

Polens Außenminister Sikorski

All dies zwingt Trump, sich zumindest auf rhetorischer Ebene von seinem russischen Kollegen zu distanzieren. So erklärte der amerikanische Präsident nun, Putin sei »verwirrt«, und räumte sogar ein, dass Moskau »territoriale Ambitionen über die Ukraine hinaus« haben könnte. Offenbar scheint mittlerweile selbst eine narzisstische und mitunter erratisch agierende Person wie Trump herausgefordert. Zeigt er zu lange Unentschlossenheit, könnte sein Image als »Macher« leiden. Käme es aber zu einem Konflikt mit Putin, dann liefe er Gefahr, seine Anhängerschaft, die einer Politik des Isolationismus zuneigt, zu verprellen.

Zu guter Letzt sieht sich Donald Trump als Anwärter auf den Friedensnobelpreis, was vielleicht der Grund für sein zögerliches Verhalten ist. Sein Versprechen aus der Zeit des Wahlkampfs, innerhalb von 24 Stunden den russisch-ukrainischen Krieg zu beenden und Frieden zu bringen, dürfte er sicher schon mehr als einmal bereut haben. Aber seine Worte sind wie Steine: einmal geworfen, kommen sie nicht zurück.

Der Autor ist Chefredakteur der jüdischen Publikation »Hadashot« in Kyjiw.

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