Brüssel

»Die Auswirkungen sind immens«

Die Schlachtung von Tieren nach jüdischem Ritus ist in Flandern und Wallonien seit einigen Jahren verboten. Foto: dpa

Brüssel

»Die Auswirkungen sind immens«

Der belgische Verfassungsgerichtshof hat das Schächtverbot bestätigt – zur Enttäuschung der jüdischen Gemeinschaft

 01.10.2021 10:41 Uhr Aktualisiert

Das Urteil kam zwar wenig überraschend, löste aber dennoch erneut Enttäuschung aus. Der belgische Verfassungsgerichtshof in Brüssel hat ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) bestätigt, wonach es mit europäischem Recht vereinbar ist, das religiöse Schächten von Tieren ohne Betäubung einzuschränken oder ganz zu verbieten.

Das oberste belgische Gericht hatte 2018 den EuGH im Vorlageverfahren um Auslegungshilfe gebeten. Grund war eine Klage jüdischer und muslimischer Verbände, die sich gegen das von den beiden großen Regionen des Landes, Flandern und Wallonien, verhängte Schächtverbot zur Wehr gesetzt hatten.

Tierschutz Zur Überraschung vieler Beobachter urteilten die Luxemburger Richter im vergangenen Dezember, dass der Tierschutz Vorrang haben dürfe vor der Religionsfreiheit. Am Donnerstag wies das belgische Verfassungsgericht die Klage ab.

Externer Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel anreichert. Wir benötigen Ihre Zustimmung, bevor Sie Inhalte von Sozialen Netzwerken ansehen und mit diesen interagieren können.

Mit dem Betätigen der Schaltfläche erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihnen Inhalte aus Sozialen Netzwerken angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittanbieter übermittelt werden. Dazu ist ggf. die Speicherung von Cookies auf Ihrem Gerät nötig. Mehr Informationen finden Sie hier.

Die Region Flandern hatte 2014 beschlossen, auch das nach der Halacha, dem jüdischen Recht, vorgeschriebene Schlachten von Tieren ohne vorherige Betäubung zu untersagen. Das Verbot ist seit 2017 in Kraft. Auswirkungen hat es besonders in Antwerpen, wo rund 20.000 orthodoxe Juden leben.

Auch die südbelgische Region Wallonien fasste wenig später einen ähnlichen Beschluss. Nur in Brüssel ist bislang das Schlachten ohne Betäubung noch zulässig. Auch aus dem Ausland darf koscheres Fleisch eingeführt werden.

RELIGIONSFREIHEIT Der Präsident des Jüdischen Weltkongresses, Ronald S. Lauder, kritisierte das Urteil: Es sei »ein fortgesetztes Manöver, um die jüdischen und muslimischen Bürger Belgiens zu diskriminieren«. Durch das Verbot religiöser Schlachtungen ohne Betäubung habe der Gerichtshof der Europäischen Union »ein potenziell tödliches Hindernis für das weitere jüdische Gemeinschaftsleben in Europa gelegt«. Es gehe nicht um den Tierschutz, sondern um die Unterdrückung der Religionsfreiheit, die in Artikel 10 Absatz 1 der EU-Grundrechtecharta garantiert ist, so Lauder.

Da der Antisemitismus in Europa und auf der ganzen Welt immer weiter zunimmt, könne der Jüdische Weltkongress solche Fälle religiöser Verfolgung nicht unangefochten lassen. »Die Europäische Union muss diese unkluge Entscheidung rückgängig machen, damit Juden und andere Minderheitenreligionen ihren Glauben ohne Einschränkungen ausüben können.«

Der Präsident der Europäischen Rabbinerkonferenz, Pinchas Goldschmidt, sagte in einer Stellungnahme, das Verbot stelle Belgien »leider auf eine Linie mit einigen anderen europäischen Ländern, deren Schächtverbote noch aus der Nazizeit stammen«.

Wenn man der jüdischen Gemeinde die Möglichkeit nehme, sich selbst zu versorgen, sende man eine klare Botschaft aus, welchen Stand Juden in Belgien hätten, so der Moskauer Oberrabbiner weiter. »Die Auswirkungen sind immens, und die Folgen führen für die jüdische Gemeinde in Belgien zu großen Nachteilen.«

DOMINOEFFEKTE Die Hoffnung auf eine Lockerung des Schächtverbots will Goldschmidt dennoch noch nicht ganz aufgeben. »Jetzt, nachdem das Gerichtsverfahren abgeschlossen ist, hoffen wir, dass die Mitglieder des belgischen Parlaments sinnvoll und konstruktiv mit den Religionsgemeinschaften des Landes zusammenarbeiten werden, in der Hoffnung, dass die Möglichkeit zum religiösen Schächten bald in ganz Belgien wieder legal wird«, erklärte er.

Die Konferenz der Europäischen Rabbiner befürchtet nach dem Urteil einen «Dominoeffekt». Sie glaubt, weitere Staaten könnten ebenfalls Verbote oder Einschränkungen erlassen, was die freie Religionsausübung weiter erschweren würde. mth

USA

Die Magie der Start-ups

Auch Arielle Zuckerberg mischt in der Hightech-Welt mit. Als Investorin ist die Schwester von Mark Zuckerberg derzeit zudem auf jüdischer Mission

von Paul Bentin  08.05.2025

Judenhass

Alarmierende Zahlen

J7 stellt ersten Jahresbericht über Antisemitismus in den sieben größten Diaspora-Gemeinden vo

 07.05.2025

Meinung

Null Toleranz für Gewaltaufrufe

Ein Großereignis wie der Eurovision Song Contest darf keine Sicherheitslöcher zulassen, findet unsere Schweiz-Redakteurin Nicole Dreyfus

von Nicole Dreyfus  07.05.2025

Eurovision Song Contest

Israelische Sängerin Yuval Raphael wird von der Schweiz nicht extra geschützt

Die Basler Sicherheitsbehörden wissen um die angespannte Lage, das Sicherheitsrisiko in der Schweiz ist hoch

von Nicole Dreyfus  06.05.2025

Interview

»Wir sind ein Impulsgeber«

Zentralratspräsident Josef Schuster über die Internationale Task Force gegen Antisemitismus J7, den deutschen Vorsitz und ein Treffen in Berlin

von Philipp Peyman Engel  05.05.2025

Ukraine

Mit Tränen in den Augen

Die Weltordnung zerfällt, doch eine sinnvolle Gestaltung des 80. Jahrestags zum Ende des Zweiten Weltkriegs ist möglich, sagt unser Autor

von Vyacheslav Likhachev  04.05.2025

Österreich

Pita und Krautrouladen

Haya Molcho hat sich im Laufe der Jahre von Wien aus ein Imperium erkocht. Ein Gespräch über Familie, Politik und Balagan in der Küche

von Nicole Dreyfus  04.05.2025

Florenz

Judenretter und Radsportheld

Als Gigant der Landstraße ging Gino Bartali in die Geschichte des Radsports ein. Was der im Jahr 2000 gestorbene Italiener abseits der Rennen leistete, nötigt mindestens ebenso viel Respekt ab

von Joachim Heinz  02.05.2025

Japan

Jüdisch in Fernost

Etwa 1500 Juden sind im Land der aufgehenden Sonne zu Hause. Koscheres Leben ist schwierig. Und sogar hier hat sich seit dem 7. Oktober 2023 einiges verändert

von Eugen El  01.05.2025