Russland

Moskaus Parallelwelt

Präsident Putin (l.) und Außenminister Lawrow Foto: picture alliance/dpa/TASS

Russland

Moskaus Parallelwelt

Der Kreml lobt die antisemitischen Studentenproteste in den USA und beklagt gleichzeitig den Anstieg des Judenhasses

von Alexander Friedman  27.05.2024 17:53 Uhr

Am 25. April veröffentlichte das russische Außenministerium einen Bericht über die Menschenrechtssituation in den Vereinigten Staaten. Beim US-amerikanischen Erzrivalen werden dabei eklatante Demokratiedefizite festgestellt, wobei Moskau eine kontinuierliche Verschlechterung der Situation betont. Dabei wird insbesondere eine rasante Verbreitung rassistischer, antisemitischer und islamfeindlicher Tendenzen im Land hervorgehoben.

Einerseits verurteilt das russische Außenministerium die »gewaltsame Unterdrückung« anti-israelischer Proteste – etwa an Hochschulen; andererseits gibt man sich besorgt über den nach dem 7. Oktober 2023 grassierenden Judenhass und antisemitische Gewalt in den USA. Während Washington in Russland als Israels Schutzmacht dargestellt wird, die den von Jerusalem betriebenen »Völkermord« im Gazastreifen unterstütze und die »berechtigte« Kritik im Keim zu ersticken versuche, werden die USA gleichzeitig zu einer Hochburg des Antisemitismus stilisiert.

Widersprüchlich und überzogen

Obschon diese Narrative widersprüchlich und überzogen erscheinen, ist das im Bericht vermittelte Doppelbild keinesfalls neu. In seiner anti-israelischen Rhetorik knüpft der Kreml vielmehr an die ambivalenten Feindbilder aus der Sowjetzeit an, die dann an die aktuelle politische Situation angepasst werden. So wurde in der UdSSR nach dem israelisch-arabischen Sechstagekrieg 1967 sowohl eine »jüdische Dominanz« in den USA suggeriert als auch die Verbreitung des Antisemitismus im selben Land behauptet. In ihrer Berichterstattung über die aktuellen anti-israelischen Proteste in den USA und in Europa braucht die russische Staatspropaganda also das Rad nicht neu zu erfinden.

Die offiziellen Nachrichten orientieren sich an den Einschätzungen des Außenministeriums und sind insgesamt einseitig propalästinensisch. Die regierungsnahen Medien stellen die Proteste, insbesondere die Ausschreitungen an US-amerikanischen Eliteuniversitäten, als gerechtfertigt dar.

Während die radikalen Forderungen und dabei etwa die immer wieder geäußerte Negation des Existenzrechts des Staates Israel nur am Rande (wenn überhaupt) erwähnt werden, konzentriert man sich auf die Tätigkeit der Polizei, die als unverhältnismäßig und als Ausdruck der »Scheindemokratie« im Westen gilt.

Salonfähige Nazi-Vergleiche

Die im Rahmen der propalästinensischen Proteste immer wieder verwendeten Nazi-Vergleiche sind in Russland ohnehin längst salonfähig, sie gehören zum Repertoire des Staatschefs Wladimir Putin und seines Außenministers Sergej Lawrow und haben ihren Teil zum von Soziologen registrierten Anstieg antisemitischer Ressentiments in Russland beigetragen.

Manche russischen Autoren bejubeln die Proteste als Zeichen der fortschreitenden Islamisierung des Westens und als einen Vorboten des baldigen Untergangs der westlichen Zivilisation. Die Hoffnung, gerade die Proteste an Hochschulen würden sich ähnlich wie die Demonstrationen gegen den Vietnam-Krieg Ende der 60er-Jahre oder die 2013 gegründete »Black Lives Matter«-Bewegung radikalisieren, die innenpolitischen Spannungen in den USA am Vorabend der Präsidentschaftswahl erhöhen, anschließend nach Europa überschwappen und somit den Westen von der Unterstützung der Ukraine ablenken, bleibt ein Wunschbild.

