Mazedonien

Leben, lernen und Ladino

Melancholisch und zart klingt der Gesang durch die Ausstellungsräume. Die Worte des Liedes sind Ladino, die dem Spanischen ähnliche Sprache der sefardischen Juden, die Ende des 15. Jahrhunderts aus Spanien fliehen mussten. Das Osmanische Reich hatte sie wegen ihrer Handelskontakte, Sprach- und Handwerkskenntnisse willkommen geheißen und sie genossen – wie alle religiösen Gemeinschaften im Osmanischen Reich – Autonomie. In Städten wie Thessaloniki, Sofia oder Skopje entstanden bald große und prosperierende jüdische Gemeinden. Ihrer Geschichte gilt ein großer Teil der Ausstellung im neuen Holocaust-Museum in Skopje.

grösse Es ist nach Israel, New York und Berlin das viertgrößte jüdische Museum weltweit und erinnert an eine fast unbekannte Geschichte der Judenvernichtung im Zweiten Weltkrieg. Die Ausstellung zeigt die lange Tradition und schließlich die fast vollständige Auslöschung jüdischen Lebens in Mazedonien und auf dem Balkan. »Unsere Absicht ist, nicht nur den Holocaust zu thematisieren, sondern zu zeigen, wie Muslime, Christen und Juden hier früher zusammengelebt haben«, erklärt Direktor Goran Sadikario. »Man nannte das ›bashkar und barabar‹ – sie lebten einerseits getrennt, in der eigenen Community, aber dennoch zusammen, in derselben Gesellschaft.«

Alle Bereiche des sozialen, religiösen und kulturellen Lebens der Juden in den ex-jugoslawischen Republiken, Bulgarien, Albanien und Griechenland werden anschaulich anhand von Fotos, Schautafeln und vielen Zeitdokumenten erläutert. »Typisch für den Balkanraum ist, dass das jüdische Familienleben hauptsächlich in den Innenhöfen stattfand. Hier wurde gekocht und gesessen, man traf sich und lachte und weinte gemeinsam«, so Sadikario. Wegen der starken Verbundenheit zu ihrer spanischen Herkunft nannten sie diese Höfe »kurtiju«.

mord Das Zusammenleben fand sein gewaltsames Ende 1943. Soldaten der bulgarischen Besatzungsmacht trieben die mazedonischen Juden in Skopje zusammen. 7.144 Menschen – nahezu die gesamte jüdische Gemeinde – wurden von dort ins Vernichtungslager nach Treblinka deportiert. »Der gesamte Prozess von der Übereinkunft zwischen Bulgarien und Deutschland bis zur Tötung der Menschen dauerte maximal fünf Wochen. An Schnelligkeit und Effizienz ist das beispiellos.« Nach dem Krieg bauten zirka 50 Überlebende die jüdische Gemeinde wieder auf. Darunter Goran Sadikarios’ Großvater, der der Deportation entkam, weil er sich der Partisanenbewegung angeschlossen hatte.

Heute umfasst die jüdische Gemeinde etwa 200 Menschen. Mit dem Holocaust-Erinnerungszentrum ist für sie ein Projekt verwirklicht worden, von dem sie lange geträumt hatten. Die Entstehungsgeschichte ist dabei so beachtlich wie ungewöhnlich. Im Jahr 2000 verabschiedete die mazedonische Regierung ein Restitutionsgesetz, das auch einen Paragrafen über den einstigen Besitz der getöteten Juden enthielt, die keine Erben hinterlassen hatten. Ihr Besitz war nach dem Krieg in Staatseigentum übergegangen.

pläne »Bis 2007 haben wir alle Daten und Dokumente über jüdische Häuser und Grundstücke gesammelt, die wir finden konnten«, erinnert sich Goran Sadikario. Regierung und Jüdische Gemeinde richteten einen Holocaust-Fonds ein, der das rückerstattete Geld verwalten sollte. Es entstand die Idee des Holocaust-Erinnerungszentrums. »Wir wollten das Geld zum Andenken an die Verstorbenen verwenden.« Das moderne Museumsgebäude steht nun genau an dem Ort des einstigen jüdischen Viertels in Skopje – direkt am Fluss, der die Stadt durchquert und mitten im Zentrum. Es ist der erste fertiggestellte Teil des Holocaust-Erinnerungszentrums, dessen Bau im Laufe des kommenden Jahres vollständig beendet sein wird.

Die kleine, aber aktive Gemeinde verfolgt große Pläne. »Wir wollen, dass hier ein regionales jüdisches Zentrum für den Balkanraum entsteht«, sagt Goran Sadikario. »Es soll ein Kulturzentrum werden. Zudem möchten wir ein Institut für jüdische Studien einrichten, in dem Toleranz gelehrt und der Dialog zwischen den Nationen und Religionen gepflegt wird.«

Kommentar

Müssen immer erst Juden sterben?

Der Anschlag von Sydney sollte auch für Deutschland ein Weckruf sein. Wer weiter zulässt, dass auf Straßen und Plätzen zur globalen Intifada aufgerufen wird, sollte sich nicht wundern, wenn der Terror auch zu uns kommt

von Michael Thaidigsmann  14.12.2025

Meinung

Blut statt Licht

Das Abwarten, Abwiegeln, das Aber, mit dem die westlichen Gesellschaften auf den rasenden Antisemitismus reagieren, machen das nächste Massaker nur zu einer Frage der Zeit. Nun war es also wieder so weit

von Sophie Albers Ben Chamo  14.12.2025 Aktualisiert

Anschlag in Sydney

Felix Klein: »Von Terror und Hass nicht einschüchtern lassen«

Zwei Männer töten und verletzen in Sydney zahlreiche Teilnehmer einer Chanukka-Feier. Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung äußert sich zu der Tat

 14.12.2025

Terror in Sydney

Zivilist entwaffnet Angreifer und wird als »Held« gefeiert

Zwei Männer schießen auf Teilnehmer einer Chanukka-Feier in Sydney: Es gibt Tote und Verletzte. Ein Video soll nun den mutigen Einsatz eines Passanten zeigen

 14.12.2025

Australien

Merz: »Angriff auf unsere gemeinsamen Werte«

Bei einem Anschlag auf eine Chanukka-Feier in der australischen Metropole gab es viele Tote und Verletzte. Der Bundeskanzler und die Minister Wadephul und Prien äußern sich zu der Tat

 14.12.2025 Aktualisiert

Terror in Sydney

Zentralrat der Juden: »In Gedanken bei den Betroffenen«

Der Zentralrat der Juden und weitere jüdische Organisationen aus Deutschland äußern sich zu dem Anschlag auf eine Chanukka-Feier im australischen Sydney

 14.12.2025 Aktualisiert

Australien

16 Tote bei antisemitischem Massaker in Sydney

Zwei Attentäter schießen auf Juden, die sich am Bondi Beach in Sydney zu einer Chanukka-Feier versammelt hatten

von Michael Thaidigsmann  15.12.2025 Aktualisiert

Australien

Judenfeindlicher Terroranschlag in Sydney: Zwei Personen in Polizeigewahrsam

Die Polizei ruft nach dem Angriff in Sydney dazu auf, das Gebiet des Angriffs weiter zu meiden. Der Einsatz dauere an

 14.12.2025

Terror

Medienberichte: Terroranschlag in Australien bei Chanukka-Feier

Die Polizei warnt vor einem »sich entwickelnden Vorfall« am Bondi Beach. Ersten Berichten zufolge soll das Ziel ein Chanukka-Fest gewesen sein. Australische Medien berichten von mehreren Opfern

von Denise Sternberg  14.12.2025 Aktualisiert