Brüssel

Kurswechsel in Belgien?

Wurde von König Philippe (l) zum neuen belgischen Premier ernannt: Bart De Wever Foto: IMAGO/Photo News

Belgien war in den letzten Jahren nicht für einen besonders israelfreundlichen Kurs bekannt. Das lag vor allem daran, dass die Föderalregierung, die seit vielen Jahren eine Mehrparteienkoalition ist, eher linksliberal orientiert war.

Am 9. Juni 2024 fanden in Belgien Parlamentswahlen statt. Doch erst jetzt wurde, nach langwierigen und mehrmals vom Scheitern bedrohten Koalitionsverhandlungen, der Antwerpener Bürgermeister und Chef der flämischen Nationalistenpartei N-VA, Bart De Wever, von König Philippe zum neuen Premierminister vereidigt. Auch die neuen Minister - elf Männer und nur vier Frauen - wurden am Montag ernannt.

Die sogenannte »Arizona-Koalition« besteht aus fünf Parteien: Neben der wichtigsten Kraft, der N-VA, sind das die flämischen und wallonischen Christdemokraten (CV&V und Les Engagés), die flämischen Sozialdemokraten (Vooruit) und die wallonischen Liberalen (MR). Die Grünen, die flämischen Liberalen (OpenVLD) und die wallonischen Sozialisten (PS) sind hingegen nicht mehr im Kabinett vertreten.

Innenpolitisch kommt dies einem deutlichen Rechtsruck gleich, der sich vor allem in der Wirtschafts- und Sozialpolitik bemerkbar machen dürfte. De Wever kündigte bereits jetzt eine umfassende Steuerreform sowie eine mit der Agenda 2010 in Deutschland vergleichbare Reform der Arbeitslosenunterstützung an.

Doch auch im Hinblick auf die belgische Außenpolitik dürfte sich einiges verändern. Das gilt insbesondere für den Nahen Osten. Einige Minister in der bisherigen Regierung von Premierminister Alexander De Croo, vor allem die Grüne Petra De Sutter und die Entwicklungshilfeministerin Caroline Gennez (Vooruit), taten sich gerne und häufig mit Israel-Kritik hervor und forderten Sanktionen gegen den jüdischen Staat. Beide werden nicht mehr am Kabinettstisch sitzen und auch politischen Forderungen dürften an Gewicht verlieren.

Zwar setzt die Koalitionsvereinbarung der neuen Partner in puncto Nahost weiterhin auf Frieden und Diplomatie. Einseitige Forderungen wie die nach einem Boykott israelischer Waren aus den besetzten Gebieten, einer Aufhebung des Assoziierungsabkommens der Europäischen Union mit Israel oder die einseitige Anerkennung eines Staates Palästina finden sich darin aber ebenso wenig wie ein Beitritt Belgiens zur Klage Südafrikas gegen Israel vor dem Internationalen Gerichtshof.

Lesen Sie auch

Laut Koalitionsvertrag soll die Terror-Miliz Hisbollah künftig in Belgien komplett verboten sein. »Wir treten dafür ein, die künstliche Unterscheidung zwischen einem politischen und einem militärischen Flügel der Hisbollah aufzuheben«, heißt es in dem Papier. Bislang ist nur der militärische Teil der vom Iran finanzierten Organisation auf der schwarzen Liste der verbotenen Vereinigungen.

Gegenüber dem Regime im Iran will Belgien eine deutlich härtere Gangart einschlagen. So wolle man »die Initiative ergreifen, um die iranischen Revolutionsgarden auf die europäische Terrorliste zu setzen, und wir fordern härtere wirtschaftliche und andere Sanktionen.« Außerdem wird die Islamische Republik aufgefordert, die Region nicht länger über Stellvertreterorganisationen wie die Hisbollah zu destabilisieren.

Externer Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel anreichert. Wir benötigen Ihre Zustimmung, bevor Sie Inhalte von Sozialen Netzwerken ansehen und mit diesen interagieren können.

Mit dem Betätigen der Schaltfläche erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihnen Inhalte aus Sozialen Netzwerken angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittanbieter übermittelt werden. Dazu ist ggf. die Speicherung von Cookies auf Ihrem Gerät nötig. Mehr Informationen finden Sie hier.

In der Koalitionsvereinbarung wird ferner dazu aufgerufen, gegen Hassaufrufe in palästinensischen Schulbüchern, auf Fernsehkanälen und in Moscheen vorzugehen. Schulen und Einrichtungen, die nach Selbstmordattentätern benannt sind, müssten ein für alle Mal der Vergangenheit angehören. Doch auch israelische Siedler im Westjordanland, die Gewalt gegen Palästinenser anwenden, sollen nach dem Willen der Koalitionspartner sanktioniert werden. Das Ziel Belgiens, so das 209 Seiten lange Papier, bleibe eine Zwei-Staaten-Lösung.

Im Inland sollen künftig Organisationen, die den Terrorismus verherrlichen oder Antisemitismus verbreiten, verboten werden. Besonders im Visier steht dabei die palästinensische Samidoun, die als Vorfeldorganisation der Terrororganisation PFLP gilt. In Deutschland wurde Samidoun nach den Massakern des 7. Oktober 2023 verboten; in Belgien ist sie bislang noch aktiv.

