Brasilien

Neue Christen, alte Geschichte

Mit ungläubigem Staunen reagieren selbst Juden der kleinen, nur etwa 1500 Mitglieder zählenden jüdischen Gemeinde im nordöstlichen Recife, wenn man sie auf die neue Sensation anspricht: Zum ersten Mal haben jetzt in der Küstenstadt Abkömmlinge spanisch-portugiesischer Juden, die vor Jahrhunderten gezwungen wurden, zum Katholizismus zu konvertieren, ihre eigene Pessach-Haggada herausgegeben. Sie ist zum Teil humorig illustriert und dreisprachig: in Hebräisch, im judenspanischen Dialekt Ladino der Iberischen Halbinsel und natürlich in brasilianischem Portugiesisch.

Recife Die meisten Juden Brasiliens leben im Süden des Landes, in der Megacity São Paulo. Eine stark regional gefärbte Hagadá de Pêssach do Sertão im weit mehr als 2000 Kilometer entfernten Recife zusammenzustellen, hat gewichtige Gründe: Während der relativ kurzen niederländischen Besatzung (1630–1654) entstand dort die erste jüdische Gemeinde Brasiliens, und niederländische Juden gründeten die erste Synagoge auf amerikanischem Boden. Zudem lebte in der Region Recife damals bereits ein Großteil jener aus Portugal kommenden »Cristãos novos«, die gehofft hatten, in der Tropenkolonie von den katholischen Religionswächtern in Ruhe gelassen zu werden – um mehr oder weniger offen weiter ihre jüdischen Traditionen zu pflegen.

Inquisition Zehn bis 35 Prozent der heutigen Brasilianer sind nach Angaben von Historikern Nachfahren jener neuen Christen. Den meisten im Land ist dieser Fakt nicht bekannt. Schließlich verfolgte die portugiesische Inquisition jene »Judaizantes« im damaligen Hauptsiedlungsgebiet mit besonderer Härte und Unnachgiebigkeit.

Bereits vor Ankunft der Niederländer wurden Kommissionen des »Santo Oficio« nach Recife entsandt, die gemeinsam mit der entsprechend eingespannten Kolonialpolizei für ein Klima des Terrors sorgten. Diejenigen, die verdächtigt wurden, weiter jüdische Traditionen zu pflegen, bekamen in der ganzen Überseekolonie den Beinamen »Marranos« (Schweine). Wie historischen Quellen zu entnehmen ist, wurden oft auch frühere Juden, die ernsthaft konvertiert waren, aufgrund falscher Beschuldigungen ergriffen und nach Lissabon gebracht. Unter den etwa 1500 dort von der Inquisition zu Tode Gefolterten, Exekutierten und auf dem Scheiterhaufen bei lebendigem Leibe Verbrannten sollen sehr viele »neue Christen« aus Brasilien gewesen sein. Gegen sie richtete sich zudem ein Großteil der etwa 25.000 Prozesse.

Angesichts solchen Drucks wird verständlich, dass im Laufe der Jahrhunderte in vielen Familien der »Cristãos novos« das jüdische Erbe verschüttging. Umso erstaunlicher ist daher, dass deren Nachfahren, die sogenannten Bnei Anusim, heute zunehmend aktiver nach ihren jüdischen Wurzeln suchen – und nun sogar eine eigene Pessach-Haggada herausbringen.

Jüdische Organisationen versuchen, dabei zu helfen, die Bnei Anusim wieder in die jüdische Gemeinschaft zu integrieren. Eine dieser Organisationen ist die NGO »Reconectar«. Ihr Gründer, Ashley Perry, sagte kürzlich der Jerusalem Post: »Diese Haggada ist mehr als nur ein Pessach-Buch der Bnei Anusim«, es zeige auch »massives Erwachen und Eigenständigkeit jener Nachfahren, die zu den Traditionen ihrer Ahnen zurückkehren wollen«.

Zwangskonversion Für Perry eröffnen sich jetzt aufregende Perspektiven, um eine historische Ungerechtigkeit, die Zwangskonversion, zu korrigieren. Die Knesset und die israelische Regierung sind inzwischen aktiv geworden: Seit einiger Zeit widmet sich eine Sonderkommission der Anusim-Frage.

