Spanien

Francos Erbe

Es ist ein herber Rückschlag, der die sogenannte propalästinensische Bewegung von Granada im Oktober zu Tausenden auf die Straße treibt. Eine NGO aus Madrid hat gegen die Universität Granada – die studentenreichste des Landes – geklagt und gewonnen. Die Universität darf ihren Mitarbeitern nicht untersagen, mit israelischen Institutionen zu kooperieren. Gut für die Wissenschaft, schlecht für den Stolz einer linken Szene, die sich als Vorreiter der »propalästinensischen« Bewegung in Europa sieht.

50 Jahre nach dem Ende der Franco-Diktatur hat Spanien viel erreicht. In Sachen Tourismus und Nachhaltigkeit belegt das Land Spitzenplätze in Europa. Beim Wirtschaftswachstum sogar Platz eins. Die Beziehungen zu Israel sind allerdings in diesem Jahr an einem Tiefpunkt angekommen, und auch das Thema Antisemitismus kam bei der »Transición« vom Franquismus zur Demokratie eindeutig zu kurz.

Antisemitische Stereotype

Studien verschiedener Institutionen zählen Spanien immer wieder zu den europäischen Ländern, in denen antisemitische Stereotype am stärksten verbreitet sind. 2009 war das Königreich laut dem Pew Research Center sogar das nichtmuslimische Land mit den negativsten Werten bei Ansichten über Juden. Damit sieht sich eine jüdische Bevölkerung konfrontiert, die nur in etwa 14 Städten überhaupt eigene Gemeinden oder Einrichtungen hat (zum Vergleich: In Deutschland sind es mehr als 100) – und daher eigene Wege finden muss, um der Stimmung im Land zu trotzen.

»Fünf jüdische Familien gibt es in Granada und Umgebung«, sagt Batsheba, die das Jüdische Museum der 230.000-Einwohner-Stadt betreut. Viel mehr möchte sie nicht sagen, vor allem nichts über Politik oder Antisemitismus. Denn das Museum liegt im Erdgeschoss ihres Familienhauses, und von dem will sie jeden Konflikt fernhalten. Schon jetzt ist eine Schmiererei an einer Wand in der schmalen Gasse zu sehen, in der das Museum liegt. Die setzt Juden mit der SS gleich.

Nachdem die Universität von Granada Batshebas Bitte um eine Kooperation ausgeschlagen hatte, gestalteten sie und ihr Mann das Museum selbst. Statt professioneller Beleuchtung kommen an manchen Stellen Schreibtischlampen zum Einsatz, um die Artefakte in Szene zu setzen. Bat­shebas Lieblingsstück ist ein eiserner Haustürschlüssel aus dem 15. Jahrhundert. Er ist die Spende einer mexikanischen Familie, deren Vorfahren im Jahr 1492 aus Spanien fliehen mussten. Damals eroberten Christen die bis dahin islamisch regierte Stadt Granada. Das berüchtigte Alhambra-Edikt der katholischen Könige Isabella von Kastilien und Ferdinand II. von Aragón vertrieb die Juden aus Spanien, forciert vom Terror der Inquisition.

»Sefarad« ist der hebräische Name für Spanien

Einer, der sich aus der Deckung wagt, ist Zamir. Der Ökonomiestudent aus Sevilla spricht seit einem halben Jahr auf Instagram über jüdische Künstler, koscheres Essen und sein persönliches Leben. Die Videoclips sind dabei – genauso wie Zamirs Pseudonym »El Bilbiliko« (Nachtigall) – in Ladino verfasst. Ladino ist eine Mischung aus iberoromanischen Sprachen mit hebräischen und arabischen Anteilen, die die von der Iberischen Halbinsel vertriebenen Juden sprachen. Im Laufe der Jahrhunderte nahm der Wortschatz Begriffe aus den Sprachen der Länder auf, wo die geflohenen Sefarden Aufnahme fanden: Türkisch, Italienisch oder auch Griechisch. »Sefarad« ist der hebräische Name für Spanien.

»Im Ladino spiegelt sich die Widerstandsfähigkeit der sefardischen Kultur.«

Zamir, Student aus Sevilla

»Im Ladino spiegelt sich die Widerstandsfähigkeit der sefardischen Kultur«, sagt Zamir, der unter seinem Karohemd eine silberne Halskette mit der Chamsa trägt. Es grenze an ein Wunder, dass die Sprache bis heute überlebt habe, obwohl ihre Sprecher über die halbe Welt verstreut sind. Ladino zu lernen, habe seine Identifikation mit dem Judentum enorm gestärkt, gerade wegen der vielen Ähnlichkeiten mit seiner Muttersprache.

