Venezuela

Die Letzten von Caracas

Der Gottesdienst hat bereits begonnen, als Eduardo Cudisevich die Synagoge im Zentrum der venezolanischen Hauptstadt Caracas betritt. Cudisevich, 52 Jahre alt, Glatzkopf, Backenbart, geht von Bank zu Bank, schüttelt Hände und plauscht kurz mit Bekannten: »Wie geht’s? Wie steht’s?«

In den 80er-Jahren kamen in der Synagoge 200 Menschen zum Gebet zusammen. Heute sitzen 15 Männer verloren auf den Holzbänken. Die Frauen haben links hinter einer Glaswand Platz genommen. Um einen Minjan zusammenzubekommen, hat die Gemeinde eine WhatsApp-Gruppe erstellt. Das funktioniert einigermaßen.

Geschichte Die Geschichte der jüdischen Gemeinde des Landes reicht bis ins frühe 19. Jahrhundert zurück, als sefardische Juden von den Karibikinseln aufs Festland übersiedelten. Ab den 20er-Jahren des 20. Jahrhunderts kamen Aschkenasim aus Osteuropa, und 1939 gewährte das Tropenland jüdischen Flüchtlingen aus Nazi-Deutschland Asyl.

Als Hugo Chávez 1998 zum Präsidenten gewählt wurde, lebten etwa 25.000 Juden in Venezuela. Heute sind es noch rund 7000, doch genau weiß das niemand.

Der jüdische Exodus aus Venezuela, vor allem Richtung Israel und in die USA, ist Teil einer der größten Migrationsbewegungen der Gegenwart. Fünf Millionen Menschen hat die humanitäre Katastrophe in Venezuela aus dem Land getrieben – eine Folge der horrenden Korruption und Misswirtschaft unter Chávez und dessen Nachfolger Nicolás Maduro.

Auch Cudisevich wollte nach Israel auswandern. Doch am Ende brachte er es nicht übers Herz, seine alte Mutter zurückzulassen. Früher hätten bei Familienfesten 100 Personen ihr Haus gefüllt, heute kämen vielleicht noch 15, sagt er. Als Ingenieur verdiente er einst gutes Geld mit Gutachten für Ölfirmen. Heute baut er auf seiner Terrasse Tomaten und Möhren an. Seit März hat er kein Internet mehr, der Strom ist rationiert, und die Müllabfuhr kam zuletzt vor zwei Jahren.

Chávez Cudisevich nennt noch einen weiteren Grund, weshalb viele Juden Venezuela verlassen: »Unter Chávez hat der Antisemitismus zugenommen.« Laut einem Bericht der Dachorganisation jüdischer Vereinigungen in Venezuela (CAIV) veröffentlichten venezolanische Medien im Jahr 2014 rund 3300 Artikel mit antisemitischem Tenor.

Trotz des personellen und finanziellen Aderlasses hält die jüdische Gemeinde zusammen und finanziert weiterhin ein beeindruckendes Netz gemeinschaftlicher und sozialer Einrichtungen. Sie sei ärmer, religiöser und verschlossener als vor einem Jahrzehnt, sagt Cudisevich. Die Gemeinde kämpft ums Überleben.

Bereit fürs ICZ-Präsidium: Noëmi van Gelder, Arthur Braunschweig und Edi Rosenstein (v.l.n.r.)

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