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Die Social-Media-Bändigerin

»Jeder hat einen anderen Bezug zu den Dingen, besonders die jüngere Generation«: Social-Media-Influencerin Montana Tucker (32) Foto: picture alliance / Globe-ZUMA

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Die Social-Media-Bändigerin

Die pro-israelische Influencerin Montana Tucker liefert Lehrstücke der modernen Kommunikation im Akkord. Zeit, sich die junge Frau, die mit Tanzvideos berühmt wurde, genauer anzusehen

von Sophie Albers Ben Chamo  26.06.2025 11:56 Uhr

Die meisten Menschen sind sich nicht bewusst, wenn sie einen entscheidenden Moment der Menschheitsgeschichte erleben – sei es vor 1000 Jahren, vor 100 oder heute. Sie leben einfach. Und wenn es ein gutes Leben ist, hoffen sie, dass es immer so weitergehen wird. Umso erstaunlicher ist es, wenn sie begreifen, was gerade geschieht, und sie ihr Leben ändern. Und richtig verwirrend wird es, wenn sie dabei so auftreten wie Montana Tucker.

Rein äußerlich ist die 32-Jährige das fleischgewordene Klischee einer Cheerleaderin: sehr blond, sehr hübsch und mit der Agilität eines Flummys. Tucker steht vor Kameras, seitdem sie acht Jahre alt ist, modelte, war in Werbespots und im Kinderfernsehen zu sehen. Später arbeitete sie als professionelle Tänzerin und Sängerin und baute sich schließlich eine Social-Media-Karriere damit auf, für TikTok-Clips Musikvideos von Popstars wie Lady Gaga oder Beyoncé nachzustellen. Die sind in ihrer Machart sympathisch bodenständig, mit dem Mobiltelefon aufgenommen, im Park oder auch zu Hause inszeniert. Das brachte der jungen Frau aus Florida bisher eine Followerschaft von mehr als 14 Millionen. Damit liegt Tucker ungefähr auf gleicher Höhe mit Sarah Silverman und J.K. Rowling, hinter Madonna und Gisele Bündchen, aber vor Barack Obama und SpongeBob.

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Das hätte ewig so weitergehen können mit den TikTok-Videos, mit Werbeverträgen, Filmauftritten und Liebesbekundungen von Lady Gaga. Doch dann starb Tuckers geliebter Großvater, den sie nur Seide nennt, Jiddisch für Opa. Tucker ist mütterlicherseits Enkelin zweier Schoa-Überlebender, Lily und Michael Schmidmayer. Ihre Großmutter war 13, als sie nach Auschwitz verschleppt wurde und mit ansehen musste, wie ihre Mutter in die Gaskammer geprügelt wurde. Beide Großeltern haben für die Shoah Foundation Zeugnis abgelegt. Sie habe sich ihre Videos immer wieder angesehen, sagt Tucker im Gespräch mit dieser Zeitung. Und sie könne nicht fassen, wie aktuell sie heute seien. »Seide hat immer gesagt: ›Nie wieder!‹ Er hat regelmäßig vor Schulklassen gesprochen.« Da sei ihr plötzlich klar geworden, dass sie übernehmen müsse. »Ich habe keine andere Wahl.«

»Wir haben immer gesagt: Niemals vergessen. Nie wieder. Und jetzt sind wir wieder an diesem Punkt.«

Die Influencerin buchte zusammen mit ihrer Mutter eine Remembrance-Tour in Polen, auf den letzten Spuren ihrer Familie, und machte aus der schmerzvollen persönlichen Erfahrung ein perfektes Social-Media-Paket für die Generation Z. Sie folgte dem Trauma, das ihre Großeltern und ihre Familien durchleben mussten. In Belzec erfährt die junge Frau, dass an diesem Ort Verwandte ermordet wurden, deren Namen sie nicht einmal kannte. In Auschwitz steht sie an der Stelle, wo ihre Großmutter die eigene Mutter zum letzten Mal sah. Immer hat Tucker die richtigen Worte bereit, um neben all den Emotionen auch Fakten und Informationen Raum zu geben. Und das alles in nur 23 Minuten, die sie in neun TikTok-taugliche Segmente von jeweils unter drei Minuten unterteilt hat. Es ist ein Lehrstück der modernen Kommunikation.

»Ich dachte immer, es sei mein Job, die Leute zum Lachen und zum Tanzen zu bringen«, sagt Tucker über die Dreharbeiten. Aber »es ist so viel größer als das«. Sie habe erwartet, dass ihre Fanbase sich abwenden würde, doch das Gegenteil war der Fall. »How to: Never forget« wurde seit seiner Veröffentlichung am 27. Januar 2023 mehr als 17 Millionen Mal angesehen.

Dann kam der 7. Oktober. Sie habe eine Woche lang ihre Wohnung nicht verlassen, sagt Tucker. Sie sei wie gelähmt gewesen und habe sich gefragt, wie sie jetzt noch lustige Tanzvideos machen solle. Dann habe ein Freund sie mit auf eine Solidaritätskundgebung für Israel genommen, und ihr sei klar geworden, was sie von nun an tun müsse. Aufklären. Aushalten. Nicht aufgeben, könnte man es nennen. »Ich habe mir immer wieder die Geschichten meiner Großeltern angesehen.« Sie sei froh, dass ihre Großmutter dement sei und nicht verstehe, was gerade los ist, sagte sie jüngst in einem Podcast.

