Australien

Judenhass in Down Under

Am vergangenen Freitag versammelten sich rund 20 Menschen in Melbournes ältester Synagoge, der East Melbourne Hebrew Congregation, nach dem Schabbatgottesdienst, als plötzlich die Eingangstür mit Benzin übergossen und angezündet wurde. Keine halbe Stunde später stürmten »propalästinensische« Aktivisten das anderthalb Kilometer entfernte jüdische Res­taurant »Miznon«. Gäste schrien vor Angst, Tische und Stühle wurden umgeworfen, das Personal angegriffen, eine Scheibe zerbarst.

Später wurden vor einem mit Israel kooperierenden Unternehmen Autos angezündet und am Sonntag auf einer Demonstration »Tod der IDF« skandiert. Am selben Tag stand Australiens Innenminister Tony Burke vor den verbrannten Türen der Synagoge und erklärte: »Was wir hinter mir an der Tür sehen, ist ein Angriff auf Australien. Die jüdische Gemeinde in Australien wurde verletzt, und wir wurden als Nation verletzt.« Der Moment, als am 9. Oktober 2023 die Oper von Sydney in Solidarität mit dem angegriffenen Israel beleuchtet war, ist für die meisten Mitglieder der jüdischen Gemeinschaft des Landes heute nur noch eine ferne Erinnerung.

Im Januar wurden in der Military Road in Dover Heights, einem dicht besiedelten jüdischen Viertel von Sydney, mehrere Autos mit »F*** Jews« besprüht, mit Benzin übergossen und angezündet – direkt vor dem Haus des Co-Vorsitzenden des Exekutivrats der australischen Juden, Alex Ryvchin. Antisemitische Vorfälle gehören für ihn zum Alltag, doch diesmal war es persönlich. Eine seiner Töchter fragte ihn, ob das Leben in Sydney noch sicher sei. Zwei Tage später wurde ein nahe gelegener Kindergarten angegriffen. Wieder Schmierereien und Brandstiftung. Ryvchin war gerade auf dem Weg nach Polen, um Australiens jüdische Gemeinde beim 80. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz zu vertreten.

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Juden sind seit 1788 Teil der Landesgeschichte. Mindestens acht jüdische Häftlinge kamen in die britische Strafkolonie, die Australien damals war. Die Bevölkerung wuchs, vor allem nach der Schoa. Für sehr lange Zeit waren gewalttätige antisemitische Übergriffe die Ausnahme.

Laut dem Jahresbericht der globalen Task Force gegen Antisemitismus J7 ist die jüdische Gemeinschaft Australiens seit dem 7. Oktober 2023 regelmäßig Ziel antisemitischer Angriffe, darunter Brandstiftung, Vandalismus, ein mit Sprengstoff gefüllter Wohnwagen, der ein »Massaker« verursachen sollte, und zwei Krankenpfleger, die angeklagt wurden, nachdem sie auf TikTok verkündet hatten, Juden zu töten, die in ihr Krankenhaus kämen. Auch Neofaschisten und weiß-nationalis­tische Gruppen zeigen sich im öffentlichen Raum zunehmend unverhohlen.

Im vergangenen Jahr stieg die Zahl der Angriffe um 317 Prozent

2024 stieg die Zahl der Angriffe um 317 Prozent. In Australien machen Juden etwa 0,4 Prozent der Gesamtbevölkerung aus, aber sie sind Opfer von 33 Prozent aller Hassverbrechen, die im Bundesstaat New South Wales in diesem Jahr bisher registriert wurden.

Das spüren auch jüdische Studierende. Holly Feldman, Co-Präsidentin der Australasian Union of Jewish Students (AUJS), berichtet, dass es in den vergangenen 19 Monaten an den Universitäten immer wieder zu Feindseligkeiten und offenem Antisemitismus gekommen sei. »Wir wissen, dass jüdische Studenten ihr Studium verschoben oder die Uni gewechselt haben, weil die Situation durch Zeltlager und antisemitische Parolen zunehmend unerträglich wurde.«

Zwei Tage später wurde ein Kindergarten angegriffen. Wieder Brandstiftung.

