Kiew

»Ich sammle Zeugnisse«

Michael Gold

Kiew

»Ich sammle Zeugnisse«

Michael Gold über den Krieg in der Ukraine, journalistische Arbeit und Berichte von Zeitzeugen

von Tobias Kühn  01.11.2022 12:34 Uhr

Externer Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel anreichert. Wir benötigen Ihre Zustimmung, bevor Sie Inhalte von Bottalk ansehen und mit diesen interagieren können.

Mit dem Betätigen der Schaltfläche erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihnen Inhalte aus Bottalk angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittanbieter übermittelt werden. Dazu ist ggf. die Speicherung von Cookies auf Ihrem Gerät nötig. Mehr Informationen finden Sie hier.

Herr Gold, Sie sind Chefredakteur einer der ältesten jüdischen Zeitungen in der Ukraine. Wie wirkt sich der Krieg auf Ihre Arbeit aus?
Der Krieg hat alles verändert. Es ist nach dem 24. Februar nicht mehr möglich, eine jüdische Zeitung mit Rubriken wie Kultur, Kunst oder Sport herauszugeben.

Was tun Sie stattdessen?
Ich sammle Zeugnisse von jüdischen Flüchtlingen und Vertriebenen. Ganze Gemeinden haben zusammen mit ihren Rabbinern ihre Orte verlassen. Der Kreml erklärt, offizielles Ziel der russischen »Sonderaktion« seien die Entnazifizierung und der Schutz der russischsprachigen Bevölkerung. Doch die Geschichten von russischsprachigen jüdischen Flüchtlingen, deren Leben von den »Befreiern des Nationalsozialismus« zerstört wurde, sprechen eine andere Sprache.

Sie haben Ihr Projekt Exodus 2022 genannt.
Ja, aber es sind nicht nur Berichte von Flucht und Evakuierung. Sondern ich schreibe auf, wie sich jüdische Flüchtlinge an Ereignisse nach der russischen Invasion erinnern. Dazu gehören emotionale Reaktionen auf den Kriegsausbruch, Erfahrungen des Überlebens unter Artilleriebeschuss, oft in Kellern, ohne Strom, Gas, Kommunikation und mit nur wenig Wasser und Nahrung.

Für manche Ältere ist es die zweite Evakuierung …
Ja, die erste war vor 80 Jahren, als sie vor den Deutschen flohen. Mein Vater hat im Oktober 1941 als Achtjähriger eine solche Evakuierung von Moskau in den Ural erlebt. Im März musste er aus Kiew fliehen – er ist jetzt in Israel. Eine meiner Befragten aus Mariupol überlebte die Nazi-Besatzung als Kind bei Nachbarn im Versteck im Keller und auf dem Dachboden. Ihr Ehemann hat die Leningrader Blockade durchgemacht. Im April wurden die beiden auf wundersame Weise aus dem belagerten Mariupol nach Kiew transportiert.

Wie viele Zeitzeugenberichte haben Sie schon aufgeschrieben?
Etwa 150. Das sind ganz unterschiedliche Menschen – von Studenten und Rentnern bis zu Unternehmern, Künstlern und Rabbinern. Da ist die streng religiöse Familie aus Odessa mit 13 Kindern, und es gibt eine Frau, die erst kurz vor dem Krieg herausfand, dass ihre Mutter Jüdin war.

Wie veröffentlichen Sie diese Berichte?
Fragmente publiziere ich auf meiner Face­book-Seite. Aber das Ziel ist eine mehrsprachige Website mit den ausführlichen Berichten oder ein Buch mit den dramatischsten Flüchtlingsgeschichten. Doch das kostet Geld, das wir noch nicht haben. Die Welt wird von Tag zu Tag kriegsmüder – das liegt in der menschlichen Natur. Aber jemand muss die Welt daran erinnern, was mit der Ukraine und ihren Juden passiert. Es mag ein undankbarer Job sein, doch er ist notwendig.

Das Interview mit dem Chefredakteur der Kiewer jüdischen Zeitung »Hadashot« führte Tobias Kühn.

Meinung

Soll die Schweiz Palästina anerkennen?

Eine Anerkennung von Palästina wäre für die Schweiz ein aussenpolitischer Kurswechsel, von dem niemand profitiert

von Nicole Dreyfus  17.08.2025

USA

»Don’t dream it, be it!«

Auch die »Rocky Horror Picture Show« hat jüdische Seiten. Und dabei geht es nicht nur um Bagels. Mazal tov zum Fünfzigsten!

von Sophie Albers Ben Chamo  17.08.2025

Zürich

Die gute Seele der Gemeinde

Seit 13 Jahren sorgt der muslimische Hausmeister Michel Alassani dafür, dass im Gebäude der Israelitischen Cultusgemeinde alles rundläuft

von Nicole Dreyfus  14.08.2025

Slowakei

»Wir würden es als großen Verlust empfinden«

Durch beherztes Handeln konnte die Stadtverwaltung von Prešov die Schließung des örtlichen Jüdischen Museums verhindern

von György Polgár  12.08.2025

Debatte

Missbrauch der Sarajevo-Haggada für Hetze gegen Israel

Ein Kommentar von Rabbiner Pinchas Goldschmidt

von Rabbiner Pinchas Goldschmidt  11.08.2025

Schweiz

Der Breslauer Schatz

Tausende Schriften stehen für das Überleben der jüdischen Kultur in Europa. Nun sollen sie endlich restauriert und zukünftigen Generationen zugänglich gemacht werden

von Leticia Witte, Ralf Balke  11.08.2025

Berlin

Holocaust-Überlebende zweifeln an Deutschland

Das Waffenembargo verunsichert auch Schoa-Überlebende in Israel - das meint der Vizepräsident des Internationalen Auschwitz Komitees

 10.08.2025

Washington D.C.

USA klagen Mörder von israelischen Botschaftsmitarbeitern an

Elias Rodriguez könnte für den Doppelmord an dem Deutsch-Israeli Yaron Lischinsky und der Amerikanerin Sarah Milgrim zum Tode verurteilt werden

 07.08.2025

Großbritannien

Das zweitschlechteste Halbjahr

Nach dem Allzeithoch 2024 ist der Judenhass im Vereinigten Königreich zwar etwas zurückgegangen. Doch der Gaza-Krieg fungiert weiter als Katalysator für Antisemitismus

 06.08.2025