Frankreich

Flanieren an der Seine

Im Wiener Mandelbaum-Verlag ist kürzlich ein Stadtführer zum jüdischen Leben in Paris erschienen. Wer glaubt, bereits gut darüber Bescheid zu wissen, wird eines Besseren belehrt. Das Buch hält auch für Kundige Überraschungen bereit.

Bei dem City-Guide zur Seine-Metropole handelt es sich um den jüngsten Teil der Serie »Stadtreisen zum jüdischen Europa«. Nach Wien, London und Prag ist nun die Hauptstadt jenes Landes an der Reihe, das die größte jüdische Gemeinschaft Europas beherbergt. Knapp eine halbe Million Juden leben derzeit in Frankreich. Ein paar davon sind weltbekannt, wie etwa der Regisseur Claude Lanzmann oder der Philosoph Bernard-Henri Lévy.

Berühmtheiten Doch dem Autor Alexander Kluy, der auch für die Jüdische Allgemeine schreibt, geht es in seinem Stadtführer nicht um die zeitgenössischen Berühmtheiten, sondern um diejenigen, die Paris vor allem in den vergangenen zwei Jahrhunderten geprägt haben – und von der Stadt geprägt wurden. So begegnen dem Leser teils illustre, teils tragische Persönlichkeiten wie die Schauspielerinnen Mademoiselle Rachel und Simone Signoret, der Künstler Man Ray sowie die Schriftsteller Heinrich Heine, Kurt Tucholsky oder Paul Celan.

Das Buch liefert den Beweis, dass sich das jüdische Leben in Paris zu keiner Zeit nur auf das traditionelle jüdische Viertel Marais beschränkt hat und illustriert auf eindrucksvolle Weise, wie viele jüdische Persönlichkeiten eine ganz andere Ecke der Stadt als Domizil gewählt haben. Der literarische Rundgang ist nach Stadtbezirken aufgebaut. Angefangen vom ersten bis hin zum 20. Arrondissement gibt das Buch Auskunft darüber, welcher Künstler, Intellektuelle oder Geschäftsmann dort gelebt hat.

Lobeshymnen So erfährt der Leser, dass Gertrude Stein in der Rue de Fleurus im 6. Arrondissement und Serge Gainsbourg in der Rue de Verneuil im 7. Arrondissement jeweils einen großen Teil ihres Lebens verbracht haben, oder etwa Sigmund Freud im Hôtel de la Paix und Camille Pissaro im Grand Hôtel du Louvre verweilt haben. Der Umzugsfreudigste unter ihnen war Heinrich Heine, der in 25 Jahren 16 Mal seine Wohnung wechselte. Der Schriftsteller hat sich in Frankreich »wie ein Fisch im Wasser« gefühlt und zahlreiche Lobeshymnen auf Paris verfasst, bis er 1856 nach langer Krankheit in seiner »Matratzengruft« verstarb.

Die Kurzporträts sind mit historischen Fakten und Zitaten angereichert, die die einzelnen Biografien jeweils in einen größeren Gesamtkontext einordnen. Jede Persönlichkeit scheint ihr »eigenes Paris« zu haben. Die meisten teilen jedoch eine Gemeinsamkeit: Sie mussten in ihrem Leben antisemitische Demütigungen und Verfolgung erleiden. Einige von ihnen versuchten, ihre persönlichen Traumata in ihrer künstlerischen Tätigkeit zu verarbeiten, wie der Maler Victor Brauner, der Pantomime Marcel Marceau oder Paul Celan.

Neben den Biografien enthält der Stadtführer auch eine kurze Einleitung zur Geschichte der Juden in Paris sowie eine aktuelle Übersicht über jüdische Einrichtungen. Wer dem Parcours des Buches folgt, wird die magische Anziehungskraft spüren, die Paris schon immer ausgeübt hat. Am Ende ergibt sich beim Leser der Eindruck einer höchst widersprüchlichen Stadt, eines mystisch-romantischen und zugleich feindseligen Orts jüdischen Lebens.

Alexander Kluy: Jüdisches Paris. Mandelbaum, Wien 2011, 320 S., 22,90 €

Bereit fürs ICZ-Präsidium: Noëmi van Gelder, Arthur Braunschweig und Edi Rosenstein (v.l.n.r.)

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