Iran

»Feindbild Israel hat ausgedient«

Farshid Delshad über die Proteste im Land, das Verhältnis zum jüdischen Staat und einen Regimewechsel

von Philipp Peyman Engel  16.01.2020 09:22 Uhr

Farshid Delshad Foto: privat

Farshid Delshad über die Proteste im Land, das Verhältnis zum jüdischen Staat und einen Regimewechsel

von Philipp Peyman Engel  16.01.2020 09:22 Uhr

Herr Delshad, in den vergangenen Tagen sind Tausende Iraner auf die Straße gegangen, um gegen das Regime zu demonstrieren. Wie bewerten Sie die Proteste?
Die Iraner ertragen die Mullahs nicht mehr. Sie haben mehr als 40 Jahre Repressalien, Diskriminierungen, Korruption und Lügen seitens der Regierung ertragen. Nun wollen sie ein System, das für die Menschen da ist – und nicht umgekehrt. Die Preise für Lebensmittel und Benzin explodieren, die Inflation wächst rasant. Davon haben die Demonstranten genug. Sie wollen ein Leben in Freiheit, Frieden und Sicherheit.

Auslöser der Proteste war der Abschuss eines ukrainischen Passagierflugzeugs durch die Revolutionsgarden – nachdem Teheran tagelang erklärt hatte, es habe sich um einen technischen Defekt gehandelt.
Das war vielleicht die eine Lüge zu viel, die das Fass zum Überlaufen brachte. Sie war so offensichtlich, so dreist, so feige, so unmenschlich. Die Demonstrationen haben ihren Ursprung jedoch in den Protesten von 1999, als die Iraner begannen, sich erstmals gegen die religiöse Führung auszusprechen. Trotz der Angst vor der Brutalität des Staates gehen die Demonstranten weiterhin auf die Straße. Es ist ein Dammbruch. Exemplarisch hierfür steht auch das Verhältnis vieler Demonstranten zu den USA und Israel.

Was heißt das?
Iran ist ein sehr junges Land. Der überwiegende Teil der Bevölkerung ist unter 30 Jahre alt. Eine beträchtliche Zahl dieser Menschen sieht die USA und Israel nicht mehr als »Satan«, sondern als Vorbild. Viele junge Iraner hoffen auch auf US-Präsident Trump, weil sie wissen, dass die Mullahs nur die Sprache der Härte verstehen. Und insbesondere das Feindbild Israel hat ausgedient. Das Regime hat es lange konstruiert, um Geschlossenheit zu schaffen. Das funktioniert nicht mehr. Sie sehnen sich nach einer friedlichen Beziehung zu Israel, zumal es viele gemeinsame Interessen zwischen beiden Völkern gibt.

Mehrere Medien haben berichtet, dass sich nach der Tötung Qassem Soleimanis durch die USA viele, auch westliche, Iraner mit den Mullahs solidarisierten …
Soleimani hatte einen besonderen Status. Viele verehrten ihn. Aber das Gros der Menschen war gegen ihn. Sie waren dagegen, dass Soleimanis Revolutionsgarden schiitische Milizen unterstützen, um den Nahen Osten und Israel mit Terror zu überziehen. Die Iraner erwarten, dass die innenpolitischen Probleme im Land gelöst werden, und nicht, dass durch eine aggressive Expansionspolitik neue Probleme entstehen.

Wie wahrscheinlich ist es, dass das Regime zerfällt?
Ich hoffe, dass dies der Fall sein wird und dass es schnell geschieht. Es ist ein Prozess in Gang gekommen, der unumkehrbar ist. Jeder Politikwissenschaftler weiß, dass sich Diktaturen nicht ewig halten können. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Islamische Republik zerfällt.

Mit dem Jenaer Orientalisten und Sprachwissenschaftler sprach Philipp Peyman Engel.

New York

Ex-Krypto-König Bankman-Fried soll für 25 Jahre ins Gefängnis

Noch vor zwei Jahren wurde Sam Bankman-Fried als Finanzgenie und Galionsfigur einer Zukunftswelt des Digitalgelds gefeiert. Nun soll er als Betrüger mehr als zwei Jahrzehnte hinter Gittern verbringen

von Andrej Sokolow  28.03.2024

Interview

Der Medienschaffer

Der Ausnahmejournalist und Unternehmer Roger Schawinski über Erfolg, Judenhass und den 7. Oktober

von Nicole Dreyfus  28.03.2024

Nachruf

Joe Lieberman stirbt mit 82 Jahren

Fast ein Viertel Jahrhundert lang setzte er sich als Senator auch für jüdische Belange ein

von Imanuel Marcus  28.03.2024

USA

Bildhauer Richard Serra gestorben

Für mehr als 100 öffentliche Orte schuf er Skulpturen – von Philadelphia und St. Louis bis Bochum und Kassel

 27.03.2024

Moskau

Evan Gershkovich bleibt in Untersuchungshaft

Putin will den inhaftierten US-Journalisten gegen russische Gefangene auszutauschen

 26.03.2024

Glosse

Woher stammt der Minderwertigkeits-komplex vieler Schweizer gegenüber Deutschen?

Und was verbindet die Identitätskarte mit der Rappenspalterei?

von Nicole Dreyfus  25.03.2024

Schweiz

Antisemitismus-Problem an Schulen

Die Zahlen sind erschreckend, doch die Stadt Bern wiegelt ab. Und jüdische Eltern verlieren das Vertrauen

von Nicole Dreyfus  24.03.2024

Großbritannien

»Beste Wünsche für eine Refua Schlema«

Oberrabbiner Sir Ephraim Mirvis und das Board of Deputies wenden sich nach ihrer Krebsdiagnose an Prinzessin Kate

 24.03.2024 Aktualisiert

Jubiläum

Mehr als koscheres Pastrami-Sandwich

New York feiert in diesem Jahr seinen 400. Geburtstag. Eine Reise durch die jüdische Geschichte der Stadt

von Hannes Stein  23.03.2024