Rezension

Helga, Hans und Josef

Rezension

Helga, Hans und Josef

Anna Goldenberg zeichnet die Biografien dreier Menschen nach, die den Nazis entkamen

von Jennifer Bligh  10.01.2019 09:32 Uhr

Anna Goldenberg stellt in ihrem ersten Buch Versteckte Jahre drei Biografien vor. Die Journalistin (Jahrgang 1989) schreibt über ihre Großmutter Helga Pollak, eine Überlebende des Konzentrationslagers Theresienstadt. Sie beschreibt den Überlebenskampf ihres Großvaters Hans Bustin während der Jahre 1938 bis 1945 in Wien, der ohne seinen Lebensretter, den Kinderarzt Josef Feldner, nicht überlebt hätte.

Ohne Josef als Vorbild hätte Hans auch niemals seine spätere Frau Helga kennengelernt. Hans, Helga, Josef – diese drei Personen überleben auf ihre eigene Art, indem sie ihre Menschlichkeit bewahren, indem sie sich vernetzen, indem sie vertrauen und einander Hilfe leisten können. All dies, obwohl sie im damaligen Alltag erniedrigt und ausgegrenzt, später in Verstecke unter haftähnlichen Bedingungen gezwungen wurden.

Trauma Der in Wien geborenen Anna Goldenberg gelingt es, die drei Persönlichkeiten aus dem Verborgenen zu holen. Sie setzt dies in einem Schreibprozess um, bei dem sich die Erzählerin immer wieder in Bezug zum Geschehen setzt. Sie nimmt Anteil an den traumatischen Vorfällen.

Durch sie können die Leser den Protagonisten nahe sein. Man ist dicht dran, versetzt sich in ihre Lage, wenn sie ein Doppelleben führen und sich im Alltag selbst verleugnen müssen, wenn sie von Bewaffneten durch dunkle Gassen gehetzt werden, wenn sie kurz vorm Verhungern begierig verfaultes Gemüse essen. Die Erzählerin erzeugt eine intime Nähe zur Vergangenheit, weil sie entscheidende Momente aus dem Leben der Helden auf sich selbst bezieht: Wie hätte ich gehandelt? Was hätte eine solche Zwangssituation für mich bedeutet?

Enkelin Auf die schriftliche Einfühlung der Erzählerin kann man sich verlassen. Im Zwiegespräch der Enkelin mit ihren Vorfahren wird etwas offenbar. Aus den Verstecken der Erinnerung werden die Persönlichkeiten der Verstorbenen sichtbar. Auch die Leser dürfen sie kennenlernen, können ihre Nähe spüren, indem sie der Erzählung folgen. Wir können unsere Lehren ziehen.

Anna Goldenberg begibt sich nicht nur auf die Suche nach drei heldenhaften Menschen. Sie erzählt nicht nur deren Geschichten. Sie begreift ihr Erzählen nicht nur als eigensinnige Wiedergabe von Geschehnissen, sondern als Sinnstiftung und Neuverbindung in einer sonst rätselhaften, unverbundenen, absurden und feindlichen Welt.

Josef, Hans und Helga haben es nicht zugelassen, dass sie als vereinzelte, hilflose Opfer an den Rand gedrängt werden. Sie konnten sich der Hilfe ihrer Mitmenschen versichern und so am Leben bleiben. Sie mussten ihr Schicksal nicht aus der Hand geben. Ihre Enkelin Anna wiederholt dieses Wunder. Sie macht die Vergangenheit nicht nur gegenwärtig, sie bringt sich aktiv in das Geschehen ein. Sie macht sich die Geschichte als gemeinsame Erzählung von vielen Menschen zu eigen und wahrt dadurch ihren eigenen Gestaltungsspielraum.

FAMILIE Die Lehre aus Versteckte Jahre ist: Man darf nicht zulassen, dass die Welt so gemein bleibt, wie sie ist. Anna Goldenberg zeigt, wie ihre Familie ihr drohendes Verhängnis hinter sich lassen kann, vor allem aber, wie sie es nicht dabei belassen kann, die Vergangenheit so zu akzeptieren.

Sie zeigt durch ihr Schreiben über Menschen, die selbst in ausweglosen Situationen aneinander festhalten, wie wir unser Leben gemeinsam mit unseren Mitmenschen selbst bestimmen können.

Anna Goldenberg: »Versteckte Jahre. Der Mann, der meinen Großvater rettete«. Paul Zsolnay, Wien 2018, 192 S., 20 €

Stockholm

Wirtschaftsnobelpreis geht auch an jüdischen Ökonom

Joel Mokyr, Philippe Aghion und Peter Howitt werden für ihre Forschung zu nachhaltigem Wachstum geehrt

 13.10.2025

Kommentar

Kein Wunder in Bern

Bei gewaltbereiten Demonstrationen in der Schweizer Bundeshauptstadt hat sich ein Teil der Palästina-Solidarität einmal mehr selbst entlarvt: Es ging nie darum, das Leid im Gazastreifen zu beenden oder einen angeblichen Genozid zu stoppen

 12.10.2025

Malibu

Kiss-Sänger Gene Simmons bei Unfall verletzt

Der 76-Jährige soll hinter dem Steuer das Bewusstsein verloren haben

 10.10.2025

Meinung

Außen hui, innen pfui: Trumps Umgang mit den Juden

Während sich der US-Präsident um die Juden in Israel verdient macht, leidet die jüdische Gemeinschaft im eigenen Land unter seiner autoritären Innenpolitik. Das sollte bei aller Euphorie über den Gaza-Deal nicht vergessen werden

von Joshua Schultheis  09.10.2025

Literatur

Nobelpreis für Literatur geht an László Krasznahorkai

Die Literaturwelt blickt erneut gebannt nach Stockholm. Dort entscheidet man sich diesmal für einen großen Schriftsteller aus Ungarn - und bleibt einem Muster der vergangenen Jahre treu

von Steffen Trumpf  09.10.2025

Italien

»Mein Sohn will nicht mehr Levy heißen«

Wie ist es in diesen Tagen, Jude in einer europäischen Metropole zu sein? Ein Besuch bei Künstler Gabriele Levy im jüdischen Viertel von Rom

von Nina Schmedding  06.10.2025

Großbritannien

Empörung über Israels Einladung an Rechtsextremisten

Jüdische Verbände und Kommentatoren in Großbritannien sind entsetzt, dass Diasporaminister Chikli und Knesset-Sprecher Ohana ausgerechnet nach dem Anschlag von Manchester einen rechten Agitatoren hofieren

von Michael Thaidigsmann  06.10.2025

Türkei

»Zionist«: Robbie-Williams-Konzert in Istanbul am 7. Oktober abgesagt

Die Stadt verweist auf Sicherheitsbedenken – zuvor gab es online massive Proteste wegen jüdischer Familienbezüge des Musikers

 05.10.2025

7. Oktober

Ein Riss in der Schale

Wie Simchat Tora 2023 das Leben von Jüdinnen und Juden verändert hat

von Nicole Dreyfus  05.10.2025