Libanon

Der geduldete Rest

Vorbei an Jugendstilvillen mit französischen Gärten und 15 Meter tiefen Baugruben für künftige Luxushotels kommt man in die etwas unscheinbare Scharia al Jahudi – die Straße der Juden. Hier wohnt die letzte jüdische Bewohnerin des ehemaligen Beiruter Judenviertels Wadi Abu Jamil. Im dritten Stock füttert Lisa Srour vor ihrer Wohnungstür Katzen. Das Haus steht kurz vor dem Abriss, die Türen der Nachbarn sind bereits zugemauert: Sie wurden umgesetzt. Um die Katzen tut es ihr leid, sagt Srour. Ansonsten ist sie froh, aus ihrer Wohnung herauszukommen: Der Putz blättert von den Wänden, die hölzernen Türen faulen, die meisten Möbel hat sie schon zu einer Freundin geschafft.

Es ist eine der letzten Schmuddelecken der Innenstadt. Das im Bürgerkrieg weitgehend zerstörte Handels- und Geschäftsviertel ist heute fast vollständig im orientalisierten Jugendstil wieder aufgebaut. Es ist eine Flaniermeile für Gutbetuchte geworden: teure Markengeschäfte, blitzsaubere Gehsteige, gestutzte Buchsbäumchen und Springbrunnen, an deren Rändern man sich nur niederlassen darf, wenn man die entsprechende Kleidung trägt – sonst eilt ein Wachmann herbei.

Nun will die Stadtentwicklungsfirma Solidere auch die Judenstraße herrichten. Lisa Srour wird eine Abfindung erhalten. Doch obgleich die letzte Jüdin weichen muss, das Zentrum des libanesischen Judentums bleibt hier erhalten und soll bald in gleichem Glanz erstrahlen wie der Rest der Innenstadt. Eine Million US-Dollar soll die Restaurierung kosten, das meiste davon tragen Spender, meist libanesische Juden in den USA. Solidere leistet mit 150.000 US Dollar einen kleinen Beitrag wie auch für andere religiöse Stätten in dem Gebiet.

Die jüdische Gemeinde wünscht sich, das jüdische Leben in der Stadt wiederzubeleben. Keinesfalls solle die Synagoge ein Museum werden, schreiben die Macher der Website www.thejewsoflebanonproject.org. »Wir hoffen, dass die Gemeinde wieder wachsen wird«, zitierte die Nachrichtenagentur AFP den Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde im Libanon, Isaac Arazi, in einem seltenen Interview. In der Regel spricht Arazi nicht mit Journalisten.

verboten Wenngleich Juden im Libanon anders als in anderen arabischen Ländern nie verfolgt wurden, ist ihre Rolle schwierig. In dem einzigen Interview, das Arazi bisher einer libanesischen Tageszeitung gab, betont er vier Mal, dass es keinerlei Beziehungen zu Israel gebe und auch die Hisbollah das anerkenne. Das ist wohl notwendig. Jegliche »Normalisierung« mit Israel ist verboten. Das betrifft etwa einen Film wie Schindlers Liste: Er darf nicht nur nicht gezeigt, sondern auch als private DVD nicht eingeführt werden. Im November erst verurteilte die Hisbollah in ihrem Fernsehsender, dass an libanesischen Schulen Das Tagebuch der Anne Frank gelesen werden sollte.

