Faktencheck

Dokumente über angebliche Stepan-Bandera-Straße sind gefälscht

Stepan Bandera (1909-1959) wird in Teilen der Ukraine als Nationalheld verehrt, ist aber anderswo hochumstritten Foto: picture alliance / Heritage-Images

Faktencheck

Dokumente über angebliche Stepan-Bandera-Straße sind gefälscht

Stepan Bandera ist zwischen Ukrainern und Polen eine umstrittene Personalie. Nun sollte angeblich eine Straße in Polen nach ihm benannt werden. Doch Dokumente, die das belegen sollen, sind gefälscht

 30.08.2022 17:12 Uhr

Desinformation ist ein Bestandteil des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine. Nun sind offenbar die staatlichen Beziehungen zwischen Polen und der Ukraine das Ziel von Falschinformationen geworden: In sozialen Netzwerken kursiert die Behauptung, dass sich das ukrainische Außenministerium mit einer Bitte an das polnische Amt für auswärtige Angelegenheiten gewandt hätte.

Demnach habe die Ukraine angeblich angeregt, die Belwederska-Straße in Warschau, an der sich die russische Botschaft befindet, als symbolischen Akt in Stepan-Bandera-Straße umzubenennen. Dazu kursieren als Beleg zwei vermeintlich offizielle Dokumente - ein ukrainisches und ein polnisches Schreiben.

KEINE ANREGUNG Seit dem Beginn der russischen Invasion in der Ukraine haben tatsächlich andere Länder und Städte die Straßen, an denen sich russische Botschaften befinden, aus symbolischen Gründen zur Unterstützung der Ukraine umbenannt oder ein solches Vorgehen angekündigt - beispielsweise Litauen. Eine entsprechende Anregung durch das ukrainische Außenministerium mag daher zunächst plausibel klingen - belegt ist sie nicht.

Bei den Dokumenten handelt es sich um Fälschungen. Das erklärten das polnische Außenministerium sowie der Staatssekretär Marcin Przydacz, der das polnische Schreiben angeblich unterzeichnet haben soll, auf Twitter. Ein Vergleich des angeblich aus dem ukrainischen Außenministerium stammenden Schreibens mit echten Dokumenten zeigt, dass die anders gestaltet sind.

Der Staatssekretär im Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten, Marcin Przydacz, schrieb auf Twitter, dass es sich um eine Fälschung handele. Ein solches Schreiben wäre im polnischen Außenministerium niemals verfasst worden. Ein Twitter-Nutzer hatte ihn auf das kursierende Dokument hingewiesen, das Przydacz angeblich unterschrieben habe. »Die sprachlichen Fehler weisen eindeutig auf die möglichen Urheber dieser Provokation hin«, twitterte Przydacz.

WARNUNG Auch das polnische Außenministerium reagierte über Twitter auf die Behauptung und warnte vor Desinformation: Nicht nur das polnischen Schreiben, sondern auch das ukrainische Dokument sei eine Fälschung. Das Ministerium wies in dem Tweet darauf hin, dass die gefälschten Informationen unter anderem auf Telegram von Accounts pro-russischer Hacker-Aktivisten geteilt worden sei, die in der Vergangenheit falsche Inhalte über die angebliche Abschiebung von Ukrainern aus Polen verbreiteten.

Die Einschätzung scheint auch die ukrainische Botschaft in Polen zu teilen: Wie aus den Retweets hervorgeht, hat sie die Stellungnahme geteilt. Ein offizielles Statement des ukrainischen Außenministeriums auf das gefälschte Dokument lässt sich hingegen nicht finden. Auch auf dessen Website gibt es keine Mitteilung über eine entsprechende Anregung zur Straßenumbenennung in Warschau.

https://twitter.com/elenaevdokimov7/status/1559522061193969665

Ein weiterer Hinweis darauf, dass es sich auch bei dem angeblich ukrainischen Dokument sehr wahrscheinlich um eine Fälschung handelt, legt ein Vergleich mit anderen Schreiben des Außenministeriums nahe. Im Internet lässt sich etwa ein Dokument aus dem Jahr 2021 finden. Es hat eine elektronische Signatur in der Fußnote sowie einen Briefkopf, auf dem der Name des Ministeriums in ukrainischer Sprache sowie in englischer Sprache abgedruckt ist. Auf dem in den sozialen Netzwerken verbreiteten Schreiben zur vermeintlichen Straßenumbenennung ist nur der Name bzw. das Logo des Ministeriums in englischer Sprache abgebildet. Auch die digitale Signatur fehlt.

KRITIK Unwahrscheinlich ist auch, dass die ukrainische Regierung in Polen ausgerechnet den umstrittenen Nationalistenführer Stepan Bandera (1909 bis 1959) vorschlägt. Er löst bei Polen und Ukrainern bis heute höchst unterschiedliche Reaktionen aus. Zuletzt hatte Staatssekretär Przydacz etwa scharfe Kritik an Aussagen des scheidenden ukrainischen Botschafters in Deutschland, Andrij Melnyk, geübt. Melnyk hatte Bandera in einem Interview in Schutz genommen und gesagt: »Bandera war kein Massenmörder von Juden und Polen.« Das ukrainische Außenministerium hatte sich von den Äußerungen des Botschafters distanziert.