»Dann bist du einfach ein schlechter Mensch«

Tucker verlor Hunderttausende Fans. Die Zahlen seien ihr egal gewesen, sagt sie, aber dass Menschen so viel Hass in sich tragen, nicht. »Es spielt keine Rolle, welche Meinung du vertrittst, aber wenn du kein Mitgefühl für die weinende Mutter eines auf dem Nova-Festival erschossenen Mädchens aufbringen kannst, bist du einfach ein schlechter Mensch.«

Tucker fuhr mehrfach nach Israel, traf Überlebende, betroffene Familien und freigelassene Geiseln. Sie interviewte Noa Argamani und Eli Sharabi. Sie wolle die Menschen zeigen, die überwältigenden, unerträglichen Geschichten begreifbar machen, sagt sie. Die größte Hilfe ist dabei immer ihre kaugummibunte Popularität. Und eines Tages hat sie doch wieder ein Tanzvideo gemacht: mit Überlebenden des Nova-Festivals nahe dem Gelände, wo die Hamas am 7. Oktober 364 Menschen auf bestialische Art und Weise massakriert, Hunderte verletzt und 40 als Geiseln verschleppt hat. Das habe nicht jeder verstanden, sagt Tucker. »Am Anfang sieht es aus wie ein Musikvideo. Deshalb hat es auch ein ganz anderes Publikum angezogen, das sich nicht unbedingt für diesen Konflikt interessiert. Ich versuche immer, verschiedene Ideen und Wege zu finden, um meine Botschaft zu verbreiten und verschiedene Zielgruppen zu erreichen.« Das »We can dance again«-Video wurde bisher 15 Millionen Mal angesehen.

Man müsse die Generation Z dort abholen, wo sie ist, sagt Tucker. Es bringe nichts, wenn man über den Konflikt einfach nur redet. »Deshalb habe ich Tanzvideos gemacht, deshalb habe ich Gesangsvideos gemacht. Deshalb arbeite ich mit Menschen jeder Herkunft und Religion zusammen. Ich mache diese Videos in der Öffentlichkeit, wo ich mit Leuten auf der Straße über Israel spreche. Jeder hat einen anderen Bezug zu den Dingen, besonders die jüngere Generation«, erklärt die junge Frau voller Souveränität. »Social Media ist ein beängstigender, ein verrückter Ort, aber leider ist es der Ort, an dem jeder seine Informationen erhält. Wenn wir es richtig nutzen, kann es auch ein positiver Ort sein.«

»Die Kinder des 7. Oktober«

Und nun also dieses Projekt: »Die Kinder des 7. Oktober« ist so TikTok-kompatibel inszeniert wie »How to: Never forget«. 36 Minuten, die den Horror von damals ins Jetzt bringen, wenn acht Kinder, die die Massaker vom 7. Oktober 2023 überlebt haben, von ihrem Schicksal berichten. Zur Erinnerung: Terroristen aus Gaza haben am »Schwarzen Schabbat« auch 37 Kinder ermordet, 36 nach Gaza verschleppt und Hunderte verletzt und traumatisiert. Kinder haben Eltern, Geschwister, Freunde verloren – und mussten häufig bei deren Ermordung zusehen, so wie die elfjährige Yael.

Kinder und Jugendliche in aller Welt kennen Montana Tuckers fröhliche Tanzvideos seit Jahren, vielleicht deshalb scheinen sie der blonden Frau zu vertrauen.

Der heute 16-jährige Rotem erzählt offen davon, wie er nur überleben konnte, indem er sich unter seiner ermordeten Mutter versteckte. Der zwölfjährige Eitan musste mit ansehen, wie die Terroristen seinen Vater erschossen, und wurde dann selbst nach Gaza verschleppt. Als er dort ankam, hätten die Menschen auf der Straße auf ihn eingeprügelt, sagt der Junge, der 52 Tage gefangen gehalten wurde, bevor er im Rahmen eines Freilassungsabkommens zurückkam. Natürlich seien Psychologen am Set gewesen, sagt Tucker, und sie selbst habe vor und nach den Interviews lange mit den Kindern gesprochen.

»Jetzt sind wir wieder an diesem Punkt«

Und was haben die Geschichten mit ihr gemacht? Es habe viele Momente gegeben, in denen sie zusammenbrechen wollte, sagt sie geradeheraus. Es sei dann passiert, als sie Ella getroffen habe, deren Vater ermordet wurde. »Ella hat in der Öffentlichkeit viel darüber gesprochen, ist überall hingereist, aber sie hat nie geweint.« Als sie in ihrem zerstörten Zuhause zusammen mit Tucker auf den Dachboden ging, wo ihr Vater von den Terroristen getötet wurde, seien sie beide zusammengebrochen, so Tucker. »Ich habe dem Team gesagt, dass sie die Kameras ausschalten sollen.«

Tucker macht eine Pause, dann sagt sie: »Wenn man diese Geschichten hört, kann man gar nicht glauben, dass sie wahr sind. Sie erinnern mich so sehr an meine Großmutter und das, was ich über den Holocaust gehört habe. Wir haben immer gesagt: Niemals vergessen. Nie wieder. Und jetzt sind wir wieder an diesem Punkt.«

Die Resilienz der Kinder, die unfassbaren Horror überlebt haben, hätte ihr Kraft gegeben: »Ich empfinde meine Arbeit als absolute Pflicht und Verantwortung.« Man wisse nie, welche Wirkung man erzielen wird, sagt Tucker. »Und deshalb ist jede einzelne Sache, die man tut, wichtig.«

»The Children of October 7«, Dokumentation, bei Paramount+

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