James O’Brien ist eine der bekanntesten Radiostimmen Großbritanniens. Seit mehr als 20 Jahren moderiert O’Brien eine vormittägliche Show beim privaten Talksender LBC. Dort können Hörer ihre Anliegen mit dem Moderator sowie mit anderen Hörern besprechen. Häufig ist es O’Brien, der dabei den Ton vorgibt und in langen Monologen seine Meinung kundtut.
Der 53-Jährige gilt als Linksliberaler. »LBCs Prinzen der Wohlmeinenden« nannte ihn der rechte »Daily Telegraph«. Wortmächtig stellte O’Brien sich gegen den Brexit. Als »Lügner, Scharlatane und Betrüger« hätten sich die Befürworter des britischen Austritts aus der Europäischen Union erwiesen, wetterte er. O’Brien opponierte in seinen Sendungen aber nicht nur gegen Maßnahmen der konservativen Regierung. Er positionierte sich auch gegen den scharfen Linksruck der Labour-Partei unter der Führung des Vorsitzenden Jeremy Corbyn und warf diesem vor, linken Antisemitismus nicht als solchen zu erkennen.
Doch auch zum Nahostkonflikt und zum Krieg in Gaza hat der Talkshow-Star mittlerweile eine dezidierte Meinung. Nun sprach O’Brien von »Israels anhaltendem Abschlachten von Palästinensern«. Auch die wegen antisemitischer Aussagen umstrittene UN-Sonderberichterstatterin Francesca Albanese, die Israel einen Genozid vorwirft und das israelische Vorgehen gegen die Hamas mit dem der Nazis gegen Juden vergleicht, kam in seiner Sendung schon ausführlich zu Wort.
»Mehr Objektivität«
Am Dienstag widmete O’Brien dem Thema Nahost erneut eine ganze Sendung, reflektierte über die sich verschlechternde Lage und kritisierte Journalistenkollegen für ihre angebliche Einseitigkeit zugunsten Israels. Viele von denen seien nicht objektiv und hätten sich zu sehr auf ein paar Worte konzentriert, die auf einer Bühne in Glastonbury gefallen seien, sagte der Moderator in Anspielung auf die live im Fernsehen übertragene Hassrede des Sängers Bobby Vylan, in der er der israelischen Armee den Tod wünschte.
»Wenn Sie das nicht wahrhaben wollen, kann ich Ihnen auch nicht mehr helfen«
Die IDF sei keine »moralische Armee«, das sei »Nonsens«, so der Moderator. Sie bringe auch gezielt Journalisten in Gaza um, suggerierte er. Dass er für solche Einwände möglicherweise als Antisemit gebrandmarkt werde, sei einfach »lächerlich«, machte O’Brien gleich zu Beginn klar. Aber Einwände, dass die IDF keine Verbrechen begehe, ließ er nicht gelten. »Israel ist ein Paria. Wenn Sie das nicht wahrhaben wollen, dann kann ich Ihnen auch nicht mehr helfen«, sagte er an seine Hörer gewandt.
Nach knapp zwei Stunden Sendung las O’Brien dann einen Kommentar von »Chris aus Oxford« vor. Chris sei eswichtig zu sagen, dass »verzerrte Ansichten nicht nur ein israelisches Problem sind«, so O’Brien. Und dann zitierte er folgenden Satz aus der Nachricht: »Meine Frau ist jüdisch aufgewachsen und hat in einer Schabbat-Schule in einer wohlhabenden Stadt in Hertfordshire gelernt, dass ein jüdisches Leben tausend arabische Leben wert ist und dass Araber Kakerlaken sind, die man zertreten muss.«
»Gefahr sich ausbreitender Propagandaprozesse«
Wenn schon Kindern Hass und Entmenschlichung beigebracht würden – »zweifellos auf beiden Seiten, wie Chris betont«–, dann würden sie immer in der Lage sein, Tod und Grausamkeit zu rechtfertigen, und das beginnt in der Tat schon in jungen Jahren. Es besteht vielleicht die Gefahr, dass wir immer nur eine Seite der Entmenschlichung und Propaganda hören.«
Später verbreitete der Sender LBC ein Video mit diesem Auszug aus der in den sozialen Medien, zusammen mit dem Slogan: »›In der Schabbatschule wurde meiner Frau beigebracht, dass ein jüdisches Leben tausend arabische Leben wert ist‹ - Hörer Chris schildert James O’Brien die Gefahr der sich ausbreitenden Propagandaprozesse«.
Später wurde das Video zwar wieder gelöscht. Doch da war es zu spät. Die Reaktionen aus der jüdischen Gemeinschaft fielen entsprechend harsch aus. Der Community Security Trust (CST) erklärte: »Die Anschuldigung, dass so etwas an jüdischen Schulen gelehrt wird, ist absolut widerwärtig. Das ist ein neuer Tiefpunkt für James O’Brien und seinen Sender LBC.«
Ein »blood libel«, also eine moderne Form der mittelalterlichen Ritualmordlegende, seien diese Äußerungen, schimpfte ein Sprecher der NGO Campaign Against Antisemitism (CAA). Der Radiomoderator habe durch seine Kommentierung die antisemitischen Ansichten des Hörers noch verstärkt. O’Brien würde »wahrscheinlich nicht zweimal darüber nachdenken, einen Anrufer abzuschalten, wenn dieser solche grotesken Unwahrheiten über eine andere Minderheit verbreiten würde. Aber für Juden gibt es keine solche Nachsicht.«
Die Behauptungen, dass an britischen »Schabbatschulen« – gemeint waren wohl jüdische Sonntagsschulen – Hass auf Angehörige anderer Religionen gelehrt werde, nannte die CAA »nicht nur eine haltlose Erfindung und völlig abstoßend«. Es sei auch »unglaublich leichtsinnig, sie zu verbreiten«, weil genau das zu noch mehr judenfeindlicher Gewalt im Land führen könne. »Es ist bedauerlich, wie tief manche Talkshow-Moderatoren sinken, um ihre Zuhörer aufzuhetzen und die Einschaltquoten zu steigern. Die Folgen tragen die britischen Juden.«
Mehrere jüdische Organisationen forderten LBC auf, den Moderator zu entlassen. Ein Sprecher des Dachverbands Board of Deputies of British Jews sagte, man bemühe sich um ein Treffen mit der Geschäftsleitung des Senders. »Die Ausstrahlung einer so offensichtlichen Lüge und die Dämonisierung der britischen jüdischen Gemeinde – in einer Zeit, in der der Antisemitismus in diesem Land ein erschreckend hohes Niveau erreicht hat – muss klare Konsequenzen haben. LBC sollte sich entschuldigen und Herrn O’Brien aus dem Programm nehmen.«
Bereits im vergangenen Jahr war James O’Brien in die Kritik geraten, weil er einen Videoclip verbreitet hatte, in dem suggeriert wurde, »Zionisten« stünden hinter Gewaltexzessen gegen britische Muslime. Später entschuldigte er sich dafür. Ob eine Entschuldigung des Moderators für die jüngsten Aussagen ausreicht, darf bezweifelt werden.