Der Eurovision Song Contest (ESC) im vergangenen Mai verlief für das Publikum weitgehend friedlich. Im Hintergrund jedoch beschäftigte ein ernstzunehmender Sicherheitsfall die Behörden. Wie Recherchen vom Schweizer Radio und Fernsehen SRF nun zeigen, wurde ein 25-jähriger Mann kurz vor Beginn des Großanlasses festgenommen, weil er mit Gewalttaten gegen jüdische Menschen gedroht hatte. Der Fall war bislang nicht bekannt.
Nach Angaben aus mehreren unabhängigen Quellen, die SRF vorliegen sollen, kündigte der Mann an, nach Basel zu reisen, um dort gezielt zu provozieren und jüdische Besucher anzugreifen. Die Drohungen richteten sich gegen Personen im Umfeld des ESC. Konkrete Tatpläne konnten zwar nicht festgestellt werden, Sicherheitsbehörden stuften das Risiko jedoch als hoch ein. Als mögliches Szenario galt unter anderem ein Angriff mit Stichwaffen.
Der Mann, der aus Biel stammt, ist französischer Staatsbürger mit nordafrikanischem Hintergrund. Er war den Behörden bereits bekannt und wurde als islamistisch radikalisiert eingestuft. Zudem leidet er an psychischen Erkrankungen und ist auf eine medikamentöse Behandlung angewiesen.
Verschiedene Risikofaktoren
Schon vor den Drohungen rund um den ESC war der 25-Jährige mehrfach auffällig geworden. Aktenkundig sind aggressives Verhalten im öffentlichen Raum, frühere Drohungen sowie ein Vorfall, bei dem er einen Mülleimer angezündet haben soll. Hinzu kamen Sympathiebekundungen für die Terrororganisation »Islamischer Staat«.
Der forensische Psychiater Jérôme Endrass spricht gegenüber SRF von einer besonders heiklen Konstellation: »Menschen mit einer Psychose haben bereits ein deutlich erhöhtes Gewaltrisiko. Kommt eine ideologische Radikalisierung hinzu, steigt dieses Risiko massiv.« Eine solche Kombination stelle die Sicherheitsbehörden vor große Herausforderungen.
Haft während ESC
Vor diesem Hintergrund entschieden die zuständigen Stellen, den Mann für die Dauer des ESC präventiv in Haft zu nehmen. Ziel war es, eine mögliche Gewalttat während des international beachteten Events zu verhindern. Nach dem Ende des Song Contests verfügten die Behörden seine Ausweisung aus der Schweiz.
Die Maßnahme wurde mit einer Gefährdung der inneren Sicherheit begründet und anschließend vollzogen. Der Mann wurde den französischen Behörden übergeben und nach Frankreich gebracht.
Streit um Ausschaffung
Gegen die Ausweisung läuft ein Rechtsverfahren. Wie aus dem familiären Umfeld des Mannes hervorgeht, fühle er sich ungerecht behandelt und sei aufgrund einer psychischen Erkrankung auf Betreuung angewiesen.
Das Bundesverwaltungsgericht habe verfügt, dass vor der Ausweisung sicherzustellen sei, dass in Frankreich eine angemessene medizinische und therapeutische Betreuung gewährleistet ist. Nach Auffassung des Anwalts des Mannes sei dies ungenügend erfolgt. Sein Mandant sei nach der Rückkehr nach Frankreich zunächst weitgehend auf sich allein gestellt gewesen.
Mann frei in Frankreich
Die Berner Kantonspolizei weist die Kritik zurück. Man habe den Mann ordnungsgemäß den französischen Behörden übergeben, wie aus einem Statement der Polizei in der »NZZ am Sonntag« hervorgeht. In der Regel werde dafür gesorgt, dass ausgewiesene Personen ihre Medikamente zumindest für die erste Zeit mitführten; ab der Übergabe liege die Verantwortung beim jeweiligen Herkunftsstaat. Mittlerweile lebt der 25-Jährige in Frankreich auf freiem Fuß.