Niederlande

Damals in Pressburg

Patrick Bernhart als Kind mit seiner Mutter Foto: Verlag Pressburg. Verleger Patrick Bernart

Niederlande

Damals in Pressburg

Seine jüdische Familiengeschichte in der k. u. k. Monarchie inspirierte Patrick Bernhart dazu, einen Verlag zu gründen

von Pieter Lamberts  20.11.2023 17:27 Uhr

Patrick Bernhart war 15, als er erfuhr, dass er jüdisch ist. Seine Mutter hatte als junges Mädchen nach einer unbeschwerten Jugend in Ungarn mehrere Konzentrationslager überlebt. Während des Ungarn-Aufstands 1956 floh sie mit ihrem Mann in den Westen und fand in den Niederlanden eine neue Heimat. Bernharts Vater hatte als größerer Junge in verschiedenen Lagern Zwangsarbeit leisten müssen. Die Eltern hatten Schreckliches hinter sich, als ihr Sohn geboren wurde, in einem gänzlich ungarischen Haushalt in den Niederlanden.

»Bis zu meinem vierten Lebensjahr sprach ich nur Ungarisch«, sagt der heute 55-Jährige. »Ich liebe diese Sprache, die Küche und Budapest, obwohl ich mich 100-prozentig niederländisch fühle und voll und ganz niederländisch bin.«

Nun hat seine jüdische und mitteleuropäische Familiengeschichte ihn dazu inspiriert, einen Verlag zu gründen, in einem Alter, in dem andere vielleicht darüber nachdenken, in Frührente zu gehen. Der Name des Verlags: Pressburg. »Väterlicherseits stammt meine Familie mit Namen wie Grünfeld und Duschinsky aus der Gegend um Pressburg.« Er habe entdeckt, dass in Bratislava, der Hauptstadt der heutigen Slowakei, unter seinen Vorfahren Toraschreiber, Drucker und Autoren lebten. Aber kein Verleger. »Da dachte ich mir: Diese Lücke möchte ich ausfüllen. Auch weil ich meine Familiengeschichte und deren Einfluss auf mein Leben veröffentlichen wollte.« Natürlich hätte er dies auch über einen bestehenden Verlag tun können, doch es reizte ihn, selbst einen zu gründen. »Das fand ich spannend. Es ist ein schönes Abenteuer für mich.«

Das erste Buch, das Bernhart publiziert hat, ist das Eigenwerk Vlieg, mijn zwaluw (Flieg, meine Schwalbe). Ein habsburgisches, jüdisches, ungarisches, niederländisches Familiendrama, heißt es im Untertitel. Es sei richtungsweisend für die Bücher, die er veröffentlichen möchte. »Lebensgeschichten wie meine eigene. Ich möchte anderen dabei helfen, es auch zu tun.«

Der Verleger und Schriftsteller weiß wie kein anderer, wie sehr die eigene Familiengeschichte einem zusetzen kann. »Ich war immer ängstlich. Weil ich mich anderen gegenüber nicht zu öffnen traute, hatte ich nie eine Beziehung. Ich war voller Angst, Wut und Scham, die ich von meinen Eltern und Vorfahren übernommen hatte.«

Dass seine Mutter ihm erzählte, er sei jüdisch, ihm aber zugleich auferlegte, dies für sich zu behalten, machte es schwer für ihn. Doch fing er auch an, sich für jüdische Kultur zu interessieren. Über seine Recherchen für Vlieg, mijn zwaluw lernte er das habsburgische Judentum kennen. Und er entdeckte, dass es in seinem Stammbaum zwar etliche Rabbiner gibt, aber auch viele assimilierte Juden, die in Prag, Wien und Budapest ein sehr weltoffenes Leben führten.