Dennoch waren und sind die Juden in dem Land mit seinen 18 offiziell anerkannten Konfessionen willkommen. Politiker – auch die der Hisbollah – überschlagen sich, die Restaurierung der Synagoge zu begrüßen. Der Libanon ist stolz auf seine Geschichte als Zufluchtsstätte für verfolgte Minderheiten. Hierher flohen Maroniten aus Syrien, Drusen aus Ägypten, Armenier aus der Türkei. Belege für kleine jüdische Siedlungen sind mehr als 1.000 Jahre alt. Die erste größere Gemeinde gründeten andalusische Juden, die vor der Inquisition geflohen waren. In den 40er-Jahren bot der Libanon europäischen Juden eine Zuflucht. Kurz darauf strömten tausende irakische und syrische Flüchtlinge nach Beirut.

ausgangssperre Eine Welle des Antisemitismus hatte in vielen arabischen Ländern schon vor der Gründung Israels Pogrome ausgelöst. Doch danach wurde die Verfolgung systematischer: In Syrien entließ man Juden aus dem öffentlichen Dienst, fror ihre Konten ein, in Damaskus galt eine Ausgangssperre für sie. Mehr als 30.000 Juden verließen Syrien, 120.000 flohen aus dem Irak. Die libanesische Gemeinde wuchs von 6.000 auf bis zu 24.000 Mitglieder.

Dabei hatte es auch hier antijüdische Demonstrationen gegeben und drei Bombenanschläge in Wadi Abu Jamil. Anders als in anderen arabischen Ländern verdammten jedoch Politiker wie Vertreter religiöser Gruppen geschlossen die Ausschreitungen. Während der arabisch-israelischen Kriege 1948, 1967 und 1973 stellte die libanesische Armee Wachposten rund um das jüdische Viertel auf. Die Diskriminierung staatlicherseits beschränkte sich darauf, 1948 die jüdischen aus der Liste der offiziellen Feiertage zu streichen, schreibt die in London lehrende Historikerin Kirsten Schulze.

Zudem hatten die libanesischen Juden einen mächtigen Verbündeten. Die Phalange – Partei der größten christlichen Gemeinschaft, der Maroniten – bildete junge jüdische Männer im Kampf aus und versorgte sie am Vorabend des Bürgerkriegs mit Waffen.

unversehrt Aber auch die Muslime versicherten den Juden Unversehrtheit. Als die PLO 1982 Wadi Abu Jamil einnahm, erklärte Palästinenserführer Jassir Arafat, dass er persönlich dafür einstehe, dass den verbliebenen Bewohnern kein Haar gekrümmt werde. Daran erinnert sich Lisa Srour noch gut. »Wir waren in dem Nonnenkloster untergekommen und Arafats Leute kamen und brachten uns Käse und Süßspeisen.«

Später nahmen die schiitischen Milizen Amal und Hisbollah das Viertel ein. Noch heute hängen an der Betonfassade von Srours Haus Plakate, auf denen die bärtigen Führer der Partei abgebildet sind, darunter eins von Hassan Kassir, dem ersten Selbstmordattentäter von Amal. Geängstigt hat sich Srour deshalb nie. »Ich bin mit vielen Amal-Frauen befreundet«, sagt sie. »Im Bürgerkrieg kamen sie jeden Freitag und brachten uns Taboulé«, einen Petersiliensalat.

Exodus Ein nennenswertes jüdisches Leben gab es damals schon nicht mehr in Beirut. Tausende verließen 1958 das Land – während des ersten libanesischen Bürgerkriegs im 20. Jahrhundert. Nur 5.000 Juden blieben, ihre Zahl halbierte sich bis 1969 nochmals. Und mit Beginn des Bürgerkriegs 1973 wanderte bis auf eine winzige Minderheit der Rest aus. Der letzte Rabbiner ging 1978. Heute leben nach Angaben der jüdischen Gemeinde noch 200 Juden im Libanon. Weitere 1.000 kommen regelmäßig zu Besuch, haben noch Wohnungen und Häuser, nach denen sie sehen.

Da scheint es gewagt, von einem Neuanfang jüdischen Lebens zu sprechen. Lisa Srour kann sich das jedenfalls nicht vorstellen. »Warum sollten hier wieder Juden herkommen?« Trotzdem freut sie sich über den Wiederaufbau der Synagoge. Sie war dort häufig mit ihrer Mutter und ihrem Großvater. »Aber jetzt ist es wohl für Touristen«, sagt sie.

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