Bandera gilt einerseits als unermüdlicher Kämpfer für die ukrainische Unabhängigkeit, zugleich aber auch als Nazi-Kollaborateur. Er engagierte sich früh in der Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) und stieg rasch zu einem ihrer Anführer auf. Nach Darstellung des Historikers Grzegorz Rossoliński-Liebe organisierte er nach dem Ersten Weltkrieg mehrere Attentate.

Wegen seiner Mitverantwortung am Tod des polnischen Innenministers Bronislaw Pieracki landete er für Jahre im Gefängnis. Die zu lebenslanger Haft umgewandelte Todesstrafe stärkte seinen Ruhm als Märtyrer der ukrainischen Sache noch weiter.

WELTKRIEG Nach Beginn des Zweiten Weltkriegs fand Bandera, der aus dem polnischen Gefängnis ausgebrochen war, Verbündete in den deutschen Nationalsozialisten. Seine radikale OUN-Fraktion war laut Rossoliński-Liebe maßgeblich an antijüdischen Ausschreitungen beteiligt.

Eine Unterstützung für eine unabhängige Ukraine fand der Ultra-Nationalist Bandera bei den Nazis aber nicht: Er wurde verhaftet und bis Herbst 1944 als Sonderhäftling in Berlin und im Konzentrationslager Sachsenhausen festgehalten. An den ethnisch motivierten Vertreibungen und der Ermordung Zehntausender polnischer Zivilisten im Westen der Ukraine war er deshalb 1943 nicht persönlich beteiligt - er wird aber für die Taten nationalistischer Partisanen mitverantwortlich gemacht. Nach dem Zweiten Weltkrieg floh er nach Deutschland, wo er 1959 von einem Agenten des sowjetischen Geheimdiensts KGB ermordet wurde. dpa

Links

Russische Botschaft in Warschau auf Google-Maps (archiviert)

Facebook-Post mit gefälschtem ukrainischen Dokument (archiviert)

Tweet mit gefälschtem polnischen Dokument (archiviert)

»The Guardian« über Straßenumbenennung in Litauen (archiviert)

Über Marcin Przydacz (archiviert)

Tweet von Marcin Przydacz (archiviert)

Tweet des polnischen Außenministeriums (archiviert)

Suche auf der Website des ukrainischen Außenministeriums zu »Straße« und »Umbenennung«

Dokument aus dem Jahr 2021 des ukrainischen Außenministeriums (archiviert)

Historiker Rossoliński-Liebe über Stepan Bandera (archiviert)

MDR-Bericht über Stepan Bandera (archiviert)

Zeit-Bericht über Kritik von Polen an Melnyk-Äußerungen (archiviert)

Großbritannien

Frauen haben Besseres verdient

Die Journalistin Marina Gerner beklagt in ihrem Buch fehlende Innovationen im Bereich Frauengesundheit – und eckt nicht nur mit dem Titel an

von Amie Liebowitz  28.11.2025

Kultur

André Heller fühlte sich jahrzehntelang fremd

Der Wiener André Heller ist bekannt für Projekte wie »Flic Flac«, »Begnadete Körper« und poetische Feuerwerke. Auch als Sänger feierte er Erfolge, trotzdem konnte er sich selbst lange nicht leiden

von Barbara Just  28.11.2025

Fernsehen

Abschied von »Alfons«

Orange Trainingsjacke, Püschelmikro und Deutsch mit französischem Akzent: Der Kabarettist Alfons hat am 16. Dezember seine letzte Sendung beim Saarländischen Rundfunk

 28.11.2025 Aktualisiert

Niederlande

Demonstranten stören Vorlesung in Gedenken an Nazi-Gegner

An der Universität Leiden erzwangen antiisraelische Studenten die Verlegung einer Gedächtnisvorlesung zum Andenken an einen Professor, der während der Nazi-Zeit gegen die Judenverfolgung protestiert hatte

von Michael Thaidigsmann  28.11.2025

Großbritannien

Verdächtiger nach Anschlag auf Synagoge in Manchester festgenommen

Der Angriff auf die Synagoge am Vorabend des höchsten jüdischen Feiertags Jom Kippur sorgte international für Bestürzung. Jetzt wurde ein weiterer Tatverdächtiger festgenommen

von Burkhard Jürgens  27.11.2025

Bereit fürs ICZ-Präsidium: Noëmi van Gelder, Arthur Braunschweig und Edi Rosenstein (v.l.n.r.)

Interview

»Meinungsvielfalt gilt es auszuhalten« 

Am 8. Dezember wählt die Gemeindeversammlung der Israelitischen Cultusgemeinde Zürich ein neues Präsidium. Ein Gespräch mit den Kandidaten über Herausforderungen an die Gemeinde, Grabenkämpfe und Visionen

von Nicole Dreyfus  27.11.2025

Schweiz

Antisemitismus auch in der queeren Szene benennen

Viele Jüdinnen und Juden fühlen sich teils unsicher, wenn in der queeren Szene über Israel gesprochen wird. Der Verein Keschet will das ändern

von Nicole Dreyfus  27.11.2025

Das Ausmalbuch "From the river to the sea" in einer Buchhandlung in Zürich.

Meinung

Mit Kufiya und Waffen

Ein Kinderbuch mit Folgen

von Zsolt Balkanyi-Guery  27.11.2025

USA

Personifizierter Hass

Menschen wie Nick Fuentes waren lange ein Nischenphänomen. Nun drängen sie in den Mainstream - und sind gefährlicher denn je

von Sophie Albers Ben Chamo  26.11.2025