Polen

Enttäuscht nach der Wahl

Wahlsieger: Polens alter und neuer Präsident Andrzej Duda Foto: dpa

»Ich bin unglaublich enttäuscht von diesem Wahlergebnis«, sagt Bella Szwarcman-Czarnota von der jüdischen Gemeinde in Warschau. »Ich hatte die große Hoffnung, dass aus dem Kopf-an-Kopf-Rennen am Ende doch unser Bürgermeister Rafal Trzaskowski als Sieger hervorgeht.«

Im Warschauer Stadtteil Praga-Nord nippt sie an ihrem Cappuccino. Das Gartencafé mit fünf kleinen Tischen an der Bialostocka-Straße ist gut besucht. Sie setzt die Tasse ab: »Jetzt ist Andrzej Duda weitere fünf Jahre Präsident Polens.«

Die Präsidentenwahl in Polen war am Sonntag mit einem Ergebnis von 51,03 Prozent der Stimmen für Amtsinhaber Andrzej Duda ausgegangen.

»Der ›Kugelschreiber‹ Kaczynskis!«, setzt sie leicht verächtlich hinzu. Den Spitznamen verdiente sich Duda dadurch, dass er fast jedes Gesetz der regierenden Nationalpopulisten kritiklos unterschrieb. Jaroslaw Kaczynski wiederum ist als Parteichef der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) der mächtige Strippenzieher.

Ergebnis Die Präsidentenwahl in Polen war am Sonntag mit einem Ergebnis von 51,03 Prozent der Stimmen für Amtsinhaber Andrzej Duda von den regierenden Nationalpopulisten (PiS) und 48,97 Prozent für seinen Herausforderer Rafal Trzaskowski von der liberalen Bürgerplattform (PO) ausgegangen.

Zwar lieben die Menschen in Polen das politische Spektakel und freuten sich auf den Zweikampf der beiden Rivalen, nachdem im ersten Wahlgang am 28. Juni neun Kandidaten ausgeschieden waren. Doch dann schwappte eine solche Hasswelle aus dem PiS-Propagandasender TVP über die Trzaskowski-Anhänger hinweg, dass sich die seit Jahrzehnten bestehende Spaltung der Gesellschaft noch weiter vertiefte.

»Wir haben uns in der Gemeinde sehr über die Hetzkampagne aufgeregt«, sagt Szwarcman-Czarnota, die mit ihren 74 Jahren immer noch beruflich aktiv ist und Texte aus dem Jiddischen, Russischen und Französischem ins Polnische übersetzt.

»Auch Dudas Ausfälle gegen Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender haben viele in der Gemeinde furchtbar aufgeregt.«

»Sicher, auch Trzaskowski hat seine Schwächen, und mir hat nicht alles gefallen, was er im Wahlkampf gesagt hat. Aber er ist weltoffen, tolerant und steht für liberal-demokratische Werte, wie wir sie aus Europa kennen.«

Nationalist Duda hingegen habe sich in den vergangenen fünf Jahren »nicht nur als unselbstständiger Politiker zu erkennen gegeben, sondern auch als geradezu hysterischer Homophober und Nationalist – insbesondere in den letzten Wahlkampfwochen«. So habe Duda den Nationalisten versprochen, dass er als Präsident den Juden keine Entschädigung für ihre verstaatlichten Häuser und Wohnungen zahlen werde.

»Und dann hat TVP Öl ins Feuer gegossen und Trzaskowski wieder und wieder als Judenfreund dargestellt, der bereit sei, über das Vermögen der ermordeten Juden zu reden, das die Polen sich während und nach der Schoa angeeignet haben.« Szwarcman streicht sich über die hellbraune Kurzhaarfrisur und zupft ihr Halstuch zurecht.

