Bulgarien

Held oder Antisemit?

Gedenktafel an Ivan Ivanovs Haus Foto: Frank Stier

Auch in Bulgarien ist der Holocaust eine Vergangenheit, die nicht vergeht. Dabei nehmen viele Bulgaren und Bulgarinnen für ihr Volk in Anspruch, als einziges in Europa seine rund 50.000 Juden und Jüdinnen vor dem Abtransport in die nazistischen Todeslager in Polen bewahrt zu haben.

Kritische Stimmen verweisen allerdings auf das Schicksal der rund 11.000 Juden aus den von Nazi-Deutschland besetzten und von Bulgarien verwalteten Regionen Thrakien und Makedonien, die über bulgarisches Territorium in ihre Vernichtung verschleppt wurden. Wer trug die Verantwortung dafür, allein die deutschen Besatzer oder auch die bulgarischen Verwalter?, so lautet die ewige Streitfrage.

Auch dieser Tage wird in Sofia kontrovers über die Vergangenheit debattiert, und dabei geht es um einen der ehemaligen Verwalter der bulgarischen Hauptstadt. Dem früheren Bürgermeister Ivan Ivanov soll ein Denkmal gesetzt werden.

Die Balkanmetropole wie kein anderes Stadtoberhaupt geprägt

Unbestritten hat der Ingenieur Ivanov in seiner Amtszeit von 1934 bis 1944 die Balkanmetropole wie kein anderes Stadtoberhaupt geprägt und modernisiert. Einige ihrer markantesten öffentlichen Gebäude wie der Gerichtspalast, die Natio­nalbibliothek und die Universität stammen aus seiner Zeit. Mit ihrer monumentalen Architektur symbolisieren sie den Geist ihrer Epoche, als Bulgarien eine autokratische Monarchie war – und ein Verbündeter Hitler-Deutschlands.

Ivanovs bedeutendstes Werk ist die von ihm projektierte, bereits ein Jahr vor seinem Amtsantritt in Betrieb genommene Pipeline, die Sofia mit Trinkwasser aus dem Rila-Gebirge versorgt. »In jedem Sofioter Haushalt gibt es mehrere Denkmäler für ihn: die Wasserhähne«, sagt der Stadtverordnete Willi Lilkov. Er ist die treibende Kraft einer Initiative, die sich bereits seit 2011 für ein Denkmal zu Ehren des Bürgermeisters einsetzt.

Es soll wenige Gehminuten von Ivanovs Wohnhaus entfernt auf dem Vorplatz zur U-Bahn »Nationalstadion Vasil Levski« errichtet werden. Dort, wo das Rila-Wasser nach Fertigstellung der Pipeline im April 1933 an die hauptstädtische Oberfläche sprudelte. Doch jetzt, wo das von dem Bildhauer Boris Borisov geschaffene Denkmal fertig ist und aufgestellt werden könnte, regt sich Widerstand, und es werden Stimmen laut, die Bürgermeister Ivanov einen Antisemiten schimpfen.

»Nichts von den negativen Informationen über den Bürgermeister gewusst«

»Ich finde es nicht normal, dass einige Politiker im Zentrum von Sofia ein Denkmal für einen Mann errichten wollen, der ein so großer Anhänger von Adolf Hitler war. Ganz gleich, wie gut er als Bürgermeister war, es gibt gewisse Grenzen. Sofia ist eine Stadt der Toleranz und der Weisheit, nicht der Dummheit«, schrieb etwa Alexander Oscar, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Schalom, jüngst auf Facebook. Dabei hatte Oscar noch im Jahr 2016 erklärt, es gebe »keine besonderen Gründe, gegen die angemessene Feier der Verdienste von Ivan Ivanov zu protestieren«. Über seinen Sinneswandel sagt Oscar nun, er habe damals »nichts von den negativen Informationen über den Bürgermeister gewusst«.