Auch jüdische Mitarbeiter wurden attackiert. Am 9. Oktober 2024 wurde das Büro von Steven Prawer, Professor an der Universität von Melbourne, »besetzt« und verwüstet. Vier der 20 Studenten droht die Suspendierung, was für die Universität beispiellos ist. Im vergangenen Jahr legte die AUJS der Regierung einen Bericht zum Antisemitismus auf dem Campus vor. Immerhin 39 australische Universitäten haben sich auf eine Arbeitsdefinition von Antisemitismus geeinigt. Für Feldman ein »wichtiger Schritt. Jetzt müssen die Universitäten diese Definition noch übernehmen und umsetzen«.

Doch der Widerstand formiert sich. Laut »Amnesty International Australia« will die Mitarbeitergruppe der Universität Sydney für Palästina gegen diese Definition vorgehen, die »eine Gefahr für die akademische und intellektuelle Freiheit« sei. Eine Verzerrung, so nennt es Feldman. »Es geht nicht darum, die freie Meinungsäußerung zu unterdrücken, es geht darum, zu erkennen, wann bestimmte Äußerungen die Grenze zum Hass überschreiten. Jüdische Studierende verdienen denselben Schutz und dieselbe Würde wie jede andere Gruppe auf dem Campus.«

Jüdische Schüler wurden verfolgt und bedroht

An Schulen sieht es ähnlich aus. Eine parlamentarische Untersuchung hat ergeben, dass Kinder an jüdischen Schulen in Sydney in den vergangenen zwei Jahren auf der Straße verfolgt, mit Eiern beworfen, mit Nazi-Grüßen konfrontiert und mit dem Tod bedroht wurden. Lehrer müssten wie eine »Anti-Terror-Einheit« agieren. »Das ist unsere neue Normalität«, sagt die Direktorin des Moriah College, Miriam Hasofer.

Auch in der Politik werden seit dem 7. Oktober jüdische, aber auch nichtjüdische Abgeordnete angegriffen. Vertreter der derzeitigen Regierungspartei, der Australian Labor Party, waren landesweit Zielscheibe: Büros wurden mit roter Farbe bespritzt oder mit dem Slogan »Tod der Labor Party« beschmiert. Besonders schwer betroffen war der Abgeordnete Josh Burns, der den Bezirk Macnamara in Victoria vertritt. Sein Büro wurde im April 2024 nachts überfallen, Fenster eingeschlagen, und mit roter Farbe wurden die Worte »Zionismus ist Faschismus« auf die Außenwände gesprüht.

Premierminister Anthony Albanese äußerte sich besorgt über die Eskalation, während die Vorsitzende der Grünen in Victoria, Ellen Sandell, Gewalt und Sachbeschädigungen zwar verurteilte, aber dann darauf hinwies, dass die dahinterstehende Bewegung ja ein Ende des Krieges in Gaza fordere und weitgehend friedlich sei.

Antisemitische Schmierereien auf Wahlplakaten

Bei den Parlamentswahlen im Mai gewann die Australian Labor Party mit überwältigender Mehrheit in allen Bundesstaaten und Territorien. Dean Sherr, ehemaliger Berater von Premier Albanese und Mitglied der jüdischen Gemeinde, war als Freund im Wahlkampf unterwegs, um Burns bei seiner Kampagne zu unterstützen. Im Gespräch mit dieser Zeitung sagte er, wie verblüfft er gewesen sei, als er »Josh mit einem Sicherheitsaufgebot der Bundespolizei zu öffentlichen Veranstaltungen und lokalen Kandidaten-Debatten gehen sah«.