Obschon dieses Szenario sogar von den meisten russischen Amerika-Experten als unrealistisch verworfen wird, greift die Propaganda es immer wieder auf.

Drahtzieher der Proteste

Offene Antisemiten wie etwa der einflussreiche Philosoph Alexander Dugin schlachten den anti-israelischen Tenor genüsslich aus: Als Drahtzieher der Proteste fungiert in seinen kruden Verschwörungserzählungen der verhasste jüdischstämmige Philanthrop George Soros. Dugin und der ihm gleichgesinnte Fernsehjournalist Maxim Schewtschenko träumen von der Zerstörung des jüdischen Staates.

Der Politikwissenschaftler Sergej Markow formuliert hingegen etwas zurückhaltender: Er legt Israel und »den Juden« nahe, den USA abzuschwören und sich an den Weltmächten der Zukunft, Russland und China, zu orientieren. Nur so hätten sie auf dieser Welt überhaupt noch eine Zukunft. Russlands antisemitische Parallelwelt wird zunehmend krude.

Großbritannien

Verdächtiger nach Anschlag auf Synagoge in Manchester festgenommen

Der Angriff auf die Synagoge am Vorabend des höchsten jüdischen Feiertags Jom Kippur sorgte international für Bestürzung. Jetzt wurde ein weiterer Tatverdächtiger festgenommen

von Burkhard Jürgens  27.11.2025

Bereit fürs ICZ-Präsidium: Noëmi van Gelder, Arthur Braunschweig und Edi Rosenstein (v.l.n.r.)

Interview

»Meinungsvielfalt gilt es auszuhalten« 

Am 8. Dezember wählt die Gemeindeversammlung der Israelitischen Cultusgemeinde Zürich ein neues Präsidium. Zur Wahl stellen sich Noëmi van Gelder sowie Arthur Braunschweig und Edi Rosenstein für ein Co-Präsidium. Ein Gespräch über Herausforderungen an die Gemeinde, Grabenkämpfe und Visionen

von Nicole Dreyfus  27.11.2025

Fernsehen

Abschied von »Alfons«

Orange Trainingsjacke, Püschelmikro und Deutsch mit französischem Akzent: Der Kabarettist Alfons hat am 16. Dezember seine letzte Sendung beim Saarländischen Rundfunk

 27.11.2025

Schweiz

Antisemitismus auch in der queeren Szene benennen

Viele Jüdinnen und Juden fühlen sich teils unsicher, wenn in der queeren Szene über Israel gesprochen wird. Der Verein Keschet will das ändern

von Nicole Dreyfus  27.11.2025

Das Ausmalbuch "From the river to the sea" in einer Buchhandlung in Zürich.

Meinung

Ausmalen gegen die Realität

Kinderbücher sollten nicht dazu instrumentalisiert werden, Kinder niederschwellig zu prägen

von Zsolt Balkanyi-Guery  27.11.2025

USA

Personifizierter Hass

Menschen wie Nick Fuentes waren lange ein Nischenphänomen. Nun drängen sie in den Mainstream - und sind gefährlicher denn je

von Sophie Albers Ben Chamo  26.11.2025

Meinung

Die polnische Krankheit

Der Streit um einen Tweet der israelischen Schoa-Gedenkstätte Yad Vashem zeigt, dass Polen noch immer unfähig ist, sich ehrlich mit der eigenen Vergangenheit auseinanderzusetzen

von Jan Grabowski  26.11.2025

USA

Ein Stadtneurotiker wird 90

Woody Allen steht als Autor, Regisseur und Schauspieler für einzigartige Filme. Doch bis heute überschatten Missbrauchsvorwürfe sein Lebenswerk

von Barbara Schweizerhof, Sophie Albers Ben Chamo  26.11.2025

Orange Day

Palina Rojinski spricht über Gewalt in früherer Beziehung

Wie viele Frauen hat auch die Moderatorin einst in einer Beziehung Gewalt durch ihren Partner erfahren. Darüber spricht sie nun auf Instagram. Sie will anderen Mut machen, sich Hilfe zu holen

 25.11.2025