Vor allem die prominente Schriftstellerin Lea Cohen hat Dokumente publiziert, die Ivanovs Reputation erschüttern, darunter eine Resolution seiner Stadtverwaltung vom 22. Januar 1942 zum von der Regierung erlassenen »Gesetz zum Schutz der Nation«. Darin heißt es, »die Nichtdurchsetzung dieser Maßnahmen könnte es ihnen (den Juden, Anm. d. Red.) ermöglichen, ihre Herkunft zu verbergen und zu ändern, d.h. von Juden zu Bulgaren zu werden oder zumindest Bulgaren zu ähneln, was auf keinen Fall geschehen darf, denn Juden sind Juden, ob sie nun konvertiert, mit Bulgaren verheiratet, Freiwillige, Invaliden usw. sind«.

Der Stadtverordnete Lilkov bestreitet, dass Ivanov ein Antisemit gewesen sei, und hält an seinem Vorhaben eines Denkmals fest. Notfalls will er ein Referendum abhalten, »damit die Sofioter und Sofioterinnen darüber entscheiden können«.

Kommentar

Müssen immer erst Juden sterben?

Der Anschlag von Sydney sollte auch für Deutschland ein Weckruf sein. Wer weiter zulässt, dass auf Straßen und Plätzen zur globalen Intifada aufgerufen wird, sollte sich nicht wundern, wenn der Terror auch zu uns kommt

von Michael Thaidigsmann  14.12.2025

Meinung

Blut statt Licht

Das Abwarten, Abwiegeln, das Aber, mit dem die westlichen Gesellschaften auf den rasenden Antisemitismus reagieren, machen das nächste Massaker nur zu einer Frage der Zeit. Nun war es also wieder so weit

von Sophie Albers Ben Chamo  14.12.2025 Aktualisiert

Anschlag in Sydney

Felix Klein: »Von Terror und Hass nicht einschüchtern lassen«

Zwei Männer töten und verletzen in Sydney zahlreiche Teilnehmer einer Chanukka-Feier. Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung äußert sich zu der Tat

 14.12.2025

Terror in Sydney

Zivilist entwaffnet Angreifer und wird als »Held« gefeiert

Zwei Männer schießen auf Teilnehmer einer Chanukka-Feier in Sydney: Es gibt Tote und Verletzte. Ein Video soll nun den mutigen Einsatz eines Passanten zeigen

 14.12.2025

Australien

Merz: »Angriff auf unsere gemeinsamen Werte«

Bei einem Anschlag auf eine Chanukka-Feier in der australischen Metropole gab es viele Tote und Verletzte. Der Bundeskanzler und die Minister Wadephul und Prien äußern sich zu der Tat

 14.12.2025 Aktualisiert

Terror in Sydney

Zentralrat der Juden: »In Gedanken bei den Betroffenen«

Der Zentralrat der Juden und weitere jüdische Organisationen aus Deutschland äußern sich zu dem Anschlag auf eine Chanukka-Feier im australischen Sydney

 14.12.2025 Aktualisiert

Australien

16 Tote bei antisemitischem Massaker in Sydney

Australien ist im Schockzustand: Zwei Attentäter schossen am Sonntag auf Juden, die sich in Bondi Beach zu einer Chanukka-Feier versammelt hatten

von Michael Thaidigsmann  14.12.2025 Aktualisiert

Australien

Judenfeindlicher Terroranschlag in Sydney: Zwei Personen in Polizeigewahrsam

Die Polizei ruft nach dem Angriff in Sydney dazu auf, das Gebiet des Angriffs weiter zu meiden. Der Einsatz dauere an

 14.12.2025

Terror

Medienberichte: Terroranschlag in Australien bei Chanukka-Feier

Die Polizei warnt vor einem »sich entwickelnden Vorfall« am Bondi Beach. Ersten Berichten zufolge soll das Ziel ein Chanukka-Fest gewesen sein. Australische Medien berichten von mehreren Opfern

von Denise Sternberg  14.12.2025 Aktualisiert