Niederlande

Eine Mikwe an der Maas

Im Jahr 2004 stand Jos Schatorje vor dem Jüdischen Museum in Berlin, als sein Mobiltelefon klingelte. Sensationelle Nachrichten waren es, die dem Direktor des Limburgs Museums von zu Hause in den Urlaub übermittelt wurden: Bei archäologischen Grabungen am Ufer der Maas in Venlo waren die Arbeiter auf Reste eines alten Gebäudes gestoßen, bei dem es sich um eine Mikwe handeln könnte.

Eine Untersuchung von Fachleuten bestätigte die Vermutung, und nicht nur das: Die Mikwe aus dem 13. Jahrhundert ist das älteste archäologische jüdische Monument der Niederlande.

Quadratisch Acht Jahre später, so Schatorje, schließt sich der Kreis: Das neue Prunkstück im Keller des Museums ist seit wenigen Tagen den Besuchern zugänglich. Das Backsteingemäuer ist beinahe quadratisch und etwa mannshoch. Es besteht aus dunklem, graubraunem Mergel, umfasst knapp 80 Quadratmeter und zwei Etagen, die durch die sieben Stufen einer Treppe getrennt sind. Im unteren Bereich befindet sich das Becken, oben eine Umkleide, Warteraum und ein Bassin, um Hände und Füße zu waschen. Am Eingang lässt eine Nische in der Wand Platz für eine Kerze.

Nur besondere Gebäude, erklärt der Direktor, wurden im frühen 13. Jahrhundert aus Mergel gebaut. Im Fall der Mikwe steckte dahinter der Graf von Geldern, einem Herzogtum in der Region Niederrhein. In Venlo, das zu dieser Zeit lediglich eine kleine Handelsniederlassung an der Maas war, besaß er ein Zollamt.

Der Graf hatte einen Plan: Größere Städte in Geldern sollten ihm mehr Macht bringen. Weil Juden als Händler, Geldwechsler und Mediziner bekannt waren, ließ er eine Mikwe bauen und legte damit den Grundstein für eine Gemeinde. Die Nähe zur Maas sorgte für das nötige Grundwasser.

Ein Teil der Juden, die sich in der Folge in Venlo niederließen, soll aus Köln gekommen sein. Zwischen beiden Städten gab es im Mittelalter enge Beziehungen, was auch für die jüdischen Gemeinden galt. Doch lange konnten sich die rheinischen Juden an der Maas nicht zu Hause fühlen: Mitte des 14. Jahrhunderts wurden sie vertrieben, vermutlich, weil man sie für eine Pestepidemie verantwortlich machte. Venlos Christen benutzten die Mikwe fortan als Müllablage und Kloake. Sieben Jahrhunderte später haben Gemeinde und Museum die 180 Tonnen schweren Mauern in einer aufwendigen Operation an den neuen Ort transportieren lassen. Um die Mikwe herum errichtete man einen völlig neuen Anbau des Limburgs Museums.

Herausforderung Jos Schatorje sieht darin nicht nur einen enormen Zugewinn in archäologischer Hinsicht. »Ich nenne die Mikwe ein ›Mahnument‹. Ein Symbol für Vielfalt und dafür, dass unsere Gesellschaft nicht monokulturell ist.« Schatorje betont, dass das Element der rituellen Reinigung Religionen verbindet.

Der archäologische Konservator des Museums, Leo Verhart, ist noch immer beeindruckt von dem Tauchbad, das als viertältestes seiner Art in Europa gilt. »Ich habe noch nie eine so alte Mikwe gesehen.« Gleichwohl bringt sie eine Herausforderung mit sich: »Wie machen wir diese Bedeutung eigentlich sichtbar? Ohne Erklärung sehen die Besucher ja gar nicht, was das ist«, überlegt Verhart.

Die Mikwe in einen Kontext stellen – an diesem Projekt arbeitet man in Venlo nun: Zur Eröffnung Anfang Mai führte das Museum einen Studientag über jüdisches Leben in der Region durch. Zu sehen ist derzeit auch die Fotoausstellung »The Mikvah Project« aus dem Jüdischen Museum Frankfurt.

An dem Studientag beteiligte sich auch der niederländische Oberrabbiner Binyomin Jacobs, der im Herbst schon den Transport der Mikwe begleitete. Sein Fazit: »Es wohnen fast keine Juden mehr hier. Aber früher war das anders. Das konfrontiert die Menschen mit der Geschichte. Es ermuntert sie, Fragen zu stellen, die sie sonst vielleicht nicht gestellt hätten.«

Meinung

Der Stolz der australischen Juden ist ungebrochen

Der Terroranschlag von Sydney hat die jüdische Gemeinschaft des Landes erschüttert, aber resigniert oder verbittert ist sie nicht. Es bleibt zu hoffen, dass die Regierung künftig mehr für ihren Schutz tut

von Daniel Botmann  16.12.2025

Österreich

Neue Direktorin für das Jüdische Museum Hohenems

Historikerin Irene Aue-Ben-David übernimmt die Leitung und bringt internationale Erfahrung aus Jerusalem mit

von Nicole Dreyfus  16.12.2025

Basel

Mann wollte Juden während des ESC angreifen

Kurz vor dem »Eurovision Song Contest« in der Schweiz wurde ein 25-Jähriger wegen konkreter Gewaltdrohungen festgenommen und ausgewiesen

von Nicole Dreyfus  16.12.2025

Australien

Wie geht es dem »Helden von Sydney«?

Ahmed al-Ahmed gehe es schlechter als angenommen, sagt sein Anwalt. Der muslimische Familienvater drohe, seinen Arm zu verlieren

 16.12.2025

Sydney

Jüdisches Ehepaar stirbt beim Versuch, einen der Angreifer zu stoppen

Boris und Sofia Gurman versuchten, das Massaker vom Bondi Beach zu verhindern, und bezahlten dafür mit ihrem Leben

 16.12.2025

Attentat in Sydney

»Was würden die Opfer nun von uns wollen?«

Rabbiner Yehuda Teichtal hat bei dem Attentat in Sydney einen Freund verloren und wenige Stunden später in Berlin die Chanukkia entzündet. Ein Gespräch über tiefen Schmerz und den Sieg des Lichts über die Dunkelheit

von Mascha Malburg  16.12.2025

Sydney

Opera House erstrahlt mit Bild von Chanukkia

Es ist ein Zeichen der Solidarität mit der jüdischen Gemeinschaft

 16.12.2025

Australien

Faktencheck zum Terroranschlag in Sydney

Nach dem Blutbad am Bondi Beach ist noch vieles unklar. Solche Situationen nutzen Menschen in sozialen Netzwerken, um Verschwörungsmythen zu verbreiten

 15.12.2025

Faktencheck

Ahmed Al Ahmed hat einen Angreifer am Bondi Beach entwaffnet

Ein Passant verhindert Schlimmeres - und wird im Netz umbenannt. Angeblich soll Edward Crabtree einen der Täter von Sydney entwaffnet haben. Doch die Geschichte stammt von einer Fake-Seite

 15.12.2025