John Bercow

Mr. Speaker kündigt Rücktritt an

Mr. Speaker: John Bercow Foto: dpa

»Ordeeeer«, »Ordeeeer!« - schallt es bei Sitzungen des britischen Unterhauses durch den Saal. Selbst Kinder, die in den Nachrichten die markanten Ordnungsrufe von John Bercow aufschnappen, ahmen ihn nach.

Der Parlamentspräsident hat sich in Großbritannien und anderen Ländern zur Kultfigur gemausert - und spielt im Brexit-Streit eine wichtige Rolle. Nun hat Bercow angekündigt, sein Amt bis spätestens am 31. Oktober aufzugeben, dem Tag, an dem Großbritannien die EU verlassen soll.

Bercow ist bereits der 157. Speaker of the House of Commons, aber der erste jüdische Speaker.

Neutralität Kritiker werfen ihm vor, die Neutralität seines Amts zugunsten der Brexit-Gegner zu verletzen und forderten immer wieder seinen Rücktritt. Doch Bercow blieb stur.

»Während meiner Zeit als Sprecher habe ich versucht, die relative Autorität dieses Parlaments zu erhöhen, wofür ich mich absolut bei niemandem, nirgendwo, zu keiner Zeit entschuldigen werde«, sagte Bercow am Montag im Parlament.

Familie Was war nun der Grund für seine Rücktrittsankündigung? Er habe seiner Familie bei der vergangenen Parlamentswahl versprochen, nicht noch einmal anzutreten, sagte der dreifache Vater.

Und sein Versprechen halte er nun mal ein, so der sichtlich bewegte Bercow. Die Reaktion im Unterhaus: nicht enden wollender Beifall bei seinen Anhängern, während die Brexit-Hardliner mit verschränkten Armen sitzen blieben.

Debatten Bercow ist bereits der 157. »Speaker of the House of Commons« und in der mehr als 300-jährigen Geschichte der Houses of Parliament ist er der erste Speaker aus einer jüdischen Familie.

Mehrere seiner Amtsvorgänger überlebten den Posten nicht: Sie wurden geköpft. Heute ist es eher der exzentrische Bercow, vor dem die Abgeordneten zittern. Denn »Mr Speaker«, so wird er im Parlament angesprochen, ist quasi der Herr über die Debatten und Abstimmungen.

Bercow selbst – das ist kein Geheimnis – hätte Großbritannien lieber weiter in der Europäischen Union gesehen.

Auch die frühere Premierministerin Theresa May kam nicht an Bercow vorbei. Eine dritte Abstimmung über ihren bereits zwei Mal gescheiterten Brexit-Deal, ließ er erst nach einer substanzielle Änderung der Vorlage zu. Der Clou: Er berief sich dabei auf eine 415 Jahre alte Regel, die kaum noch jemand parat hatte. Die Regierung musste sich schließlich beugen.

Europa Bercow selbst – das ist kein Geheimnis – hätte Großbritannien lieber weiter in der Europäischen Union gesehen. Kritik an seinem Verhalten im Unterhaus weist er aber zurück. »Ich habe meine privaten Überzeugungen, aber im Parlament bin ich unparteiisch«, sagte er einmal in einem Interview, das unter anderem in der »Welt« erschien.

Bercow ist ein Dickschädel, der die hohe Kunst der Rhetorik beherrscht. »Ich rede einfach zu gern und im Zweifel zu viel«, räumte der aus einfachen Verhältnissen stammende Politiker in dem Interview ein. »Meinen Sprachstil habe ich von meinem Vater geerbt, der recht gestelzt sprach.«

Schule Schon als Kind las Bercow Zeitung, kandidierte für das Schülerparlament und protestierte gegen das Schulessen. Er habe keine Probleme, vor einer Menge zu sprechen. Dagegen gehöre Tanzen zu seinen Urängsten - und seine Furcht davor könne er »nur mit einer beträchtlichen Menge Alkohol« überwinden.

Schon als Kind las Bercow Zeitung, kandidierte für das Schülerparlament und protestierte gegen das Schulessen.

Viel Beifall, aber auch Kritik bekam Bercow für die Ankündigung, US-Präsident Donald Trump bei einem Staatsbesuch nicht im Parlament zu empfangen. Indirekt warf er Trump Rassismus und Sexismus vor.