In Brasilien, aber auch in anderen Ländern Lateinamerikas, macht seit etwa 20 Jahren ein ausführlicher Fragenkatalog die Runde, der dabei helfen soll, an vermeintlich belanglosen Details die jüdische Herkunft zu entdecken: »Sprach oder spricht jemand in der Familie eine unbekannte Sprache, gar ähnlich dem Spanischen? Gibt oder gab es jemanden in Ihrer Familie, der nie in katholische Kirchen geht?«

Vor acht Jahren entdeckte ein orthodoxer jüdischer Tourist in Brasiliens erster Hauptstadt Salvador da Bahia in einem alten Hotel neben der Kathedrale eine Mikwe. Sie ist fast ebenso alt wie die Synagoge von Recife. Historiker gehen inzwischen davon aus, dass der Besitzer des Gebäudes ein »neuer Christ« gewesen ist. Zu Zeiten der Inquisition stiegen er und die Mitglieder seiner Familie in das rituelle Tauchbad – keine zehn Schritte entfernt von der prachtvollen Franziskanerkirche, dem berühmtesten Wahrzeichen des brasilianischen Katholizismus.

Großbritannien

Nike hat es »nicht böse gemeint«

Der Sportartikel-Konzern hing zum London Marathon ein Banner auf, das aus Sicht von Kritikern die Schoa lächerlich gemacht hat. Jetzt hat sich das Unternehmen entschuldigt.

 29.04.2025

Schweiz

Junger Mann wegen geplanten Anschlags auf Synagoge Halle verhaftet

Die Anschlagspläne soll er laut Staatsanwaltschaft zwischen Juli 2024 und Februar 2025 wiederholt in einer Telegram-Chatgruppe angekündigt haben

 29.04.2025

Sport

Nach Anti-Israel-Eklat: Jetzt sprechen die Schweizer Fechter

Bei der Nachwuchs-EM der Fechterinnen und Fechter kommt es in Estland zu einer viel diskutierten Szene. Nun haben sich die verantwortlichen Schweizer erklärt

 28.04.2025

Fecht-EM

Schweizer Fechter schauen bei israelischer Hymne demonstrativ weg

Nachdem die U23-Mannschaft der Schweizer Fechter gegen Israel protestierte, äußert sich nun der Schweizer Fechtverband und verurteilt den Vorfall

von Nicole Dreyfus  28.04.2025

Großbritannien

Israelfeindliche Aktivisten stören London-Marathon

Mitten im London-Marathon kommt es zu einer Protestaktion gegen Israel. Zwei Aktivisten springen auf die Strecke und streuen rotes Pulver

 27.04.2025

Essay

Wir gehen nicht allein

Zum ersten Mal hat unsere Autorin mit dem »Marsch der Lebenden« das ehemalige KZ Auschwitz besucht. Ein Versuch, das Unvorstellbare in Worte zu fassen

von Sarah Maria Sander  27.04.2025

Frankreich

Serge Klarsfeld: »Wir müssen vorbereitet sein«

Der Holocaust-Überlebende und Nazi-Jäger hat in »Le Figaro« einen dringenden Appell veröffentlicht und erneut für rechte Parteien geworben. Das Judentum sei bedrohter denn je, glaubt er

 25.04.2025

USA

Sharon Osbourne vs. die Anti-Israel-Popkultur

Rock-Veteranin Sharon Osbourne hat sich mit dem irischen Rap-Trio Kneecap angelegt, das offensichtlich meint, mit Hassrede gegen Israel seine Fanbase vergrößern zu können

von Sophie Albers Ben Chamo  25.04.2025

KZ-Gedenkstätte Auschwitz

Israels Präsident Isaac Herzog und Eli Sharabi beim »Marsch der Lebenden«

Auf dem Weg von Auschwitz nach Birkenau sind diesmal auch ehemalige israelische Geiseln der Hamas dabei. Israels Präsident Herzog erinnerte an die weiterhin in Gaza gefangen gehaltenen israelischen Geiseln

 24.04.2025