Grossbritannien

Neue Stimmen fürs Unterhaus

Fernsehdebatte der Parteichefs: David Cameron, Nick Clegg und Gordon Brown (v.l.) Foto: AP

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Neue Stimmen fürs Unterhaus

Traditionell wählen Juden Labour. Doch diesmal könnte es anders werden

von Frank Diebel  04.05.2010 13:37 Uhr

Diesen Donnerstag wählt Großbritannien – und es bahnt sich eine historische Sensation an. Die jüngsten Umfrageergebnisse signalisieren, dass erstmals seit 1974 keine Partei die absolute Mehrheit der Sitze bekommen könnte.

In drei Live-Fernsehdebatten der Parteichefs David Cameron (Conservatives), Nick Clegg (Liberal Democrats) und des amtierenden Premiers Gordon Brown (Labour) bestätigte sich, was schon in Umfragen deutlich geworden war: Den bei früheren Wahlen stets hoffnungslos abgeschlagenen Liberaldemokraten ist es gelungen, in der Wählergunst zu steigen. Wo Tories und Labour mit abgedroschenen Phrasen und leeren Versprechungen aufwarteten, leisteten die Liberaldemokraten echte Überzeugungsarbeit. Das Resultat: Labour-Anhänger (und auch einige Tories) laufen in Scharen zu den Liberaldemokraten über.

Gilt dies auch für jüdische Wähler? »Um ehrlich zu sein, hat keine Partei unsere Interessen im Auge«, erklärt Tamara Wald. Am ehesten fühle sich die Grafikerin, die in einem Londoner Verlag arbeitet, »zu Nick Cleggs Partei hingezogen, weil sie wirklich Probleme angehen wollen«. Walds Vater war Unternehmer und hat immer die Tories gewählt. »Ich trat in seine Fußstapfen. Aber bei diesen Wahlen nicht mehr.«

inkompetenz Tamara Wald ist repräsentativ für viele. Sowohl Tories als auch Labour Party haben sich durch Inkompetenz und politische Ränkeschmiede die Gunst vieler Wähler verscherzt. »Nick Cleggs Absicht, eine Regierung zu bilden, in der sich die drei größten Parteien an einen Tisch setzen müssten, um Probleme wie die massive Staatsverschuldung anzugehen, ist radikal und würde den Rangeleien zwischen Politikern eine Ende machen«, sagt Wald.

Am Montag erklärte Rosalind Preston von der jüdischen Dachorganisation Board of Deputies: »Wer auch immer gewählt wird, muss einige sehr reale und dringliche Probleme anpacken, nicht nur auf nationaler und internationaler Ebene, sondern auch was die Auswirkungen auf britische Juden an der Heimatfront betrifft.«

Traditionell favorisieren Juden in Großbritannien die Labour Party. Seit Gordon Brown das Ruder in der Hand hält, haben sich die Linken in der jüdischen Wählerschaft viele Sympathien verscherzt. Das liegt zum einen daran, dass Labour es versäumte, ein umstrittenes Gesetz zu ändern, wonach die britische Justiz das Recht hat, israelische Politiker für angebliche Kriegsverbrechen zu verhaften, sobald sie das Land betreten. Zum anderen machte sich Labour unbeliebt durch Außenminister David Milibands Kritik an Israel für den Einsatz von gefälschten britischen Personalausweisen bei der Ermordung eines Hamas-Terroristen in Dubai.

umfragen In einer jüngsten Umfrage des Institute for Jewish Policy Research unter mehr als 1.000 jüdischen Briten lagen Tories und Labour fast gleichauf mit je rund 30 Prozent der Stimmen. Die Umfrage ergab außerdem, dass das Wahlverhalten britischer Juden starken regionalen Schwankungen unterliegt.

Die jüdischen Briten machen etwa ein halbes Prozent der Gesamtbevölkerung des Landes aus. Die meisten leben in London und Manchester. Von den Wahlkreisen, in denen mindestens zehn Prozent der Bevölkerung jüdisch seien, sind sieben fest in der Hand der Labour Party, sagt der Londoner Historiker Geoffrey Alderman. Einen harten Kampf um die jüdischen Stimmen gebe es zum Beispiel im Wahlkreis Hendon, seit 1997 ein Labour-Sitz mit Andrew Dismore als Parlamentsmitglied.

Wer ist der richtige Regierungschef für die jüdische Gemeinschaft? Matthew Harris, liberaler Kandidat für den Wahlkreis Hendon und Vizepräsident der »Liberal Friends of Israel«, nennt Nick Clegg. Seine Partei trete stets gegen Rassismus und Antisemitismus ein. Außerdem hätte sie »das Recht der Eltern unterstützt, sich eine staatliche Religionsschule ihrer Wahl auszusuchen und sich immer dafür eingesetzt, dass Juden schächten dürfen«.

Unter Gordon Brown habe das Land eine zutiefst antiisraelische Regierung, schreibt ein aufgebrachter Leser in einer Umfrage der Wochenzeitung Jewish Chronicle. Andere stimmen ihm zu: »Brown weiß nichts über uns. Er schert sich nicht um unsere Meinungen. Er bezeichnete den Davidstern als jüdisches Kreuz.«

Tory-Chef Cameron dagegen scheint auf die Leser des Chronicle einen besseren Eindruck zu machen: »Er ist ein guter Mann«, schreibt derselbe Leser. »Er will die Extremisten verbieten lassen, er interessiert sich wenigstens für uns.« Den Tonfall dieser Worte spiegelt auch das Ergebnis der Umfrage wider: 67 Prozent der Leser des Jewish Chronicle glauben, David Cameron sei ein besserer Regierungschef als Gordon Brown.

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