USA

Hilfe für Autisten

Als Joshua Wigler Anfang 30 war, hatte er immer noch keine feste Freundin. Seine Bekannten heirateten und gründeten Familien, und der Chemiker war immer noch Single. »Es kam mir so vor, als ob meine Freunde eine Sprache sprechen, die ich nicht verstand«, beschreibt der heute 38-Jährige die Situation.

Der Naturwissenschaftler beschloss, das Problem so anzugehen wie die meisten Dinge: analytisch. Er fand »My Best Social Life«, ein dreimonatiges Trainingsprogramm für Menschen, die lernen wollen, sich in sozialen Situationen im privaten oder im Berufsleben gesellschaftskonformer zu verhalten, damit sie freundschaftliche und romantische Beziehungen eingehen können.

»Ich konnte sehen, dass diese Leute sich nach menschlichen Verbindungen sehnten.«

Jeremy Hamburgh

Jeremy Hamburgh, Gründer von My Best Social Life, setzt mit seinem Kurs dort an, wo die analytischen Fähigkeiten von hochintelligenten Menschen mit Autismus aufhören. Er hat in den vergangenen Jahren ein Curriculum entwickelt, das soziale Begegnungen und zwischenmenschliche Beziehungen in Formeln, Schritt-für-Schritt-Gebrauchsanweisungen und Diagrammen veranschaulicht.

»Auf diese Weise entschlüsseln wir soziale Situationen für unsere Kunden. So können sie in die Welt hinausgehen, soziales Verhalten beobachten und sich besser daran beteiligen«, erklärt Hamburgh.

mitbegründer Die Idee reifte in ihm heran, als er als junger Anwalt in New York arbeitete. Er war Mitbegründer einer Networking-Organisation für junge jüdische Menschen der B’nai-Jeshurun-Gemeinde in Manhattan und organisierte kommunale Schabbatfeiern und Partys. An einem normalen Freitagabend kamen oftmals mehr als 150 junge Leute zusammen. Die meisten waren da, um jemanden kennenzulernen.

Hamburgh fiel auf, dass viele bei ihrem Vorhaben scheiterten. »Ihre Körpersprache war unbeholfen, und einige konnten sich nicht unterhalten, ohne dass ihre Fragen wie ein Verhör wirkten.« Da er selbst keine Probleme hatte, neue Leute kennenzulernen und Small Talk zu führen, bot er einem nahegelegenen jüdischen Gemeindezentrum an, Kurse mit dem Titel »Die Wissenschaft der Anziehung« zu leiten.

Zur Vorbereitung recherchierte und las er drei Jahre lang neben seinem Beruf als Staatsanwalt alles, was er über zwischenmenschliches Verhalten und gegenseitige Anziehung finden konnte. Die Workshops waren bei den Teilnehmern sehr beliebt, viele von ihnen leiden unter ASS, Autismus-Spektrum-Störungen, oder haben andere neurologische Auffälligkeiten.

»Ich konnte sehen, dass diese Leute sich einfach nach menschlichen Verbindungen sehnten – aber niemand konnte ihnen beibringen, sie zu knüpfen«, sagt Hamburgh. Aus seinen Erfahrungen entwickelte sich allmählich das Kernkonzept von My Best Social Life: »Social Life 360«.

konzept Bei diesem Konzept arbeiten Jeremy Hamburgh und seine Frau Ilana Frank, die 16 Jahre als Sonderschullehrerin an staatlichen Schulen in New York City unterrichtet hat, gleichzeitig mit 25 bis 30 autistischen oder auf andere Weise beeinträchtigten Erwachsenen zusammen.

