Grossbritannien

Labours Feindschaft

Anti-Israel-Demonstration in London (September 2015) Foto: dpa

Vor einigen Wochen erklärte ein ehemaliger jüdischer Mitarbeiter des Büros von Labour-Chef Jeremy Corbyn, er habe es dort als Jude nicht mehr ausgehalten. Am letzten Pessachfest, so sagte er dem britischen Guardian, sei man in Corbyns Büro über den hebräischen Gruß »Chag koscher we sameach« regelrecht besorgt gewesen. Er könne Leute verärgern, die den Zionismus ablehnen.

Wer sich intensiv mit der Labourpartei beschäftigt, den überrascht das nicht. Auch nicht, dass seit Anfang des Jahres mehr als 20 Parteimitglieder wegen Antisemitismus suspendiert wurden, darunter Londons ehemaliger Bürgermeister Ken Livingstone. Später kam eine parteiinterne Untersuchung hinzu, und dann nahm gar die Regierung den Antisemitismus in der Labourpartei unter die Lupe.

Dave Rich (45), stellvertretender Pressechef des Community Security Trust (CST), hat jahrelang am Londoner Pears Institute geforscht und eine Doktorarbeit über Antisemitismus in der britischen Linken verfasst. Um ein breiteres Publikum für das Thema zu sensibilisieren, schrieb er anhand des zusammengetragenen Materials ein Buch, das weniger akademisch daherkommt: The Left’s Jewish Problem (Das jüdische Problem der Linken) schildert den Werdegang der Antipathie, ja des Hasses gegenüber Israel und Juden innerhalb der britischen Linken.

Recherchen Rich ist seit Langem mit dem Thema vertraut. In seiner Jugend war er aktives Mitglied der sozialistisch-zionistischen Jugendbewegung Habonim Dror, und an der London School of Economics wurde er in den 90er-Jahren Sprecher der dortigen jüdischen Studentenvertretung. Es folgte ein Einsatz beim CST. Erst später kam der Drang, sich wissenschaftlich mit dem Thema zu beschäftigen. »Ich wollte durch meine Recherchen verstehen, wieso es linken Antisemitismus gibt und warum manche Leute antisemitische Haltungen haben, ohne es selbst wahrzunehmen oder zuzugeben.«

Die meisten der von ihm untersuchten antisemitischen Positionen stehen in direktem Zusammenhang mit Israel. Rich hat festgestellt, dass es hier besondere britische Nuancen gibt. Nachdem Labour jahrelang den Zionismus und die Gründung Israels unterstützt hatte, entstand die britische Antipathie gegenüber Israel erst in der Nachkriegsgeneration. »Die hatte sich nicht dem Antifaschismus und dem Klassenkampf verschrieben, sondern der Entkolonialisierung Großbritanniens«, so Rich.

Inmitten der Kämpfe in Algerien und der Theorien des französischen Schriftstellers Frantz Fanon verstanden einige Linke den Zionismus falsch und hielten ihn für eine europäische Kolonialmacht, erläutert Rich. Mithilfe antisemitischer Propaganda aus der Sowjetunion sowie neuen Bündnissen zwischen arabischen Nationalisten und britischen Linken wurde Israel neben Südafrika und den USA zum großen Übel der Welt.

Propaganda Dennoch war es kein einheitliches Bild. »Labour blieb bis in die 80er-Jahre Israel verschrieben. Und andere, wie die britischen Kommunisten, sahen arabische Nationalisten als Landeigentümer und wiesen die Propaganda der UdSSR unter Stalin ab.«

Doch es waren vor allem Mitglieder der Young Liberals, die in den 60er-Jahren die erfolgreiche Anti-Apartheidbewegung mit dem Ruf für die »Befreiung« Palästinas vereinten. Sie wurden durch internationale Dritte-Welt-Konferenzen ideologisch gestärkt und erhielten Unterstützung aus dem Irak und Ägypten, von verschiedenen Personen aus arabischen Ländern im Exil in London und der PLO sowie von einigen jüdischen Antizionisten. Oftmals wurde dabei die brutale Gewaltanwendung von Palästinensern verharmlost und bis ins Paradoxe legitimiert.

Als 1975 die UNO-Generalversammlung eine Resolution verabschiedete, wonach Zionismus Rassismus sei, begann in Großbritannien ein lang anhaltender Kampf vor allem innerhalb der Studentenverbände, der sich oft besonders gegen jüdische Studentenorganisationen richtete.

Doch laut Rich verlor Israel die Gunst der linken Mehrheit erst mit den Massakern in Sabra und Schatila im Jahr 1982. Es war zu dieser Zeit, dass ein radikales Labour-Magazin, das Ken Livingstone mit herausgab, Israels Premier Menachem Begin in SS-Uniform darstellte.

Auch anderswo werden seitdem Anspielungen auf das Dritte Reich gemacht. Viele berufen sich auf das umstrittene revisionistische Werk Lenni Brenners, Zionismus im Zeitalter des Diktators, das suggeriert, Zionisten und deutsche Nationalsozialisten hätten zusammengearbeitet.

Intifada Nach Beginn der zweiten Intifada und dem Anschlag auf das New Yorker World Trade Center begann eine weitere Episode des Judenhasses der britischen Linken: Konservative islamische Gruppen, die sich größtenteils aus der Muslimbruderschaft heraus entwickelt hatten, vereinten sich mit der pazifistischen Linken in der Stop The War Coalition. Einer ihrer Vorsitzenden war Jeremy Corbyn. Während die linken Elemente den Irakkrieg verhindern wollten, ging es den konservativen islamischen Gruppen um die Befreiung »muslimischen Landes«. Bei einer Londoner Großdemonstration gegen den bevorstehenden Irakkrieg mischten sich deshalb »Free Palestine!«- mit »No War!«-Plakaten, Bannern mit direkten antisemitischen Slogans und Israelfahnen mit Hakenkreuzen.

»Dass Corbyn heute Parteivorsitzender ist, hat viel mit dem Ausgang des Irakkrieges und dem Fall Tony Blairs zu tun«, glaubt Rich. Seit Blairs Ende und besonders seit Corbyns Aufstieg haben sich viele aus dem ultralinken Lager in den Labour-Mainstream geschlichen. Das führte zu einem Anstieg der antisemitischen Vorfälle in der Labourpartei.

Rich fiel auf: Viele Linke, die er interviewte, sind sich dessen nicht bewusst, dass sie antisemitische Positionen vertreten. »Sie glauben, weil sie Antirassisten sind, könne das, was sie von sich geben, nicht antisemitisch sein.« Hinzu komme: »Da Juden in Großbritannien heute oft sozial besser gestellt sind, wird angenommen, Äußerungen gegen Juden seien nicht rassistisch, »denn nach der Definition vieler linken Briten kann sich Rassismus nur gegen sozial Schwächere richten.«

Dave Rich: »The Left’s Jewish Problem. Jeremy Corbyn, Israel and Anti-Semitism«. Biteback Publishing, London 2016, 320 S., 12,99 £

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