aufklärung

Der lange Kampf der Rosa Roisinbilt

Hat den Enkel wieder: Rosa Roisinbilt Foto: Stephan Pramme

aufklärung

Der lange Kampf der Rosa Roisinbilt

Wie eine Großmutter den Sohn ihrer von der Junta ermordeten Tochter wiederfand

von Alexander Hasgall  18.07.2011 18:59 Uhr

Rosa Roisinbilt hat viele Episoden der jüdisch-argentinischen Geschichte selbst erlebt. Als sie 1919 in der jüdischen Siedlung Moisés Ville geboren wurde, fand in Argentinien das erste antijüdische Pogrom statt. Sie erlebte die Ankunft jüdischer Flüchtlinge während der Nazizeit und das Aufblühen einer Gemeinschaft, die zu ihrer Blütezeit über 300.000 Mitglieder zählte. Sie musste aber auch mit ansehen, wie bei den Terroranschlägen gegen die israelische Botschaft 1992 und das jüdische Gemeindezentrum AMIA 1996 mehr als 100 Menschen starben.

Das dunkelste Kapitel ihres Lebens fand im Oktober 1978 statt. Damals regierten in Argentinien Militärs. Sicherheitskräfte entführten ihre Tochter Patricia und deren Ehemann zusammen mit der 18 Monate alten Tochter Mariana. Während das Kleinkind der Familie zurückgegeben wurde, blieb die Tochter, die im achten Monat schwanger war, verschwunden.

adoption Später erfuhr Rosa Rosinbilt von Augenzeugen, dass ihre Tochter in der ESMA, einem geheimen Haft- und Folterlager der Marine gesehen wurde. Zur ESMA gehörte ein eigener Kreißsaal, in dem inhaftierte Frauen ihre Kinder zur Welt brachten. Diese Kinder wurden dann dem Regime nahestehenden Paaren zur Adoption übergeben. Patricia selbst bleibt bis heute verschwunden. Ihre Mutter geht davon aus, dass ihr der Säugling kurz nach der Geburt weggenommen und sie dann ermordet wurde.

Auf der Suche nach dem Enkelkind kam Rosa Roisinbilt mit den »Abuelas de la Plaza de Mayo«, den Großmüttern des Maiplatzes in Kontakt, wurde zuerst Mitglied und dann Vizepräsidentin der Organisation. Die Abuelas, wie sie zumeist genannt werden, haben es sich zur Aufgabe gemacht, die in den klandestinen Haftzentren geborenen und zur Adoption gegebenen Enkelkinder wiederzufinden. Die Abuelas suchte sie auf, nachdem sie bei den jüdischen Organisationen nicht die erhoffte Hilfe fand.

»Ich war damals sehr desorientiert und wusste nicht, was zu tun ist. Ich ging dann zur DAIA, der jüdischen Gemeindevertretung. Zuerst hieß es, ich müsse mir keine Sorgen machen, man würde sich für mich einsetzen, ich sollte nach Hause gehen. Ich war natürlich sehr froh über diese Nachricht.«

Doch zwei Wochen später war plötzlich alles anders. »Einer der dortigen Anwälte empfing mich mit den Füßen auf dem Tisch und erklärte mir, er hätte anderes zu tun als sich um meine Tochter zu kümmern. Ich solle verschwinden.« Auch die israelische Botschaft war keine Hilfe. »Der israelische Konsul erklärte mir, er treffe sich jeden Mittwoch mit Innenminister Harguindeguy. Dieser habe erklärt, es gäbe keine jüdischen Gefangenen.«

datenbank Als Vizepräsidentin half Roisinbilt mit, eine Datenbank von genetischen Fingerabdrücken aufzubauen, um Kinder zu identifizieren. Mittlerweile wurden 103 Nachkommen aufgespürt – inzwischen sind sie erwachsen. Auch die Daten ihrer eigenen Genanalyse gab Roisinbilt einer Datenbank in den USA, in der Hoffnung, eines Tages ihren verschleppten Enkel zu finden. Dies gelang vor elf Jahren: »Meine Enkelin Mariana arbeitete mittlerweile auch für die Abuelas. Eines Tages erhielt sie einen anonymen Anruf mit Informationen.«

