Tunesien

Die Wundersynagoge

Weite Sandstrände, gemäßigtes Klima, Sonnenscheingarantie – das mediterrane Djerba ist ein ideales Reiseziel. Es ist traditionell weltoffen, freundlich wie sein Licht und seine Farben. Djerba ist ein sanfter Einstieg in die arabische Welt. Die Synagoge La Ghriba – die Wundertätige – ist die interessanteste Sehenswürdigkeit dieser tunesischen Badeinsel. Auf Djerba existiert eine der ältesten jüdischen Gemeinden. Legenden ranken sich um ihre Geschichte. Unklar ist, ob die ersten Juden nach der Eroberung durch den babylonischen König Nebukadnezar (587 v.d.Z.) oder später hierherkamen. Im 14. und 15. Jahrhundert flohen viele Juden aus Spanien nach Djerba. Mit ihnen kam der Aufschwung des kulturellen Lebens der jüdischen Gemeinde auf der Palmeninsel.

Am Abzweig von Erriadh, früher »kleines Ghetto« genannt, steht eine Polizeikontrolle. Sie weist indirekt den Weg zur Synagoge. Seit dem Anschlag vom 11. April 2002 hat die Synagoge ihre touristische Unschuld verloren. Ein mit Gasflaschen beladener Lkw parkte damals vor dem Gebäude. Terroristen sprengten es in die Luft. 14 Deutsche, fünf Tunesier und zwei Franzosen starben.

sicherheit Die Synagoge steht seither im besonderen Blick der Behörden. Sie ist streng bewacht, Polizisten patrouillieren davor. Die Besuchergruppen – die meisten kommen in Bussen, nur vereinzelt auch Individualtouristen – müssen aufwendige Kontollen wie auf einem Flughafen über sich ergehen lassen.

Von außen wirkt das Gebäude schlicht und schmucklos. Doch die Innenausstattung ist prachtvoll: bemalte Majolikakacheln, blau-weiß strahlende maurische Bögen, filigranes Schnitzwerk an Türen, Fenstern und Bänken. Dort sitzen drei ältere, bärtige Gemeindemitglieder und rezitieren abwechselnd aus der Tora. Noch ist es ruhig und beschaulich in der Synagoge. Am Sonntag, zu Lag Baomer, werden sich hier Tausende Juden aus aller Welt treffen.

»Letztes Jahr kamen über 5.000, aus Kanada, den USA, Frankreich und Deutschland, um gemeinsam zu feiern«, sagt Madame Ghadour vom tunesischen Fremden- verkehrsamt in Houmt Souk, der lebendigen Hauptstadt Djerbas. Die Sicherheitsmaßnahmen sind dieser Tage überall auf der Insel verschärft. Ein Heer von Polizisten und Geheimdienstleuten in Zivil soll für Sicherheit sorgen. »Die Pilgerreise zur Synagoge La Ghriba bereichert die Insel kulturell. Und die Pilger, die hierherkommen, sind für uns ein Symbol der Toleranz«, betont Ghadour.

An Lag Baomer verwandelt sich die Synagoge in ein Zentrum geselligen Lebens. In dem Gebäude neben La Ghriba finden Konzerte und eine Versteigerung zum Erhalt der Synagoge statt. Es werden Mahlzeiten eingenommen, und es fließt Boukha, der traditionelle tunesische Feigenschnaps. Die Tora wird gelesen, man betet, macht Gelübde, singt, tanzt.

Ein Ritual an Lag Baomer besteht darin, ein Ei mitzubringen, darauf wird der Name des Gebers geschrieben und ein Wunsch damit verbunden. Man stellt das Ei an einen Stein im Innern der Synagoge, der aus dem ersten Jerusalemer Tempel stammen soll. Einer Legende zufolge sollen ihn jüdische Flüchtlinge im sechsten Jahrhundert v.d.Z. nach Djerba gebracht haben.

Am folgenden Tag kommt man zurück: Das Ei hat den Segen bekommen, und man isst es auf. Der damit verbundene Wunsch soll sich nun erfüllen. »Auch nichtjüdische Tunesier, Muslime, pflegen inzwischen dieses Ritual«, sagt Ghadour.

Silberschmiede Doch nicht nur die Synagoge profitiert von den Pilgern aus aller Welt. Auch die großen Hotels auf Djerba und die traditionsreichen Gold- und Silberschmiede. Die jüdische Gemeinde, die einst ein Zehntel der Bevölkerung ausmachte, ist heute auf etwa 800 Personen geschrumpft. Wirtschaftliche Schwierigkeiten, aber auch die antijüdische Haltung der arabischen Bevölkerung mit Zuspitzung des Nahostkonflikts haben viele dazu gebracht, die einst tolerante Insel zu verlassen und nach Frankreich oder Israel auszuwandern.

Die Juden auf Djerba waren vor allem bekannt für ihre filigranen Silberarbeiten. In der Hauptstadt Houmt Souk finden sich noch heute die traditionsreichen Läden der jüdischen Silber- und Goldschmiede. Alte, überbordende Geschäfte mit dem schweren Silberschmuck der Berber, aber auch filigrane Arbeiten liegen nebeneinander in den verwinkelten Gassen der Silberschmiede. Produziert wird dort nur noch wenig.

Die fünf Brüder der Familie Ben Ghorbel gehören zu den wenigen, die den aufwendigen Silberschmuck im Stil des jüdischen Meisters Moshe Nemli (1890–1940) herstellen und im Freizeitpark Djerba Explore ein eigenes Geschäft führen. In Handarbeit fertigen sie Ringe, Ketten, Armbänder mit den tausend Jahre alten Symbolen für Fruchtbarkeit und Leben: dem Fisch, der Hand der Fatima, dem Vogel und der Pflanze. Auf Wunsch arbeiten sie auch religiöse jüdische Inschriften ein.

Hochkonjunktur »Wir haben Nemlis Modelle übernommen und versuchen sie weiterzuentwickeln, denn die Familie Nemli ist längst ausgewandert. Es gibt keine Erben«, sagt Nacer Ben Ghorbel. »Wir sind Araber«, fügt Moudher Ben Ghorbel, der rhetorisch gewandteste der Brüder, hinzu. »Aber wir stellen ein zu hundert Prozent jüdisches Produkt her. Wir produzieren Silberarbeiten mit hebräischen Wör- tern, die wir selbst nicht verstehen. Für uns ist das jüdische Erbe ein Erbe von Djerba. Es hat für uns nichts mit Religion zu tun.«

In den Schaufenstern der jüdischen Händler von Houmt Souk sind die Stücke der Brüder Ben Ghorbel zu finden. Es sind die herausragenden Schmuckstücke der Vitrinen. »Wir sind froh, dass wir dieses traditionelle Design von Moshe Nemli neu präsentieren können«, sagt Azizi Haddouk. Der junge, jüdische Schmuckhändler betreibt den Laden Chez Moshe am zentralen Mohamed-Ali-Platz. Die Pilgerfahrt an Lag Baomer bedeutet für ihn: Hochkonjunktur. Er weiß: »Da kommen viele Kenner aus aller Welt, die Souvenirs mit Wert und Geschichte schätzen.«

Bereit fürs ICZ-Präsidium: Noëmi van Gelder, Arthur Braunschweig und Edi Rosenstein (v.l.n.r.)

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