Die Schweizer Regierung plant, kriegsverletzte Kinder aus dem Gazastreifen aufzunehmen, um ihnen in Schweizer Spitälern medizinische Versorgung zukommen zu lassen. Die Kinder sollen von maximal vier Familienangehörigen begleitet werden. Der Bund spricht von maximal 100 Personen, die somit in die Schweiz kommen würden. Ende September bereits kündigte der Bundesrat die humanitäre Aktion an. Während einige Kantone ihre Bereitschaft signalisierten und eine Aufnahme befürworteten, entzündete sich im Kanton Zürich eine politische Debatte darüber.
So zeigten sich die Kantone Basel-Stadt, Genf, Tessin und Wallis positiv gegenüber dem Vorhaben, die verletzten Kinder aufzunehmen. In Basel-Stadt beispielsweise wurde bestätigt, dass vier Kinder im Universitäts-Kinderspital beider Basel betreut werden sollen. Andere Kantone wie St. Gallen und Graubünden stehen noch in der Abklärungsphase oder haben sich noch nicht öffentlich positioniert.
Debatte im Kanton Zürich
Im Kanton Zürich lehnte Gesundheitsdirektorin Natalie Rickli die unverbindliche Anfrage des Bundes ab, was aus linken Kreisen zu Forderungen nach einer solidarischen Haltung führte. Rickli begründete ihre Absage damit, dass ihre Direktion grundsätzlich nicht auf unverbindliche Anfragen reagiere.
Kritik kam insbesondere von der kantonalen SP, die fordert, dass der Regierungsrat von der ursprünglichen Absage Abstand nimmt. Die Partei verweist darauf, dass der Kanton mit dem Kinderspital Zürich eines der führenden Kinder- und Jugendmedizin-Zentren der Schweiz beherberge und über ausreichende Ressourcen verfüge. Die Zürcher SP startete eine Petition, die bis zum genannten Zeitpunkt über 42000 Unterschriften sammelte, um die Regierung zum Umdenken zu bewegen.
Die Medienstelle der Zürcher Gesundheitsdirektion ließ eine Anfrage zu Natalie Ricklis Haltung in dieser Angelegenheit unbeantwortet. Wie ein Sprecher der Zürcher Regierung gegenüber dem »Sonntagsblick« jedoch sagte, »werde der Zürcher Regierungsrat die Aufnahmefrage nach den Herbstferien besprechen.« Erst dann sei mit einem definitiven Entscheid zu rechnen. Es ist unklar, ob dieser Entschied noch diese Woche getroffen wird.
Viele ungeklärte Fragen
Auch über den Ablauf der Aufnahme ist bislang wenig bekannt. Es ist davon auszugehen, dass der Aufenthalt längerfristig ausgelegt wird und die Kinder inklusive ihrer Begleitpersonen dann in der Schweiz Asyl beantragen können. Wie aus einer Mitteilung des Staatssekretariats für Migration (SEM) hervorgeht, würden die Kinder und ihre Begleitpersonen ein Asylverfahren vor ihrer Einreise in die Schweiz durchlaufen. Dabei erfolge auch eine Sicherheitskontrolle durch die Bundesbehörden, so das Schreiben.
»Der Bund übernimmt die Kosten für die Koordination und den Transport in die Schweiz. Die Kosten für die medizinische Behandlung der Kinder werden auf freiwilliger Basis von den Standortkantonen der Spitäler beziehungsweise den Spitälern getragen«, heißt es in der Mitteilung. Neben den Sicherheitsaspekten sowie der Frage, ob die Begleitpersonen ein Sicherheitsrisiko für die Schweiz sein können, gibt es viele weitere ungeklärte Fragen.
SEM-Kommunikationschef Daniel Bach sagte am Dienstag gegenüber dieser Zeitung lediglich: »Die humanitäre Operation zur Evakuierung verletzter Kinder aus Gaza ist, wie angekündigt, in Vorbereitung. Bund und Kantone stehen dazu miteinander im Austausch und werden gemeinsam über die konkrete Umsetzung informieren.« Die Frage nach der Dauer des Aufenthalts der Kinder ließ Bach ebenfalls unbeantwortet.
Sicherheitsrisiko für Schweizer Juden?
Dass die Finanzierung nicht klar geregelt und die Anzahl der Begleitpersonen überdimensioniert sind, daran stört sich auch der Kanton Bern, der dies dem SEM mitgeteilt hat. Das bestätigt Gundekar Giebel von der Gesundheits-, Sozial- und Integrationsdirektion des Kantons Bern. »Der Kanton Bern verzichtet zurzeit darauf, Patientinnen und Patienten im vorgesehenen Rahmen aufzunehmen, da die Bedingungen nicht erfüllt sind. Zudem müssten sich die Prioritäten im Asylsystem auf eine Umsetzung des geltenden Gesetzes konzentrieren, was bedeutet, »dass Personen, die in die Kantone überstellt werden, bis auf wenige Ausnahmen, einen Status haben müssen«.
Während sich die Kantone vor allem auf juristische Vorbehalte berufen, ist die Sorge in der jüdischen Bevölkerung ganz konkret: »Wir wissen nicht, um wen es sich bei den Kindern aber noch viel mehr bei den Erwachsenen handelt«, sagt GLP-Politiker Ronny Siev, der Mitglied des Zürcher Stadtparlament und selbst jüdisch ist. »Die Situation der physischen Sicherheit der Juden in der Schweiz ist seit dem 7. Oktober prekär. Wenn nun mit eliminatorischen Judenhass indoktrinierte und traumatisierte Menschen aus Gaza in der Schweiz auf Mitglieder der jüdischen Gemeinschaft treffen, wie kann dann die Politik unsere Sicherheit noch absolut garantieren? Es gibt keinen Grund, dieses unnötige Risiko einzugehen. Die Kinder können genauso gut in arabischen Staaten behandelt werden.«
Noch ist nicht klar, ob und wann die palästinensischen Kinder auch in die Schweiz kommen. Doch die Debatte darüber dürfte noch nicht zu Ende geführt sein.