Jetzt wolle er dazu beitragen, »Ladino jünger zu machen«, denn das Durchschnittsalter der Ladino-Sprecher sei besorgniserregend hoch. Leider gehöre das Erlernen jüdischer Sprachen laut Zamir gar nicht zu den Prioritäten spanischer Juden, die es gewohnt seien, ihre Religion eher nicht in die Öffentlichkeit zu tragen.

Dass sich viele Juden in Spanien nicht sicher fühlen, liegt auch an der feindseligen Stimmung gegenüber Israel, die sich über weite Teile der Gesellschaft und Politik erstreckt. Spaniens Premier Pedro Sánchez war im Mai der erste europäische Regierungschef, der Israel vorwarf, in Gaza einen Genozid zu begehen. »Ja, es ist ein Genozid!« steht auf einem Banner, das seit Wochen am Gebäude der Madrider Stadtverwaltung in der Calle Mayor 71 hängt.

Eine Tür weiter sitzt das »Centro Sefarad Israel«. Es wird unter anderem vom Außenministerium getragen, um eine »Brücke zwischen Spanien und der jüdischen Welt« zu bauen und Antisemitismus im Land zu bekämpfen. Aus der Palästina-Unterstützung Spaniens sei dieser jedoch nicht abzuleiten, meint José Thovar Lozano. Der Zentrumsleiter betont, dass die Zahl der Straftaten gegen Juden in anderen europäischen Ländern deutlich höher sei als in Spanien. Lediglich die Geschichte des Antisemitismus sei »den Spaniern weniger bewusst« als etwa den Deutschen.

Kein Problembewusstsein

Auf die Gründung des Staates Israel im Jahr 1948 hatte das Außenministerium mit einem Bericht über die enge Freundschaft Spaniens mit den Juden reagiert (das Alhambra-Edikt von 1492 fehlte darin). Doch war man nicht wirklich an guten Beziehungen interessiert – erst 1986 wurde der jüdische Staat anerkannt –, sondern wollte offensichtlich Spaniens Image verbessern. Schließlich wurde das Land nach dem Zweiten Weltkrieg weiterhin von Hitler-Freund und Diktator Francisco Franco regiert und war daher international isoliert.

Als UN-Mitglied hätte Israel zudem, so die spanische Befürchtung, vor der Weltöffentlichkeit mit Franco ins Gericht gehen können. Also begann man damit zu prahlen, Tausende Juden vor der Schoa gerettet zu haben. »Dabei wurde allerdings verschwiegen, dass Spanien nicht bereit war, die Verfolgten dauerhaft aufzunehmen«, sagt Historiker Bernd Rother. Die Juden wurden in andere Länder geschickt, denn auch Spanien sollte damals möglichst »judenfrei« bleiben.

Auch nach Ende der Franco-Diktatur habe eine Antisemitismus-Debatte noch lange nicht eingesetzt, so Rother. Das gelte auch für das stereotype Judenbild der in Spanien wichtigen katholischen Kirche, die zu den reformunwilligsten in Europa gehöre. All das trage dazu bei, dass weite Teile der spanischen Bevölkerung bis heute gar kein Problembewusstsein für Antisemitismus haben.

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Vor zehn Jahren machte Spanien dann jedoch mit einem Gesetz Schlagzeilen, durch das sich bis 2019 die Nachfahren der aus Spanien vertriebenen Juden um die spanische Staatsbürgerschaft bewerben konnten. 72.000 Anträge waren laut José Thovar Lozano erfolgreich, die meisten von Südamerikanern. »Wir glauben, das ist ein Schlüssel«, sagt er, »um Spanien mit den Fehlern zu versöhnen, die es historisch begangen hat.«

Wie viele der 72.000 akzeptierten Bewerber tatsächlich nach Spanien gezogen sind, kann Lozano nicht sagen. Anfang Oktober hat jedoch der Dachverband jüdischer Gemeinden in Spanien die geschätzte Zahl der im Land lebenden Juden von 45.000 auf 70.000 erhöht. Für Lozano ein Beleg dafür, dass viele Juden nach Spanien gezogen seien – und der Antisemitismus im Land gar nicht so stark sei, wie viele sagen.

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