Italien

»Mein Sohn will nicht mehr Levy heißen«

Gabriele Levy Foto: Imanuel Marcus

Gabriele Levy - 67 Jahre alt, schwarze Hose, weißes Hemd und Kippa auf dem Kopf - macht Kunst. Sein Thema sind die 22 Buchstaben des hebräischen Alphabets. Er gestaltet die Buchstaben von Alef bis Tav als Skulpturen - aus Holz, Stein, Plastik, Farbe, Goldstaub und weiteren Materialien.

Seine Werkstatt liegt in einer schmalen Gasse im jüdischen Viertel von Rom, unweit der Großen Synagoge von 1904. Hier im »ghetto ebraico« gibt es zahlreiche koschere Restaurants, die etwa frittierte Artischocken anbieten - eine Spezialität der römisch-jüdischen Küche. Auf einem Platz in der Mitte liegt die Hebräische Schule, gegenüber ein Museum, das an die Schoah erinnert. Es gibt Läden mit Judaica, Lederwaren und Andenken.

Das Viertel am linken Tiberufer gehört zu den ältesten jüdischen Vierteln Europas. Jahrhundertelang war es aufgrund päpstlicher Anordnung ein Ghetto: ein separierter Bereich, in dem die Juden der Stadt seit 1555 zu wohnen verpflichtet waren. Jeden Abend schlossen sich hinter ihnen die Tore, bis ins 19. Jahrhundert hinein.

Spuren der Nazizeit - Stolpersteine

Auch die Nazizeit hat ihre blutigen Spuren hinterlassen. Zahlreiche Stolpersteine zeugen heute von deportierten und ermordeten Menschen. Am frühen Morgen des 16. Oktober 1943 stürmte die SS das Viertel. Alle Zugänge wurden abgeriegelt, bewaffnete Einheiten durchkämmten die winkelige Gegend. Von den mehr als tausend damals deportierten Menschen überlebten nur 16.

Wie ist es, mehr als 80 Jahre später, Jude in Rom zu sein? Hat sich nach dem 7. Oktober 2023 etwas verändert? Künstler und Galerist Levy, der auf einem Stuhl vor seinem Laden sitzt und mit einem anderen Ladenbesitzer plaudert, ist sogleich bereit, diese Frage zu beantworten.

Der Italiener sagt: »Mein Sohn hat mich neulich angerufen und gesagt: ‚Papa, ich will meinen Nachnamen ändern. Immer wenn ich mich jemandem vorstelle, wollen die Menschen sofort mit mir über Israel und den Gaza-Krieg sprechen.‘ « Der Name »Levy« geht auf einen der zwölf Stämme Israels der Bibel zurück; die jüdischen Wurzeln sind für sehr viele Menschen auf der Welt sofort als solche erkennbar.

Lieber Buchstaben als Davidstern

Auch goldene Kettenanhänger in Form von hebräischen Buchstaben fertigt Levy in Handarbeit an. Nach dem 7. Oktober 2023 stellte er fest, dass diese Anhänger begehrter waren denn je. »Ich habe mich gewundert und mich gefragt, warum das so ist.« Nach Gesprächen mit Kunden zeigte sich: »Sie trauen sich nicht mehr, in der Öffentlichkeit ihren Davidstern als Anhänger um den Hals zu tragen. Sie wollen aber trotzdem etwas Jüdisches haben.«

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Die hebräischen Buchstaben ähnelten teilweise dem griechischen Alphabet, seien also unauffälliger als ein Davidstern, erklärt Gabriele. Beide Alphabete haben ihre Wurzel im Phönizischen.

Einbußen seit dem Gaza-Krieg

Andere Laden- und Restaurantbesitzer im Viertel klagten seit dem Anschlag und dem sich anschließenden Gaza-Krieg über Einbußen, sagt Levy. Auch in seinem Privatleben mache sich der Krieg mit den vielen palästinensischen Toten, der auf den Anschlag der Hamas folgte, bemerkbar: »Viele meiner Freunde, die eher links eingestellt sind, haben sich von mir abgewendet.«

Die Attacke der Hamas gegen israelische Juden am 7. Oktober 2023 an der Grenze zum Gazastreifen ist in dem Viertel sichtbar. An die weiße Mauer der Jüdischen Schule haben Menschen unzählige Sticker mit Fotos der am 7. Oktober ermordeten oder entführten Israelis geklebt, darauf viele hebräische Inschriften, aber auch englische Worte: »My best friend, forever«.

Demos gegen Israel in der Ewigen Stadt

Geboren wurde Gabriele in Buenos Aires, wohin seine Mutter 1938 aus Italien emigriert war. Von hier aus zog er 1980 nach Israel, lebte in einem Kibbuz. Dann kehrte er nach Italien, das Land seiner Vorfahren zurück und wurde Software-Ingenieur - bevor er sein Herz für die Kunst entdeckte. »Mich faszinieren die hebräischen Buchstaben, seitdem ich als kleiner Junge in der Schule zusammen mit meinem Lehrer den biblischen Schöpfungsbericht auf Hebräisch las«, sagt er.

Mit der israelischen Politik ist er nicht einverstanden. »Alle meine Verwandten in Israel gehen gegen Netanjahu auf die Straße.« Aber er sieht auch zunehmende Intoleranz von Muslimen. »Nicht auf den oberen Ebenen, da funktioniert der Dialog noch. Ich rede von der Straße.«

Fast jede Woche gibt es derzeit Demonstrationen für Palästina und gegen Israel auf Roms Plätzen, viele davon mit antisemitischen Schlachtrufen, manche mit physischen Ausschreitungen. 

Schutz durch Polizei und Militär

Im jüdischen Viertel, das durch Autoabsperrungen geschützt ist und durch das immer wieder Polizei oder Militär patrouilliert, fühlt sich Gabriele Levy sicher. Anderswo in Rom ziehe er lieber seine Kippa ab, sagt er. »Aber das ist ja nicht nur hier so. In Molenbeek in Brüssel ist man ein toter Mann, wenn man mit Kippa auf die Straße geht«, betont er. Drei der Terroristen der Anschläge von Paris 2015 stammten aus Molenbeek, ebenso die Attentäter von Brüssel.

Vor dem Bauzaun der Großen Synagoge in Roms jüdischem Viertel sind großformatige Porträts von ehemaligen Geiseln zu sehen. Es sind Bilder, die sich so oder ähnlich seit dem Anschlag überall auf der Welt an Synagogen oder anderen jüdischen Einrichtungen finden - sei es in Köln, Berlin oder Wien. Sie erinnern daran: Immer noch sind etwa 20 lebende Geiseln - darunter auch Menschen mit deutscher Staatsangehörigkeit - nicht nach Hause und zu ihren Familien zurückgekehrt.

Bereit fürs ICZ-Präsidium: Noëmi van Gelder, Arthur Braunschweig und Edi Rosenstein (v.l.n.r.)

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