»Durch Geschichten, in denen sich meine Vorfahren mutig gezeigt haben, sehe ich die Welt und mich selbst jetzt anders. Ich habe mich verändert«, sagt Patrick Bernhart. Er sei nun offen für Familiengeheimnisse und habe die Traumata und den Schmerz, die er von den Vorfahren seiner Eltern übernommen habe, verarbeitet. »Ich habe mein eigenes Ego zur Seite gelegt und versuche, anderen gegenüber empathisch zu sein.«

Bernharts Verlag konzentriert sich auf drei Themenbereiche: Warum und wozu leben wir eigentlich? Wie kann man sein Leben einrichten? Und Lebensgeschichten. Er möchte sich aber nicht darauf beschränken. Er plant, niederländische und übersetzte Bücher zu veröffentlichen, sowohl Belletristik als auch Sachbücher. Sein Anliegen sei es, möglichst viele Menschen zum Lesen zu bringen, gerade in einer Zeit, wo immer weniger gelesen wird.

In seinem Wunsch, an die Öffentlichkeit zu treten, habe er jedoch auf seine Mutter Rücksicht genommen, sagt Bernhart. »Erst seit ihrem Tod vor zwei Jahren erzähle ich auch Fremden, nicht nur meinen engsten Freunden, dass ich jüdische Wurzeln habe. Vlieg, mijn zwaluw ist also meine Art von Coming-out.«

Kommentar

Müssen immer erst Juden sterben?

Der Anschlag von Sydney sollte auch für Deutschland ein Weckruf sein. Wer weiter zulässt, dass auf Straßen und Plätzen zur globalen Intifada aufgerufen wird, sollte sich nicht wundern, wenn der Terror auch zu uns kommt

von Michael Thaidigsmann  14.12.2025

Meinung

Blut statt Licht

Das Abwarten, Abwiegeln, das Aber, mit dem die westlichen Gesellschaften auf den rasenden Antisemitismus reagieren, machen das nächste Massaker nur zu einer Frage der Zeit. Nun war es also wieder so weit

von Sophie Albers Ben Chamo  14.12.2025 Aktualisiert

Anschlag in Sydney

Felix Klein: »Von Terror und Hass nicht einschüchtern lassen«

Zwei Männer töten und verletzen in Sydney zahlreiche Teilnehmer einer Chanukka-Feier. Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung äußert sich zu der Tat

 14.12.2025

Terror in Sydney

Zivilist entwaffnet Angreifer und wird als »Held« gefeiert

Zwei Männer schießen auf Teilnehmer einer Chanukka-Feier in Sydney: Es gibt Tote und Verletzte. Ein Video soll nun den mutigen Einsatz eines Passanten zeigen

 14.12.2025

Australien

Merz: »Angriff auf unsere gemeinsamen Werte«

Bei einem Anschlag auf eine Chanukka-Feier in der australischen Metropole gab es viele Tote und Verletzte. Der Bundeskanzler und die Minister Wadephul und Prien äußern sich zu der Tat

 14.12.2025 Aktualisiert

Terror in Sydney

Zentralrat der Juden: »In Gedanken bei den Betroffenen«

Der Zentralrat der Juden und weitere jüdische Organisationen aus Deutschland äußern sich zu dem Anschlag auf eine Chanukka-Feier im australischen Sydney

 14.12.2025 Aktualisiert

Australien

16 Tote bei antisemitischem Massaker in Sydney

Australien ist im Schockzustand: Zwei Attentäter schossen am Sonntag auf Juden, die sich in Bondi Beach zu einer Chanukka-Feier versammelt hatten

von Michael Thaidigsmann  14.12.2025 Aktualisiert

Australien

Judenfeindlicher Terroranschlag in Sydney: Zwei Personen in Polizeigewahrsam

Die Polizei ruft nach dem Angriff in Sydney dazu auf, das Gebiet des Angriffs weiter zu meiden. Der Einsatz dauere an

 14.12.2025

Terror

Medienberichte: Terroranschlag in Australien bei Chanukka-Feier

Die Polizei warnt vor einem »sich entwickelnden Vorfall« am Bondi Beach. Ersten Berichten zufolge soll das Ziel ein Chanukka-Fest gewesen sein. Australische Medien berichten von mehreren Opfern

von Denise Sternberg  14.12.2025 Aktualisiert