Schweiz

Das Volk des Buches hört auf zu lesen

In einigen Gemeinden der Schweiz lagern Schätze. Es sind nicht Gemälde oder glitzernder Schmuck, sondern Bücher. Das »Volk des Buches« verfügt auch im Land der Eidgenossen über Tausende Titel, die sich mit dem Judentum und Israel befassen. Zu den Bibliotheksbeständen gehören auch wertvolle Judaika-Sammlungen sowie Werke, die zum Teil auch das Interesse der akademischen Welt wecken.

Genau hier haken derzeit einige Gemeindevertreter ein, weil sie nach Sparmöglichkeiten suchen. So gibt es in der Israelitischen Gemeinde Basel (IGB) schon seit einiger Zeit Überlegungen, die eigene Bücherei der Uni-Bibliothek zu schenken – um Kosten zu sparen. Doch die Diskussion darüber ist schon vor Längerem ins Stocken geraten – vielleicht auch, weil der Spardruck noch nicht groß genug ist.

In der Israelitischen Cultusgemeinde Zürich (ICZ) ist er das aber. Und genau deshalb wird dort seit einigen Wochen die Frage heiß diskutiert, ob die Gemeinde auf ihre Bibliothek verzichten soll.

Für die ICZ, die größte Gemeinde der Schweiz, hat sich die aufwändige Renovierung des Gemeindehauses als teurer erwiesen als vorgesehen. Deshalb sucht man nun in allen Bereichen nach Sparmöglichkeiten – und denkt inzwischen auch über die seit 1939 bestehende Bibliothek mit rund 50.000 Titeln nach.

Einsparpotenzial Zwar ist derzeit umstritten, wie groß das Einsparpotenzial tatsächlich wäre, doch die Diskussion ist im Gange. Die Gegner der Weiterführung einer eigenständigen Bibliothek argumentieren allerdings nicht nur mit der angespannten finanziellen Situation. Sie glauben nämlich, in der Zürcher Zentralbibliothek (ZB) einen geeigneten Partner für eine Übernahme der Büchersammlung gefunden zu haben. »Die ZB wäre eine sehr renommierte Adresse für unsere Bibliothek«, sagt beispielsweise Edgar Abraham vom ICZ-Vorstand.

Inzwischen ist er zurückgetreten, hat sein Mandat aber behalten und argumentiert weiter damit, dass eine Auslagerung der Bibliothek auch eine Befreiung von Sachzwängen wäre: »Die ZB hat beispielsweise längere Öffnungszeiten, unterliegt weniger strengen Sicherheitsauflagen als die ICZ – und wäre für die Benutzer beispielsweise selbst an jüdischen Feiertagen zugänglich.« Außerdem gibt Abraham zu bedenken: »Seien wir doch ehrlich: Wie viele unserer Mitglieder hatten überhaupt schon einmal ein Werk aus der wissenschaftlichen Abteilung in der Hand?«

Am 1. Juli können sich die ICZ-Mitglieder in einer Gemeindeversammlung über die Zukunft ihrer Bibliothek äußern – vorerst allerdings nur beratend. Inzwischen formiert sich Widerstand gegen eine Auslagerung – und es sind Schwergewichte der jüdischen Kulturszene des Landes, die hinter diesem Widerstand stehen.

Gegen-Verein Seit Anfang Mai versucht ein Verein, die Diskussion über die ICZ-Bibliothek in eine andere Richtung zu lenken: Er nennt sich Verein für jüdische Kultur und Wissenschaft (VJKW) und wird von dem bekannten Schriftsteller Charles Lewinsky geführt. Mit dabei sind unter anderem auch die beiden Professoren Alfred Bodenheimer und Andreas Kilcher.

Er habe zwar Verständnis für die Sparbemühungen der ICZ, sagt Lewinsky, aber: »Man gibt ja auch nicht sein Tafelsilber her, um die Kosten für das Silberputzzeug zu sparen.« Der Verein verweist dabei auch auf die Tatsache, dass die ICZ-Bibliothek seit 2009 ein »nationales Kulturgut« des Landes ist. Das bedeute zwar eine große Ehre, sei aber eben nicht mit Subventionen verbunden.