Das sei ein Zeichen »für die große Angst, dass seine Sicherheit ernsthaft bedroht sein könnte«. Die Opposition hatte die gleichen Probleme. Der jüdische liberale Abgeordnete von Berowra in Sydney, Julian Leeser, berichtete, dass seine Plakate mit antisemitischen Graffiti beschmiert worden seien und er sich gelegentlich böse Kommentare von Wählern im Wahllokalen anhören musste.

Leeser zeigte sich auch erschüttert darüber, dass sein nichtjüdischer Kollege in Queensland, der Abgeordnete Andrew Wallace, »ebenfalls Opfer von Schmiere­reien mit Nazi-Symbolen auf Plakaten wurde, nur weil er sich im Parlament gegen Antisemitismus und für Israel und die jüdischen Australier einsetzt«.

Während die Öffentlichkeit bald das Interesse verlor, nahmen die gewalttätigen antisemitischen Angriffe zu. Am 6. Dezember 2024 gab es einen Brandanschlag auf die Adass-Israel-Synagoge in Melbourne, woraufhin die Bundespolizei (AFP) die Spezialeinheit »Operation Avalite« gründete, eine Ermittlereinheit zur Terrorismusabwehr. Die Regierung ernannte eine Sonderbeauftragte für Antisemitismus, derzeit Jillian Segal, und hat die Gesetze gegen Hassverbrechen verschärft. Ex-Berater Sherr meint, die Regierung habe verstanden, wie tief die jüdische Gemeinschaft in den vergangenen Jahren traumatisiert wurde. Durch »konzertierte gesetzgeberische Maßnahmen« machte sie deutlich, dass »man weiterhin auf die Gemeinschaft hören werde«.

Die Grenzen der Regierung

Einige glauben kaum, dass dies ausreicht. »Es hat Monate gedauert, bis gegen Hasssymbole vorgegangen und eine Sonderbeauftragte ernannt wurde, die dann ihren Rat ignoriert hat«, sagt der Abgeordnete Leeser. »Sie haben es versäumt, die Strafverfolgungsbehörden zu koordinieren und gewalttätige Proteste zu unterbinden. Jüdische Studenten sind auf dem Campus weiterhin zunehmender Feindseligkeit ausgesetzt, jüdische Künstler werden aus ihrem Sektor verbannt. Wir brauchen echte Maßnahmen.«

Alex Ryvchin glaubt, dass »wir letztendlich die Grenzen der Regierung gesehen haben«, und dass wir als Gemeinschaft »für uns selbst sprechen müssen«. Die Gemeinschaft sei nach 19 Monaten »nicht zerbrochen, und es besteht ein echtes Zugehörigkeitsgefühl«.

»Wenn jüdische Häuser angezündet werden, brennen auch die Häuser ihrer Nachbarn.«

Lydia Ben-Menashe, Präsidentin des National Council of Jewish Women of Australia und langjährige Vertreterin der jüdischen Gemeinde, sagt, dass die Wahlergebnisse zeigten, »dass die überwiegende Mehrheit der Australier anständige, faire Menschen sind. Denen bewusst ist, dass Hassreden gegen jüdische Australier die Sicherheit aller gefährden – dass, wenn jüdische Autos, Häuser, Geschäfte und Synagogen in Brand gesteckt werden, auch die Häuser ihrer Nachbarn brennen«. Und dass es bei der Bekämpfung von Hassreden und Gewalt gegen die jüdische Gemeinschaft nicht nur um den Schutz jüdischer Kinder gehe, »sondern um das Wohl aller australischen Kinder«.

Etwas, das im beängstigenden Chaos der antisemitischen Angriffe am vergangenen Freitag möglicherweise unterging, ist die Solidarität. Als der Mob das jüdische Restaurant Miznon stürmte, kamen Angestellte der Pizzeria »Max on Hardware«, die libanesischen Brüdern gehört, ihren Nachbarn zu Hilfe, um den Eingang zu blockieren und die Mitarbeiter vor den Angreifern zu schützen. Denn eigentlich ist Solidarität für Einheimische der Inbegriff des australischen Spirits.

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