Im Rahmen einer Razzia wegen angeblich illegaler Beschneidungen hat die Polizei in Antwerpen am Mittwochmorgen die Wohnungen von drei jüdischen Bewohnern durchsucht. Wie mehrere belgische und israelische Medien berichteten, wurden dabei Beschneidungsutensilien beschlagnahmt und Listen von Kindernamen verlangt, die von den Männern beschnitten worden waren. Verhaftet wurde niemand.
Die Durchsuchungen wurden auf gerichtlichen Beschluss durchgeführt. Den Männern wird vorgeworfen, Beschneidungen ohne medizinische Ausbildung durchgeführt zu haben, erklärte ein Sprecher der Antwerpener Staatsanwaltschaft am Donnerstag. Die Ermittlungen sollen seit letztem Herbst im Gange sein, berichteten belgische Zeitungen.
Umstrittener Brauch
Hinweisgeber ist dabei wohl ein ehemaliges Mitglied der Gemeinde, ein antizionistischer Aktivist, dem auch das Leugnen des Holocaust vorgeworfen wird. Der Mann hatte sich bereits mehrfach über die Gemeinde in Antwerpen öffentlich kritisch geäußert. 2023 hatte er sich bei der Polizei über Beschneidungen beschwert, bei denen der umstrittene Brauch des »Metzizah b’peh« durchgeführt worden sei. Bei dieser Praxis saugen die Beschneider Blut aus der Wunde, die durch den Schnitt verursacht wurde. Dies gilt als ethisch umstritten und medizinisch riskant. In New York wurden zwei Fälle bekannt, bei denen die beschnittenen Jungen nach dem Ritual an Herpes erkrankt und gestorben waren. Ob die Hausdruchsuchungen am Mittwoch auch in Zusammenhang mit jener Anschuldigung standen, ist unklar.
Nach dem belgischen Recht müssen alle medizinischen Eingriffe von einem zugelassenen Arzt durchgeführt werden. Eine Sonderregelung für rituelle Beschneidungen gibt es nicht, so wie in den meisten Ländern Europas. Deutschland bildet eine Ausnahme, da es hier dem rituellen Beschneider, dem »Mohel«, ausdrücklich erlaubt ist, die »Brit Milah« unter angemessenen medizinischen und hygienischen Bedingungen durchzuführen. Im vergangenen Sommer verhafteten die Behörden in Irland einen Rabbiner aus London, weil er angeblich eine Beschneidung ohne die erforderliche ärztliche Zulassung durchgeführt hatte.
»Teil einer größeren Einschüchterungskampagne«
Der Vorsitzende der European Jewish Association, Rabbi Menachem Margolin, verurteilte die Razzien und bezeichnete sie als Teil einer größeren Einschüchterungskampagne, die mit dem Verbot der rituellen koscheren Schlachtung 2019 begonnen habe. »Jede Einschränkung der Beschneidung in Belgien würde eine klare Botschaft an die belgischen Juden senden, dass sie im Land nicht willkommen sind.«
In Antwerpen wohnen die meisten der rund 30.000 belgischen Juden. Die Stadt beherbergt eine der größten chassidischen Gemeinden in Europa. Es gibt etliche jüdische Bethäuser, Schulen, Kindergärten und Geschäfte, die das jüdische Viertel in der Nähe des Hauptbahnhofs prägen.
»Das Problem ist, dass es im Moment kein klares Gesetz zur Beschneidung gibt«, erklärte der belgische Abgeordnete Michael Freilich, der einzige orthodoxe jüdische Abgeordnete des Landes, der Times of Israel. Auch ein jüdischer Arzt aus Antwerpen äußerte sich gegenüber der Jüdischen Allgemeinen ähnlich. »Das ist ein politisches Problem, das sich leider schon lange zieht. Wir brauchen eine Gesetzgebung wie in Deutschland, damit rituelle Beschneidungen legal durchgeführt werden können«.
»Religionsfreiheit muss Freiheit der Religionsausübung einschließen«
Der Vorsitzende der Europäischen Rabbinerkonferenz, Rabbiner Pinchas Goldschmidt, sagte am Donnerstag gegenüber der Jüdischen Allgemeinen: »Religionsfreiheit muss im jüdischen Kontext auch die Freiheit der Religionsausübung einschließen.« Die Beschneidung sei das entscheidende Gebot im Kern jüdischer Identität. Damit jüdische Gemeinden in Europa weiterbestehen und überleben könnten, müsste ihnen die Ausübung dieser Praxis gestattet sein, »die selbstverständlich modernen medizinischen Standards entspricht.«
Westliche Prinzipien von Demokratie, Kinderrechten, oder moderner Medizin würden hier leider als Waffe eingesetzt werden, um diese alte jüdische Praxis anzugreifen. »Das harte Vorgehen der Antwerpener Polizei – anstelle einer informierten Auseinandersetzung mit Gemeindevertretern und Experten – ist Ausdruck dieser schädlichen Instrumentalisierung«, kommentierte Rabbiner Goldschmidt. Religionsfreiheit müsse auch für Juden gelten. mma