Sie bringen ihnen Schritt für Schritt das Sozialverhalten nicht-autistischer Menschen näher, damit sie besser daran teilhaben können. Neben Lerninhalten wie »Zu wem passe ich?«, »Wie plane ich eine Verabredung?«, »Wie lerne ich, besser Geschichten zu erzählen?« oder »Wie liest man Körpersprache?«, Einzelsitzungen und Gruppengesprächen ist die virtuelle Gemeinschaft für Teilnehmer und Absolventen ein Schlüssel zum Erfolg ihres Programms, glauben Hamburgh und Frank.

»Viele unserer Teilnehmer fühlen sich zum ersten Mal gewollt und gebraucht«, sagt Frank. »Das Programm hat mir die Motivation gegeben, meine Ziele zu verfolgen«, sagt Alex Rosen, Datenanalyst aus Washington. »Jeremys Erfolgsformel lautet: Motivation + Wissen + Umsetzung = sozialer Erfolg«, sagt er. Zur Umsetzung seiner neu erworbenen Kenntnisse geht Rosen inzwischen gern in seine jüdische Gemeinde.

Alex Rosens Mutter, Ilene Freed, bemerkte schon früh, dass bei ihrem Sohn etwas anders war als bei anderen Kleinkindern. Er konnte schon mit zwei Jahren lesen, fing aber erst mit dreieinhalb an zu sprechen.

Auch heute noch spricht der 30-Jährige langsam und mit sanfter Stimme, wählt seine Worte mit Bedacht. Für Freed und ihren Mann sind die positiven Veränderungen im Leben ihres Sohnes offensichtlich. »Alex ist viel selbstbewusster geworden«, sagt sie. »Am vergangenen Wochenende hatte er mehr soziale Aktivitäten auf seinem Kalender als ich«, freut sie sich.

heiratsvermittler Etwa die Hälfte der Klienten von My Best Social Life sind jüdisch. Mit ihrem kulturellen Wissen haben Hamburgh und Frank eine Nische entdeckt, die sie ausbauen wollen. Dazu arbeiten sie zum Beispiel mit jüdischen Heiratsvermittlern wie Aleeza Ben Shalom zusammen, die seit Jahren Paare verkuppelt – seit einigen Monaten auch öffentlich auf Netflix.

»Wir hatten einen Klienten, dessen großes Bedürfnis es war, eine Frau zu finden. Durch gemeinsame Bekannte lernten wir Aleeza kennen, und es hat sofort gefunkt«, erinnert sich Hamburgh.

Kurz nach dem ersten Treffen via Zoom nahmen Hamburgh und Frank an zwei Konferenzen jüdischer Heiratsvermittler in Montreal und Jerusalem teil. »Viele Heiratsvermittler haben Kunden mit Autismus-Spektrum-Störungen«, lernte Hamburgh. »Aber sie können ihre Klienten nicht auch noch in Sachen Sozialverhalten beraten. Das machen dann wir.«

Hamburgh und Frank wuchsen beide in jüdischen Familien an der amerikanischen Ostküste auf und bringen ihre persönlichen Erfahrungen in ihre Arbeit ein. Ihren jüdischen Klienten empfehlen sie, sich das Kennenlernen neuer Menschen als einen Akt der Nächstenliebe oder Chesed zu erklären.

Das Programm setzt da an, wo die analytischen Fähigkeiten der Betroffenen aufhören.

Es gebe sehr viele einsame Menschen auf der Welt, die sich nach Nähe sehnten. »Diese aus ihrer Einsamkeit zu befreien, ist eine Art Chesed«, sagen Hamburgh und Frank. Diese Sichtweise nehme vielen die Angst vor dem Versagen.

Obwohl es bei Joshua Wigler auch nach einigen Jahren des Suchens noch nicht mit einer festen Freundin geklappt hat, hat er die Hoffnung und den Glauben an die Lehren von My Best Social Life und an sich noch nicht aufgegeben. Wigler ist sich sicher: »Nur weil jemand nicht mit der Fähigkeit geboren wurde, das Verhalten anderer Menschen richtig einzuordnen, heißt das noch lange nicht, dass man es nicht lernen kann.«

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