Österreich

Netzwerk für Emanzipation

Bei der Eröffnung der Bet-Debora-Tagung: die Rabbinerinnen Irit Shillor und Judith Edelman-Green (v.l.) Foto: Stanislav Jenis

»Wir kommen in eine konservativere Phase hinein«, konstatierte die österreichische Historikerin Eleonore Lappin-Eppel vor Beginn der von ihr organisierten Bet-Debora-Konferenz, die vergangene Woche erstmals in Wien abgehalten wurde. Nach vier Tagen mit Vorträgen, Workshops und Podiumsdiskussionen könnte man aber auch sagen: War die Wiener jüdische Gemeinde jemals nicht konservativ?

Bet Debora ist ein europäisches Frauennetzwerk, das Ende der 90er-Jahre in Deutschland seinen Anfang nahm. Hier war schon vor dem NS-Terror das Reformjudentum zu Hause, während in Wien weiterhin am orthodoxen Ritus festgehalten wurde. Bet-Debora-Konferenzen gab es bisher in Berlin, Sofia und Budapest. Am Eröffnungsabend in Wien sprachen unter anderem die Rabbinerinnen Irit Shillor und Judith Edelman-Green über ihren rabbinischen Alltag und Frausein im Judentum.

Frauenrechte Gemeinsam mit Diskutantinnen aus dem Publikum konstatierten sie schließlich: Es fehlt eine breite weibliche jüdische Theologie. In Wien gibt es derzeit aber nicht einmal eine Rabbinerin. Die kleine liberale Gemeinde Or Chadasch wird von Rabbiner Walter Rothschild mitbetreut. Für Lappin-Eppel sind Rabbinerinnen allein allerdings noch kein Zeichen von Emanzipation. »Wir haben das Gefühl, dass Frauenrechte im Judentum nach wie vor beschnitten sind.«

Ein Beispiel: das heikle Thema Scheidung. Hier berichtete die internationale Scheidungsanwältin Sharon Shenhav, die aus den USA stammt, aber seit Langem in Israel lebt, über ihren inzwischen jahrzehntelangen Kampf, Männer dazu zu bewegen, ihren Frauen den Get (Scheidebrief) auszuhändigen. Es bedeute zwar einen Fortschritt, dass nun beide Partner – und damit auch die Frau – in eine Scheidung einwilligen müssten. In der Realität würden aber heute weltweit viele Jüdinnen von ihren Männern erpresst. Sie sollen entweder auf das Geld verzichten, das ihnen das zivile Scheidungsgericht zugesprochen hat, oder eine noch größere Summe an den Mann bezahlen. Erpressbar würden Frauen, weil sie sich nur religiös wiederverheiraten könnten, wenn sie auch religiös geschieden sind.

Scheidung Shenhav appellierte an Frauen, die vor einer Scheidung stehen, auf einem Get zu beharren – auch wenn die Hochzeit nach liberalem Ritus durchgeführt worden war. Man wisse nie, ob sich nicht die Kinder aus einer weiteren Beziehung dereinst in einen orthodoxen Partner verlieben würden. Solche Fälle, in denen schließlich die Rabbiner eine Verheiratung verweigern, würden sich heute vor allem in den USA häufen.

Jene jungen Wienerinnen, die sich an einem Podium versammelten, um über Tikkun Olam – das eigentliche Tagungsthema – zu sprechen, schienen sich weder über dieses noch über andere religiöse Themen bisher besonders den Kopf zerbrochen zu haben. Sie sind Juristin, Sozialarbeiterin, Psychotherapeutin. »Empowerment« sei wichtig, betonte Lappin-Eppel. Diese jungen Frauen zeigten ihre Power im Beruf – doch kein großes Interesse, innerhalb der Religion für ihre Rechte zu kämpfen. Als aus dem Publikum gefragt wurde, ob es nicht störe, dass man als Frau nicht zur Tora aufgerufen werde, fielen die Antworten ausweichend aus. Eine Diskutantin meinte schließlich, Männer und Frauen hätten im Judentum eben unterschiedliche Rollen. Orthodoxes Publikum aus der Wiener Gemeinde blieb der Konferenz weitgehend überhaupt fern.

Lerngruppen Lappin-Eppel, Gründungsmitglied der liberalen Wiener Gemeinde, räumte ein, »selbst bei Or Chadasch, wenn es auf die Ebene des Gottesdienstes geht, haben wir schon wieder die männliche Dominanz«. Wenn es ums Vorbeten gehe, hätten Frauen Hemmungen. Sie wollen heute aber grundsätzlich anders am Judentum partizipieren, als sich nur um den koscheren Haushalt, die Kinder, das Schabbesessen zu kümmern. Lappin-Eppel würde sich daher in Wien mehr Frauenlerngruppen wünschen.

Kommentar

Müssen immer erst Juden sterben?

Der Anschlag von Sydney sollte auch für Deutschland ein Weckruf sein. Wer weiter zulässt, dass auf Straßen und Plätzen zur globalen Intifada aufgerufen wird, sollte sich nicht wundern, wenn der Terror auch zu uns kommt

von Michael Thaidigsmann  14.12.2025

Meinung

Blut statt Licht

Das Abwarten, Abwiegeln, das Aber, mit dem die westlichen Gesellschaften auf den rasenden Antisemitismus reagieren, machen das nächste Massaker nur zu einer Frage der Zeit. Nun war es also wieder so weit

von Sophie Albers Ben Chamo  14.12.2025 Aktualisiert

Anschlag in Sydney

Felix Klein: »Von Terror und Hass nicht einschüchtern lassen«

Zwei Männer töten und verletzen in Sydney zahlreiche Teilnehmer einer Chanukka-Feier. Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung äußert sich zu der Tat

 14.12.2025

Terror in Sydney

Zivilist entwaffnet Angreifer und wird als »Held« gefeiert

Zwei Männer schießen auf Teilnehmer einer Chanukka-Feier in Sydney: Es gibt Tote und Verletzte. Ein Video soll nun den mutigen Einsatz eines Passanten zeigen

 14.12.2025

Australien

Merz: »Angriff auf unsere gemeinsamen Werte«

Bei einem Anschlag auf eine Chanukka-Feier in der australischen Metropole gab es viele Tote und Verletzte. Der Bundeskanzler und die Minister Wadephul und Prien äußern sich zu der Tat

 14.12.2025 Aktualisiert

Terror in Sydney

Zentralrat der Juden: »In Gedanken bei den Betroffenen«

Der Zentralrat der Juden und weitere jüdische Organisationen aus Deutschland äußern sich zu dem Anschlag auf eine Chanukka-Feier im australischen Sydney

 14.12.2025 Aktualisiert

Australien

16 Tote bei antisemitischem Massaker in Sydney

Australien ist im Schockzustand: Zwei Attentäter schossen am Sonntag auf Juden, die sich in Bondi Beach zu einer Chanukka-Feier versammelt hatten

von Michael Thaidigsmann  14.12.2025 Aktualisiert

Australien

Judenfeindlicher Terroranschlag in Sydney: Zwei Personen in Polizeigewahrsam

Die Polizei ruft nach dem Angriff in Sydney dazu auf, das Gebiet des Angriffs weiter zu meiden. Der Einsatz dauere an

 14.12.2025

Terror

Medienberichte: Terroranschlag in Australien bei Chanukka-Feier

Die Polizei warnt vor einem »sich entwickelnden Vorfall« am Bondi Beach. Ersten Berichten zufolge soll das Ziel ein Chanukka-Fest gewesen sein. Australische Medien berichten von mehreren Opfern

von Denise Sternberg  14.12.2025 Aktualisiert