London

Jüdisches Kronjuwel

Das Innere der Bevis-Marks-Synagoge in London orientiert sich am Vorbild der Amsterdamer Portugiesischen Synagoge. Foto: Blake Ezra

In der Londoner City liegt etwas versteckt die 318 Jahre alte Synagoge Bevis Marks, inmitten des Straßengewirrs mit Hochhäusern und futuristischen Gebäuden. Direkt nebenan ragt der Wolkenkratzer »The Gherkin« (Die Gewürzgurke) in den Himmel, die Kathedrale St. Pauls liegt einen Kilometer westlich, der Tower of London ein paar Straßen südlich.

Bevis Marks ist ein Geheimtipp, nicht viele Besucher kommen hierher. Hinter einem schmiedeeisernen Gitter öffnet sich ein schmaler Innenhof, der zum Portal des 1701 eingeweihten Backsteinbaus führt.

Bomben Bevis Marks ist die älteste bis heute kontinuierlich genutzte Synagoge Großbritanniens und eine der ältesten in Europa. Sie hat den Bombenregen des Zweiten Weltkriegs überstanden und ebenso zwei IRA-Bombenanschläge auf die City in den frühen 90er-Jahren.

»Bevis Marks wird auch Kronjuwel des britischen Judentums genannt, wegen der Schönheit und Geschichte unserer Synagoge«, sagt Rabbi Shalom Morris. Der 39-jährige Amerikaner ist seit vier Jahren Rabbiner der sefardischen Gemeinde. Jetzt sitzt er sichtlich zufrieden auf den alten Holzbänken, über ihm die glanzvollen bronzenen Kerzenleuchter, und erzählt von den großen Plänen: »Wir schaffen ein Zentrum, um die Geschichte der britischen Juden zu erzählen, ein kulturelles und religiöses Zentrum, um unser Erbe zu zeigen.«

An der Seite der Synagoge, wo jetzt ein etwas heruntergekommener Raum mit Glasdach liegt, soll auf zwei Etagen eine moderne Ausstellung entstehen. Sie wird auch einen unterirdischen Gang umfassen, der heute mit Regalen, verstaubten Kisten und einer Kühltruhe vollgestellt ist, in die eine Gemeindemitarbeiterin gerade jede Menge Eis und Fleisch einräumt.

»Wir sind die Wiege der britischen Juden.« Rabbi Shalom Morris

Zu den Schätzen der Synagoge gehören nicht nur die fast vollständigen Archivalien seit dem frühen 18. Jahrhundert, sondern auch wertvolle religiöse Objekte aus Silber und Bronze. »Heute liegt das alles in Bibliotheken und in Banksafes, wir wollen es zeigen«, sagt Morris.

Bislang kommen nur etwa 5000 Besucher im Jahr, um die Synagoge zu sehen. Rabbi Morris hofft, das künftige Ausstellungszentrum werde zu einem Magnet für jährlich 25.000 Besucher und Touristen. Auch ganze Schulklassen sollen kommen, um etwas über jüdisches Leben zu erfahren.

Bei der Finanzierung hilft, dass die staatliche Nationale Lotterie im vergangenen Sommer 2,8 Millionen Pfund für Bevis Marks in Aussicht gestellt hat. Das Geld wird ausbezahlt, wenn die Gemeinde selbst noch mindestens 1,2 Millionen Pfund zusammentragen kann. »Die Spendensammlung läuft gut«, berichtet Morris.

Gerade hat er einen potenziellen Geldgeber durch die Synagoge geführt. Es fehlen noch etwa eine halbe Million Pfund, sagt er. Insgesamt braucht die Gemeinde fast sechs Millionen Pfund, um auch die Synagoge zu renovieren. Dass Prinz Charles das Projekt als Schirmherr unterstützt, hilft ebenfalls. »Das ist eine sehr bedeutende symbolische Geste«, sagt Rabbi Morris.

Bevis Marks ist tatsächlich von größter Bedeutung für Britanniens Juden. Ende des 13. Jahrhunderts hatte König Edward I. alle Juden aus dem Land ausgewiesen. In den 1640er-Jahren ließ Oliver Cromwell die Juden, die in zunehmender Zahl aus Spanien vor der Inquisition nach Amsterdam und auch nach England flüchteten, auf der Insel ihre Religion praktizieren. 1656 wurde sie offiziell wieder zugelassen.

Prinz Charles unterstützt das Projekt als Schirmherr.

Die Gemeinde der spanischen und portugiesischen Juden in London wuchs, ihre erste Synagoge im Londoner East End wurde bald zu klein. So gaben sie beim Baumeister Joseph Avis, einem Quäker, der mit dem klassizistisch-barocken Architekten Christopher Wren zusammengearbeitet hatte, den Auftrag für ein neues Versammlungs- und Bethaus. Königin Anne unterstützte den Bau, indem sie Eichenholz für die Dachkonstruktion schenkte.

Die Synagoge, errichtet 1699 bis 1701, wirkt von außen schlicht, sie ist ein Kastenbau aus dunkelroten Backsteinen. Das Innere orientiert sich am Vorbild der Esnoga, der Amsterdamer Portugiesischen Synagoge. Aus hellerem Holz gibt es an drei Seiten Frauenemporen, und der Raum erhält viel Licht durch große Fenster. Von der Decke hängen sieben mächtige Bronzeleuchter, einer war ein Geschenk aus Amsterdam. An der östlichen Wand steht der Toraschrein mit vergoldeter Aufschrift. Offiziell heißt die Synagoge »Heilige Kongregation vom Tor zum Himmel«.

Montefiore Über die Jahrhunderte verkehrten hier einige bedeutende Persönlichkeiten. Im 19. Jahrhundert etwa der Bankier und Mäzen Moses Montefiore, ein Schwager Nathan Mayer Rothschilds, der zum Sheriff von London gewählt wurde und freundschaftliche Beziehungen zu Königin Victoria unterhielt. Auch die Boxerlegende Daniel Mendoza, erster jüdischer »Englischer Meister«, betete in Bevis Marks. Der Vater von Benjamin Disraeli war Gemeindemitglied – bis er wegen eines Streits ausschied und seinen Sohn, der 1868 zum britischen Premierminister aufstieg, taufen ließ.

Die sefardische Gemeinde wurde bald von der wachsenden Zahl aschkenasischer Juden übertroffen. Im späteren 19. Jahrhundert zogen immer mehr erfolgreiche sefardische Juden aus dem ärmlichen Londoner Ostend in den Westen der Stadt und in Vororte im Nordwesten, sodass die sefardische Gemeinde von Bevis Marks stark schrumpfte und kaum noch Mittel hatte. So überlegte man, die Synagoge aufzugeben, an die aschkenasische Gemeinde zu verkaufen, oder sie gar abreißen zu lassen. Doch zum Glück blieb sie erhalten.

Dass Bevis Marks bis heute von zentraler Bedeutung in Großbritannien ist, zeigen auch große Gedenkveranstaltungen: 2017 wurde dort eine 100-Jahrfeier der Balfour-Deklaration begangen, zu Gast waren auch die frühere Premierministerin Theresa May und Israels Premier Benjamin Netanjahu.

Heute leben etwa 200.000 Juden im Großraum London, mehrere Tausend arbeiten in der City. Rabbi Morris hofft, mehr von ihnen und ebenso jüdische Touristen in seine Synagoge locken zu können, die am Schabbat gewöhnlich etwa 40, an den Hohen Festtagen aber bis zu 300 Beter anzieht. »Wir sind die Wiege der britischen Juden«, sagt er selbstbewusst.

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