Dem Verein schwebt ein jüdisches Zentrum für Geistesgeschichte in Zürich vor; dessen Kern wäre die ICZ-Bibliothek. Dieses Zentrum, sagt Lewinsky, könnte inner- oder auch außerhalb der Cultusgemeinde angesiedelt sein. Das hänge davon ab, wie viel Geld der Verein in den nächsten Monaten sammeln werde. Lewinsky gibt sich optimistisch.

»Breslauer Bibliothek« Noch offen ist, was mit den 11.000 Bänden der »Breslauer Bibliothek« geschehen soll: Das sind Werke aus dem ehemaligen Breslauer Rabbinerseminar, die den Nazis in die Hände gefallen waren, als sie das Seminar vor dem Krieg auflösten. Sie wollten die Bibliothek in dem von ihnen geplanten »Museum einer ausgestorbenen Rasse« unterbringen. Daraus wurde glücklicherweise nichts. Nach dem Krieg fanden die Amerikaner die Bibliothek und übergaben sie aufgrund eines Ratsschlags der Philosophin Hannah Arendt dem Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund (SIG). Arendt glaubte, die vom Krieg verschonte Schweiz sei der ideale Ort für diese wertvolle Büchersammlung.

Der SIG teilte die Bibliothek zwischen den Gemeinden Genf, Zürich und Basel auf. Der Basler Teil wanderte vor einigen Jahren nach Zürich – und lagert nun in den Räumen der ICZ-Bibliothek. Nicht zuletzt auch deshalb verfolgen Vertreter des Gemeindebundes und viele andere aufmerksam, wie man in Zürich über die Zukunft der Bücherschätze entscheidet.

Meinung

Für Juden in Frankreich ist das Spiel aus

Präsident Emmanuel Macrons antiisraelische Politik macht ihn zum Verbündeten der Islamisten und deren linken Mitläufern. Für Juden wird das Leben währenddessen immer unerträglicher

von Haïm Musicant  20.08.2025

Österreich

Jüdische Familie aus Taxi geworfen

In Wien beschimpfte ein Uber-Fahrer seine jüdischen Gäste und attackierte dann den Familienvater

von Nicole Dreyfus  19.08.2025

Tschechien

Im Versteck der Zeit

Auf einem Hügel über Brünn liegt die Villa Wittal, fast unberührt seit der Deportation ihrer Bewohner 1942. Bald wird sie ein Ort für Gäste aus aller Welt – und das Herz eines Festivals, das Geschichte und Gegenwart verbindet

von Kilian Kirchgeßner  19.08.2025

Schweiz

Ein Mandat, das für Irritationen sorgt

Der World Jewish Congress fordert von der UBS mehrere Milliarden Dollar Entschädigung und holt dafür Urs Rohner, Ex-Verwaltungsratspräsident der früheren Credit Suisse, ins Boot

 19.08.2025

Österreich

Auge in Auge mit Antizionisten

Wie spricht man mit Menschen, die Israel hassen? Und was, wenn sie Juden sind? Ein Selbstversuch in Wien

von Gunda Trepp  18.08.2025

Berlin

Sam Altman: Ehrung von Axel Springer SE

Der amerikanische Jude gilt als Vordenker auf dem Feld der KI und als Architekt einer neuen technologischen Ära

 18.08.2025

Meinung

Soll die Schweiz Palästina anerkennen?

Eine Anerkennung von Palästina wäre für die Schweiz ein außenpolitischer Kurswechsel, von dem niemand profitiert

von Nicole Dreyfus  17.08.2025

USA

»Don’t dream it, be it!«

Auch die »Rocky Horror Picture Show« hat jüdische Seiten. Und dabei geht es nicht nur um Bagels. Mazal tov zum Fünfzigsten!

von Sophie Albers Ben Chamo  17.08.2025

Zürich

Die gute Seele der Gemeinde

Seit 13 Jahren sorgt der muslimische Hausmeister Michel Alassani dafür, dass im Gebäude der Israelitischen Cultusgemeinde alles rundläuft

von Nicole Dreyfus  14.08.2025