»Wir schaffen einen Rechtsrahmen, der es nach dem Vorbild unserer Nachbarländer ermöglicht, Organisationen zu verbieten, die gefährlichen Radikalen wie Samidoun aufgrund ihrer Verbindungen zum Terrorismus oder zur Verbreitung von Antisemitismus in unserem Land und dies auf der Grundlage von Informationen, die bereits in einem europäischen Kontext verfügbar sind«, so die Koalitionsvereinbarung.

Zudem will die Regierung De Wever eine Liste von sogenannten Hasspredigern erstellen lassen, die künftig nicht mehr nach Belgien einreisen dürfen, beziehungsweise ausgewiesen werden sollen. Anders als der Koalitionsvertrag der Vorgänger-Regierung enthält das Papier ein ausdrückliches Bekenntnis zum Kampf des Staates gegen Antisemitismus.

Externer Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel anreichert. Wir benötigen Ihre Zustimmung, bevor Sie Inhalte von Sozialen Netzwerken ansehen und mit diesen interagieren können.

Mit dem Betätigen der Schaltfläche erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihnen Inhalte aus Sozialen Netzwerken angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittanbieter übermittelt werden. Dazu ist ggf. die Speicherung von Cookies auf Ihrem Gerät nötig. Mehr Informationen finden Sie hier.

Der jüdische Parlamentsabgeordnete Michael Freilich von der N-VA lobte die Einigung. »Ich bin besonders zufrieden, dass die neue Regierung klare Positionen vertritt und konkrete Maßnahmen zur Bekämpfung von Terror, Antisemitismus und Extremismus vorsieht. Diese Vereinbarung stellt einen bedeutenden Fortschritt dar und gibt Hoffnung auf eine sicherere und gerechtere Politik in Belgien und darüber hinaus.«

Freilich sagte, er freue sich, dass die neue Regierung ein ehrlicher und neutraler Mittler sein wolle im Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern und nicht wie bislang einseitig. Freilichs Parteifreund Theo Francken, der sich in den vergangenen Jahren eindeutig pro-israelisch positioniert hat, wird neuer belgischer Verteidigungsminister. Das Außenamt übernimmt der Chef von Les Engagés und bisherige Bürgermeister der Stadt Namur, Maxime Prévot, ein Neuling in der Außenpolitik.

Auch Premierminister De Wever hat in außenpolitischen Fragen bislang mit Statements zurückgehalten. Er gilt aber als ausgewiesener Freund der überwiegend orthodoxen jüdischen Gemeinschaft in der Großstadt Antwerpen, die er seit 2013 als Bürgermeister regierte. Nach den islamistischen Terroranschlägen in Belgien 2014 und 2016 wurden jüdischen Einrichtungen in der Stadt auch durch Soldaten der belgischen Armee beschützt. Dies soll künftig auch wieder möglich sein.

De Wevers neue Mannschaft dürfte mit ihrem israelfreundlichen Kurs aber auf Gegenwind von linken Parteien stoßen. So stimmte der Hauptausschuss des Brüsseler Regionalparlaments diese Woche einen Antrag zu, in dem Sanktionen gegen Israel gefordert werden.

Österreich

Auge in Auge mit Antizionisten

Wie spricht man mit Menschen, die Israel hassen? Und was, wenn sie Juden sind? Ein Selbstversuch in Wien

von Gunda Trepp  18.08.2025

Berlin

Sam Altman: Ehrung von Axel Springer SE

Der amerikanische Jude gilt als Vordenker auf dem Feld der KI und als Architekt einer neuen technologischen Ära

 18.08.2025

Meinung

Soll die Schweiz Palästina anerkennen?

Eine Anerkennung von Palästina wäre für die Schweiz ein außenpolitischer Kurswechsel, von dem niemand profitiert

von Nicole Dreyfus  17.08.2025

USA

»Don’t dream it, be it!«

Auch die »Rocky Horror Picture Show« hat jüdische Seiten. Und dabei geht es nicht nur um Bagels. Mazal tov zum Fünfzigsten!

von Sophie Albers Ben Chamo  17.08.2025

Zürich

Die gute Seele der Gemeinde

Seit 13 Jahren sorgt der muslimische Hausmeister Michel Alassani dafür, dass im Gebäude der Israelitischen Cultusgemeinde alles rundläuft

von Nicole Dreyfus  14.08.2025

Slowakei

»Wir würden es als großen Verlust empfinden«

Durch beherztes Handeln konnte die Stadtverwaltung von Prešov die Schließung des örtlichen Jüdischen Museums verhindern

von György Polgár  12.08.2025

Debatte

Missbrauch der Sarajevo-Haggada für Hetze gegen Israel

Ein Kommentar von Rabbiner Pinchas Goldschmidt

von Rabbiner Pinchas Goldschmidt  11.08.2025

Schweiz

Der Breslauer Schatz

Tausende Schriften stehen für das Überleben der jüdischen Kultur in Europa. Nun sollen sie endlich restauriert und zukünftigen Generationen zugänglich gemacht werden

von Leticia Witte, Ralf Balke  11.08.2025

Berlin

Holocaust-Überlebende zweifeln an Deutschland

Das Waffenembargo verunsichert auch Schoa-Überlebende in Israel - das meint der Vizepräsident des Internationalen Auschwitz Komitees

 10.08.2025