Alle Beschreibungen wiesen auf ihren Enkel hin. »Normalerweise gehen wir diskret mit Informationen um, aber Marianna ging gleich zum Sportgeschäft, in dem er arbeitete, und stand vor ihrem Bruder. Der junge Mann ließ sich Blut abnehmen, und Gentests bewiesen, dass es sich tatsächlich um den Sohn meiner Tochter Patricia handelte.«

Während damit für Rosa Roisinbilt die Suche nach dem Enkel ein Ende fand, blieben zahlreiche andere Fälle bis heute ungeklärt. Die Arbeit muss weitergeführt werden. Rosa Roisinbilt ist hoffnungsvoll. »Wir waren schon Großmütter, als wir begannen, unsere Enkel zu suchen. Aber es gibt genügend junge Menschen, die mit uns arbeiten. Sie werden die Arbeit auch dann weiterführen, wenn wir nicht mehr leben werden.«

Florida

»Die Zeit der ungestraften Israel-Boykotte ist vorbei«

Der US-Bundesstaat geht gegen Israel-Boykotteure weltweit vor: Florida verbietet seinen öffentlichen Einrichtungen die Zusammenarbeit mit Regierungen, Universitäten und Unternehmen, die BDS propagieren

von Michael Thaidigsmann  19.10.2025

Großbritannien

»Wir wussten, dass dieser Tag kommen würde«

Das tatkräftige Eingreifen von Gemeindemitgliedern konnte Leben retten. Doch nach dem Anschlag auf die Synagoge in Manchester beklagt die Gemeinschaft zwei Tote und mehrere Verletzte

von Michael Thaidigsmann  19.10.2025

Großbritannien

Aufsicht rügt BBC wegen »schwerwiegender Irreführung«

Eine BBC-Doku aus Gaza drehte sich um den 13-jährigen Sohn eines hochrangigen Hamas-Funktionärs. Doch davon erfuhren die Zuschauer nichts. Jetzt beschloss die Ofcom Sanktionen gegen den Sender

 17.10.2025

Meinung

Das moralische Versagen der Linken

Wenn Antisemitismus offen auf der Straße marschiert, dann hört man aus den linken Reihen: nichts.

von Nicole Dreyfus  17.10.2025

USA

Auf der Suche nach dem »Jewish Glam«

Wie jüdische Fotografinnen und Fotografen Hollywood zu seinem berühmten Glamour verhalfen

von Ute Cohen  17.10.2025

Stockholm

Wirtschaftsnobelpreis geht auch an jüdischen Ökonom

Joel Mokyr, Philippe Aghion und Peter Howitt werden für ihre Forschung zu nachhaltigem Wachstum geehrt

 13.10.2025

Kommentar

Kein Wunder in Bern

Bei gewaltbereiten Demonstrationen in der Schweizer Bundeshauptstadt hat sich ein Teil der Palästina-Solidarität einmal mehr selbst entlarvt: Es ging nie darum, das Leid im Gazastreifen zu beenden oder einen angeblichen Genozid zu stoppen

von Nicole Dreyfus  12.10.2025

Malibu

Kiss-Sänger Gene Simmons bei Unfall verletzt

Der 76-Jährige soll hinter dem Steuer das Bewusstsein verloren haben

 10.10.2025

Meinung

Außen hui, innen pfui: Trumps Umgang mit den Juden

Während sich der US-Präsident um die Juden in Israel verdient macht, leidet die jüdische Gemeinschaft im eigenen Land unter seiner autoritären Innenpolitik. Das sollte bei aller Euphorie über den Gaza-Deal nicht vergessen werden

von Joshua Schultheis  09.10.2025