Doch es gibt auch immer wieder massive Vorwürfe von Ex-Mitarbeitern und Kollegen gegen ihn. Sein Ex-Privatsekretär Angus Sinclair etwa behauptete, Bercow habe ihn vor anderen Mitarbeitern angeschrien. Mehrere Parlamentarierinnen soll er beleidigt haben.

Ehefrau Für Aufsehen sorgte auch sein Familienleben: Ehefrau Sally, die Bercow um einen Kopf überragt und eine Anhängerin der oppositionellen Labour-Partei ist, fiel mehrfach mit erotischen Fotos und frivolen Äußerungen auf. Ihr Einzug ins Big-Brother-Haus löste bei ihrem Mann keine Begeisterung aus – er reiste nach Indien.

Für Aufsehen sorgte auch sein Familienleben.

In den vergangenen Jahren entfremdete sich Bercow, ursprünglich ein Konservativer, von den regierenden Tories. Er sieht sich als Verteidiger des Parlaments gegen eine Regierung, die zunehmend autoritäre Züge trägt.

Er nahm auch den Kampf gegen die britische Boulevardpresse auf, die EU-freundliche Abgeordnete als Meuterer anprangerte. Bercow rief den Abgeordneten im Unterhaus zu: »Bei der Abgabe Ihrer Stimme ... sind Sie als Mitglied des Parlaments niemals Meuterer, niemals Verräter, niemals Querulanten, niemals Volksfeinde.« (mit ja)

Kommentar

Müssen immer erst Juden sterben?

Der Anschlag von Sydney sollte auch für Deutschland ein Weckruf sein. Wer weiter zulässt, dass auf Straßen und Plätzen zur globalen Intifada aufgerufen wird, sollte sich nicht wundern, wenn der Terror auch zu uns kommt

von Michael Thaidigsmann  14.12.2025

Meinung

Blut statt Licht

Das Abwarten, Abwiegeln, das Aber, mit dem die westlichen Gesellschaften auf den rasenden Antisemitismus reagieren, machen das nächste Massaker nur zu einer Frage der Zeit. Nun war es also wieder so weit

von Sophie Albers Ben Chamo  14.12.2025 Aktualisiert

Anschlag in Sydney

Felix Klein: »Von Terror und Hass nicht einschüchtern lassen«

Zwei Männer töten und verletzen in Sydney zahlreiche Teilnehmer einer Chanukka-Feier. Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung äußert sich zu der Tat

 14.12.2025

Terror in Sydney

Zivilist entwaffnet Angreifer und wird als »Held« gefeiert

Zwei Männer schießen auf Teilnehmer einer Chanukka-Feier in Sydney: Es gibt Tote und Verletzte. Ein Video soll nun den mutigen Einsatz eines Passanten zeigen

 14.12.2025

Australien

Merz: »Angriff auf unsere gemeinsamen Werte«

Bei einem Anschlag auf eine Chanukka-Feier in der australischen Metropole gab es viele Tote und Verletzte. Der Bundeskanzler und die Minister Wadephul und Prien äußern sich zu der Tat

 14.12.2025 Aktualisiert

Terror in Sydney

Zentralrat der Juden: »In Gedanken bei den Betroffenen«

Der Zentralrat der Juden und weitere jüdische Organisationen aus Deutschland äußern sich zu dem Anschlag auf eine Chanukka-Feier im australischen Sydney

 14.12.2025 Aktualisiert

Australien

16 Tote bei antisemitischem Massaker in Sydney

Australien ist im Schockzustand: Zwei Attentäter schossen am Sonntag auf Juden, die sich in Bondi Beach zu einer Chanukka-Feier versammelt hatten

von Michael Thaidigsmann  14.12.2025 Aktualisiert

Australien

Judenfeindlicher Terroranschlag in Sydney: Zwei Personen in Polizeigewahrsam

Die Polizei ruft nach dem Angriff in Sydney dazu auf, das Gebiet des Angriffs weiter zu meiden. Der Einsatz dauere an

 14.12.2025

Terror

Medienberichte: Terroranschlag in Australien bei Chanukka-Feier

Die Polizei warnt vor einem »sich entwickelnden Vorfall« am Bondi Beach. Ersten Berichten zufolge soll das Ziel ein Chanukka-Fest gewesen sein. Australische Medien berichten von mehreren Opfern

von Denise Sternberg  14.12.2025 Aktualisiert