»Wir haben in der Gemeinde einen Solidaritätsappell verfasst. Wir Minderheiten in Polen müssen zusammenhalten, egal ob ethnische oder sexuelle.«

»Polen ist der einzige Staat in Europa, der dieses Problem bis heute nicht gelöst hat. Alle anderen im Krieg vom Deutschen Reich besetzten Staaten haben sich mit den jüdischen Opfern geeinigt, sogar Litauen und Frankreich.«

Zloty Auch Polen habe sich international dazu verpflichtet, aber Kaczynski werde nicht müde, den Polen zu versichern, dass sie als NS-Opfer den Juden keinen Zloty schuldeten. Wenn jemand Entschädigung für die rund drei Millionen Vorkriegs-Immobilien der ermordeten Juden zahlen sollte, dann seien das die Deutschen. Und dies, obwohl sich diese Wohnungen und Häuser zum Großteil seit dem Krieg in polnischem Besitz befänden.

Bella Szwarcman schließt kurz die Augen, um sich besser konzentrieren zu können. Dann sagt sie: »Auch Dudas Ausfälle gegen Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender haben viele in der Gemeinde furchtbar aufgeregt.« Wie könne man sagen, dass dies keine Menschen seien? »Wir haben dann in der Gemeinde einen Solidaritätsappell verfasst. Wir Minderheiten in Polen müssen zusammenhalten, egal ob ethnische oder sexuelle. Sicher waren einige in der Gemeinde dagegen, aber der Oberrabbiner hat unterschrieben und auch der gesamte Vorstand.« Sie nickt: »Ja, das war richtig gut!«

Argentinien

Raubkunst in der Immobilienanzeige

Die Tochter eines Naziverbrechers wollte ihre Villa verkaufen und führte Ermittler auf die Spur einer gestohlenen Kunstsammlung

von Andreas Knobloch  13.09.2025

München/Gent

Charlotte Knobloch spricht von »historischem Echo«

Nach der Ausladung des israelischen Dirigenten Lahav Shani von einem Musikfestival meldet sich Charlotte Knobloch mit deutlichen Worten

 11.09.2025

Italien

Jüdisches Touristen-Paar in Venedig attackiert

Die Täter schrien »Free Palestine«, bevor sie die Ehefrau mit einer Flasche attackierten und ihren Ehemann ohrfeigten

 11.09.2025

Georgien

Sicher und schön

Der Kaukasus-Staat pflegt Erbe und Zukunft der Juden. Und bietet atemberaubende Natur. Ein Besuch

von Michael Khachidze  11.09.2025

Belgien

Argerich, Maisky, Schiff empört über Gent-Festival

Bekannte jüdische und nichtjüdische Musiker haben eine Petition gestartet, um gegen die Ausladung der Münchner Philharmoniker und ihres Dirigenten Lahav Shani zu protestieren

 11.09.2025

Imanuels Interpreten (13)

Herb Alpert: Der Universalkünstler

Vom Trompeter zum Philantropen: Der Sohn jüdischer Einwanderer aus Kalifornien erreichte in den 90 Jahren seines bisherigen Lebens viel

von Imanuel Marcus  10.09.2025

Bundesamt für Statistik

Dieser hebräische Vorname ist am beliebtesten bei Schweizer Eltern

Auch in der Schweiz wählen Eltern weiterhin häufig biblische Namen für ihr Neugeborenes

von Nicole Dreyfus  10.09.2025 Aktualisiert

Südafrika

Unvergessliche Stimme

Die Schoa-Überlebende Ruth Weiss hat sich als Journalistin, Schriftstellerin und Kämpferin für Menschenrechte einen Namen gemacht. Sie wurde 101 Jahre alt. Ein Nachruf

von Katrin Richter  10.09.2025

Belgien

Aus der Straße des Antisemiten wird die Straße der Gerechten

In Brüssel gibt es jetzt eine Rue Andrée Geulen. Sie ist nach einer Frau benannt, die im 2. Weltkrieg mehr als 300 jüdische Kinder vor den deutschen Besatzern rettete. Doch bei der Einweihung herrschte nicht nur eitel Sonnenschein

von Michael Thaidigsmann  08.09.2025