Urteil in Warschau

Holocaust-Forscher müssen sich entschuldigen

Die Historikerin Barbara Engelking Foto: dpa/AP

Urteil in Warschau

Holocaust-Forscher müssen sich entschuldigen

Eine von der Klägerin geforderte Entschädigung lehnte das Bezirksgericht am Dienstag aber ab

 10.02.2021 10:46 Uhr Aktualisiert

Zwei Holocaust-Forscher müssen sich nach dem Urteil eines Gerichts in Polen für Ungenauigkeiten in ihrer historischen Abhandlung entschuldigen. Eine von der Klägerin geforderte Entschädigung lehnte das Warschauer Bezirksgericht am Dienstag aber ab. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Ein Anwalt der Historiker kündigte an, man wolle in Berufung gehen.

Die renommierten Geschichtsprofessoren Barbara Engelking und Jan Grabowski hatten sich in ihrem 2018 erschienenen Buch »Dalej jest noc« (»Und immer noch ist Nacht«) mit der Vernichtung der Juden in der polnischen Provinz unter deutscher Besatzung befasst.

ORTSVORSTEHER Geklagt hatte die Nichte eines früheren Ortsvorstehers aus Ostpolen. Die Frau sah die Erinnerung an ihren Onkel diffamiert, weil die Historiker in ihrem Buch schreiben, der Ortsvorsteher sei mitschuldig am Tod von mehr als 20 im Wald versteckten Juden gewesen, die den Deutschen übergeben worden waren.

Außerdem habe er einer jüdischen Frau ihre Habe und einen Teil ihres Besitzes abgenommen, bevor er ihr geholfen habe. In einem Nachkriegsprozess sei er freigesprochen worden, nachdem diese jüdische Zeugin falsch und zu seinen Gunsten ausgesagt habe. Belege für diese Behauptungen fehlten in dem Buch. Engelking hat sich in einer später nachgeschobenen Erklärung auf Aussagen gestützt, die die jüdische Zeugin 1996 für die Shoah Foundation gemacht hatte.

STIFTUNG Die Klägerin vertrat den Standpunkt, ihr Onkel habe dieser Jüdin das Leben gerettet und sich auch für andere Juden eingesetzt. Die 80-Jährige wurde von der rechtsnationalen Stiftung »Reduta. Festung des guten Namens – Liga gegen Verleumdung« unterstützt. Sie hatte eine öffentliche Entschuldigung der Autoren und umgerechnet 22 500 Euro Entschädigung gefordert.

Das Gericht entschied nun, die Historiker müssten sich bei der Frau dafür entschuldigen, dass ihr Recht auf das Gedenken an einen verstorbenen Verwandten durch die »Angabe ungenauer Informationen« verletzt worden sei. Auch solle der Absatz in dem Buch, der sich mit ihrem Onkel Edward Malinowski befasst, in kommenden Ausgaben geändert werden. Die Entschuldigung solle auf der Webseite des Zentrums zur Erforschung des Holocausts veröffentlicht werden.

WIRKUNG Richterin Ewa Jonczyk betonte, das Urteil könne keine abschreckende Wirkung auf wissenschaftliche Untersuchungen haben. Das Gericht lege nicht das Schicksal der in dem Buch erwähnten Personen fest. Es gebe dort Beschreibungen heroischer Taten, aber auch negative Figuren. Die Wissenschaftler seien aber zu Sorgfalt und Redlichkeit verpflichtet.

Der Jüdische Weltkongress (WJC) kritisierte das Gerichtsurteil. Der Ausgang des Verfahrens verheiße nichts Gutes für die Zukunft der Geschichtsforschung in Polen.

Engelking zeigte sich erleichtert darüber, dass sie und Grabowski nicht zu einer Geldstrafe verurteilt wurden. »Ich hätte meine Wohnung verkaufen müssen, um die Strafe zu bezahlen, das hat schon eine Bedeutung für mich«, sagte sie. Wer wissenschaftliche Bücher schreibe, habe auch das Recht, Fehler zu machen. Diese würden normalerweise durch Rezensionen geklärt oder in einer zweiten Ausgabe berichtigt, aber nicht vor Gericht verhandelt. Ihr Anwalt kündigte an, man werde gegen das Urteil in Berufung gehen, weil man mit einigen Formulierungen aus der verlangten Entschuldigung nicht einverstanden sei.

KRITIK Historiker und Holocaust-Experten weltweit hatten sich besorgt über das Verfahren geäußert. Sie befürchteten eine Einschüchterung von Forschern. Der Jüdische Weltkongress (WJC) kritisierte das Gerichtsurteil. »Es ist einfach inakzeptabel, dass Historiker Angst haben müssen, glaubwürdige Aussagen von Holocaust-Überlebenden zu zitieren«, sagte WJC-Präsident Ronald Lauder.

Der Ausgang des Verfahrens verheiße nichts Gutes für die Zukunft der Geschichtsforschung in Polen und sende die falsche Botschaft an alle, die die Arbeit von Wissenschaftlern einengen wollten, so Lauder weiter. dpa

Lesen Sie mehr in der kommenden Printausgabe der Jüdischen Allgemeinen.

Eurovision Song Contest

Israelische Sängerin Yuval Raphael wird von der Schweiz nicht extra geschützt

Die Basler Sicherheitsbehörden wissen um die angespannte Lage, das Sicherheitsrisiko in der Schweiz ist hoch

von Nicole Dreyfus  06.05.2025

Interview

Josef Schuster on the J7 Task Force: »We Are a Driving Force«

The President of the Central Council of Jews in Germany, on the Large Communities’ Task Force Against Antisemitism (J7), the German chairmanship and a meeting in Berlin

von Philipp Peyman Engel  05.05.2025

Interview

»Wir sind ein Impulsgeber«

Zentralratspräsident Josef Schuster über die Internationale Task Force gegen Antisemitismus J7, den deutschen Vorsitz und ein Treffen in Berlin

von Philipp Peyman Engel  05.05.2025

Ukraine

Mit Tränen in den Augen

Die Weltordnung zerfällt, doch eine sinnvolle Gestaltung des 80. Jahrestags zum Ende des Zweiten Weltkriegs ist möglich, sagt unser Autor

von Vyacheslav Likhachev  04.05.2025

Österreich

Pita und Krautrouladen

Haya Molcho hat sich im Laufe der Jahre von Wien aus ein Imperium erkocht. Ein Gespräch über Familie, Politik und Balagan in der Küche

von Nicole Dreyfus  04.05.2025

Florenz

Judenretter und Radsportheld

Als Gigant der Landstraße ging Gino Bartali in die Geschichte des Radsports ein. Was der im Jahr 2000 gestorbene Italiener abseits der Rennen leistete, nötigt mindestens ebenso viel Respekt ab

von Joachim Heinz  02.05.2025

Japan

Jüdisch in Fernost

Etwa 1500 Juden sind im Land der aufgehenden Sonne zu Hause. Koscheres Leben ist schwierig. Und sogar hier hat sich seit dem 7. Oktober 2023 einiges verändert

von Eugen El  01.05.2025

Bern

Schweizer Juden reagieren auf Verbot der Terrororganisation Hamas

Deutschland hat die Terrororganisation schon kurz nach dem Angriff vom 7. Oktober 2023 verboten. Die Schweiz zieht jetzt erst nach

 30.04.2025

Großbritannien

Nike hat es »nicht böse gemeint«

Der Sportartikel-Konzern hing zum London Marathon ein Banner auf, das aus Sicht von Kritikern die Schoa lächerlich gemacht hat. Jetzt hat sich das Unternehmen entschuldigt.

 29.04.2025