Ungarn

Denkmal für den Reichsverweser

Auf dem Budapester Jókai-Platz, direkt am prachtvollen Andrássy-Boulevard, stehen junge uniformierte Männer und Frauen stramm. Aus den benachbarten Straßen kommen weitere, sie tragen Fahnen der rechtsextremen Jobbik-Partei und T-Shirts in den ungarischen Nationalfarben. Auf der Bühne brüllt ein Redner ins Mikrofon; es geht um die Wirtschaftskrise und um Sparmaßnahmen.

Daran seien die Banken und die »große internationale Finanz« schuld und »diejenigen, die dahinterstecken«. Während die ungarische Bevölkerung unter dem Joch der »ausländischen Herrscher« und der Gewalt »krimineller Zigeuner« litte, zeige die Fidesz-Regierung Schwäche. Der Redner brüllt weiter, doch keiner der Passanten fühlt sich gestört.

In Ungarn ist der Faschismus in die Mitte der Gesellschaft gerückt. Kundgebungen der Jobbik-Partei gehören inzwischen zum Alltag. »Viktor Orbáns rechtspopulistische Regierungspartei Fidesz verfügt über eine Zweidrittelmehrheit im Parlament und könnte versuchen, diese sehr gefährliche Entwicklung zu verhindern«, sagt der ungarische Politologe János Kis. »Doch das Gegenteil ist der Fall: Zwischen Fidesz und Jobbik gibt es keine klaren Grenzen mehr.«

Jobbik Tatsächlich zeigt eine Serie aktueller Ereignisse, dass Antisemitismus und eine rechtsextreme Grundeinstellung weiter Teile der Gesellschaft eine neue Dimension erreicht haben. So wurde im Mai bekannt, dass ein Jobbik-Abgeordneter von einem staatlich anerkannten Medizinlabor sein Genom untersuchen ließ. Das Ergebnis: »keine Spur von jüdischen oder Roma-Genen«. Als ein faschistisches Nachrichtenportal den Nachweis der »Rassenreinheit« im Internet veröffentlichte, brach ein Skandal aus, die Staatsanwaltschaft wurde eingeschaltet. Die Leitung des Labors rechtfertigte sich in einer Presseerklärung: »Aus ethischen Gründen haben wir den Untersuchungsauftrag nicht ablehnen können.«

Währenddessen vermehren sich die Initiativen für die öffentliche Ehrung des ungarischen »Reichsverwesers« und Hitler-Verbündeten Miklós Horthy. In den vergangenen Monaten wurden in einigen Städten Plätze nach ihm benannt, mehrere Fidesz-Bürgermeister lassen in ihren Gemeinden Horthy-Denkmäler errichten. »Wir verurteilen diesen neuen Horthy-Kult aufs Schärfste und erwarten von der Regierung, dass sie endlich etwas dagegen unternimmt«, sagt Péter Feldmájer, Vorsitzender von MAZSIHISZ, dem jüdischen Dachverband des Landes. Doch Ministerpräsident Orbán verteidigt die Errichtung von Horthy-Statuen: Es sei legitim, wenn dies den Willen der Mehrheit in den jeweiligen Gemeinden reflektiere.

»Ein Teufelskreis«, sagt Politologe Kis, »die Rechtsextremisten spüren, dass sie von Fidesz toleriert oder sogar ermutigt werden und gehen mit der Eskalation immer einen Schritt weiter. Aus Angst vor der Konkurrenz rückt dann der moderate Fidesz-Flügel immer weiter nach rechts.«

Skandal Einer der jüngsten Skandale bestätigt diese Einschätzung. Trotz der Proteste der rumänischen Behörden reiste Parlamentspräsident László Kövér kürzlich nach Siebenbürgen, um an der Umbettung des Dichters József Nyirö (1889-1953) teilzunehmen. Dieser hatte in den 40er-Jahren die Pfeilkreuzler unterstützt und in seinen Schriften antisemitische Thesen verbreitet.

Aus Protest gegen Kövérs Geste gab der Friedensnobelpreisträger und Schoa-Überlebende Elie Wiesel vergangene Woche den höchsten ungarischen Orden, das Große Kreuz, zurück. Auch in Israel reagierte man empört. Knessetpräsident Reuven Rivlin lud Kövér, der das Land im Juli besuchen wollte, wieder aus.

Kommentar

Der »Tages-Anzeiger« und das Geraune von der Lobby

Die Zeitung unterstellt, erst eine Intervention des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes habe zur Absage einer Veranstaltung mit Francesca Albanese durch die Uni Bern geführt. Dabei war die Intervention richtig

von Michael Thaidigsmann  15.09.2025

Argentinien

Raubkunst in der Immobilienanzeige

Die Tochter eines Naziverbrechers wollte ihre Villa verkaufen und führte Ermittler auf die Spur einer gestohlenen Kunstsammlung

von Andreas Knobloch  13.09.2025

München/Gent

Charlotte Knobloch spricht von »historischem Echo«

Nach der Ausladung des israelischen Dirigenten Lahav Shani von einem Musikfestival meldet sich Charlotte Knobloch mit deutlichen Worten

 11.09.2025

Italien

Jüdisches Touristen-Paar in Venedig attackiert

Die Täter schrien »Free Palestine«, bevor sie die Ehefrau mit einer Flasche attackierten und ihren Ehemann ohrfeigten

 11.09.2025

Georgien

Sicher und schön

Der Kaukasus-Staat pflegt Erbe und Zukunft der Juden. Und bietet atemberaubende Natur. Ein Besuch

von Michael Khachidze  11.09.2025

Belgien

Argerich, Maisky, Schiff empört über Gent-Festival

Bekannte jüdische und nichtjüdische Musiker haben eine Petition gestartet, um gegen die Ausladung der Münchner Philharmoniker und ihres Dirigenten Lahav Shani zu protestieren

 11.09.2025

Imanuels Interpreten (13)

Herb Alpert: Der Universalkünstler

Vom Trompeter zum Philantropen: Der Sohn jüdischer Einwanderer aus Kalifornien erreichte in den 90 Jahren seines bisherigen Lebens viel

von Imanuel Marcus  10.09.2025

Bundesamt für Statistik

Dieser hebräische Vorname ist am beliebtesten bei Schweizer Eltern

Auch in der Schweiz wählen Eltern weiterhin häufig biblische Namen für ihr Neugeborenes

von Nicole Dreyfus  10.09.2025 Aktualisiert

Südafrika

Unvergessliche Stimme

Die Schoa-Überlebende Ruth Weiss hat sich als Journalistin, Schriftstellerin und Kämpferin für Menschenrechte einen Namen gemacht. Sie wurde 101 Jahre alt. Ein Nachruf

von Katrin Richter  10.09.2025