USA

Die Challah-Schwestern

Als Marni, Sara, Hannah und Eliana Loffman im Mai vom Mord an dem unbewaffneten schwarzen Amerikaner George Floyd durch die Polizei in Seattle erfuhren, hatten sie das Gefühl, handeln zu müssen.

Das schockierende Video eines weißen Polizisten, der acht Minuten und 46 Sekunden auf dem Genick von Floyd kniet, ging um die Welt und löste Entrüstung aus. Wie so viele entsetzte Amerikaner saßen die Schwestern mit ihren Eltern in der Küche ihres Hauses in Teaneck, New Jersey, und fragten sich, was sie als weiße Juden zum Kampf gegen Rassismus beitragen könnten.

»Der Mord an George Floyd war für uns der Katalysator. Wir konnten nicht mehr stumm zusehen«, erinnert sich Hannah (22). »Aber natürlich war sein Name nur der letzte in der langen Liste von schwarzen Menschen, die wegen des ungerechten amerikanischen Systems ihr Leben verloren haben.«

Demo Floyd starb am 25. Mai. Am 6. Juni nahmen die Schwestern an einer Demonstration der Organisation »Black Lives Matter« in ihrem Heimatort teil. Und eine Woche später starteten sie ihre Initiative »Challah Back Girls«.

Unter diesem Namen backen und verkaufen die Loffman-Schwestern Challa, das traditionelle jüdische Zopfbrot, und spenden die Einnahmen an wohltätige Organisationen, die vor allem die Überwindung der Rassendiskriminierung in Amerika zum Ziel haben.

Inzwischen backen sie 200 Challot pro Woche – ein logistischer Kraftakt.

»Wir wollten die Pflege unserer jüdischen kulinarischen Tradition mit dem Streben nach einer gerechten und fairen Welt verbinden«, sagt Sara (27). »Außerdem muss ich immer an den Satz aus der Tora denken: ›Steh nicht wider deines Nächsten Blut‹«, ergänzt Hannah.

Schon im März, als die meisten US-Bundesstaaten der Pandemie mit Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen Herr zu werden versuchten, fingen die Schwestern an, das bewährte Challa-Rezept ihrer Mutter zu vervielfachen, um ein Lächeln auf die Gesichter erschöpfter Pflegekräfte und Ärzte in ihrer Stadt zu zaubern.

backmarathon Aus einer Küchenmaschine wurden schnell drei, der Doppelofen in der elterlichen koscheren Küche läuft auf Hochtouren und produziert 32 Brote auf einmal. So mancher Backmarathon dauert gut und gerne 18 Stunden. »Wir backen mehr als 200 Stück pro Woche«, sagt Sara. »Das Haus riecht wunderbar, aber logistisch ist es eine Herausforderung.«

Den traditionellen Brotzopf gibt es in vier Geschmacksrichtungen: Kaffeekrümel, Schokoladenchips, »Everything but the Bagel« und ganz ohne alles.

Hannah, der kreative Kopf in der Küche, die Sozialarbeit studiert, sagt, sie fühle sich durch das Challabacken mit der jahrtausendealten jüdischen Geschichte verbunden. »Wenn wir aus drei Strängen einen Laib Brot flechten, stellen wir eine Einheit her«, sagt sie.

Dieser rituelle Akt solle daran erinnern, dass Menschen miteinander verwoben sind – so unterschiedlich sie auch sein mögen. »Obwohl wir andere Erfahrungen oder andere Hautfarben haben, sind wir doch unausweichlich miteinander verbunden«, erklärt sie.

Tikkun OLAM Die Loffmans gehören der örtlichen konservativen Gemeinde Beth Shalom an. Werte wie das Einstehen für soziale Gerechtigkeit und Tikkun Olam (deutsch: das Reparieren der Welt) wurden den Schwestern von ihren Eltern und ihrem jüdischen Umfeld vorgelebt.

»Es war für uns immer schon normal, dass wir uns für Gerechtigkeit und Gleichberechtigung einsetzen«, sagt Sara. Sie ist stolz auf die warmherzige und weltoffene Einstellung ihrer Eltern. Vater Clark, der nach Ansicht seiner Töchter beste Mädchenvater an der Ostküste der Vereinigten Staaten, arbeitet in der IT-Branche. Die Mutter Caryn ist Sozialarbeiterin an einer medizinischen Hochschule.

Bevor Sara Anfang April in ihr Elternhaus zurückkehrte, um bei ihrer Familie auf das Ende der Pandemie zu warten, lebte sie in New York. Sie koordiniert den Social-Media-Auftritt für das jüdische Studentennetzwerk Prizmah. Marni (24), die dritte Loffman-Schwester, arbeitet, wenn sie nicht coronabedingt in Teaneck ist, mit obdachlosen Jugendlichen in Washington.

Seit Beginn der Spendenaktion haben die Schwestern mehr als 20.000 Dollar an gemeinnützige Organisationen verteilt.

Seit Beginn der Spendenaktion haben die Schwestern mehr als 20.000 Dollar an gemeinnützige Organisationen verteilt. Am Anfang wählten sie jede Woche eine neue aus, inzwischen wird jeden Monat eine andere Einrichtung bedacht.

»Auf diese Weise können wir eine intensivere Partnerschaft mit den Organisationen aufbauen«, sagt Hannah. Eine der Lieblingsstiftungen der Schwestern ist die B3 Foundation. Die von Zach Banner, einem Footballspieler der Pittsburgh Steelers, gegründete Initiative setzt sich für benachteiligte Schüler ein.

Football Den Pittsburgh Steelers fühlen sich die Schwestern von klein auf verbunden. Ihre Großeltern hatten Saisonkarten. Vor der Pandemie fuhren sie oft nach Pittsburgh zu den Spielen.

Als sie ein Video von Banner sahen, in dem er antisemitische Äußerungen eines Spielers der Philadelphia Eagles verurteilte, wandten sie sich an die Geschäftsführung der B3 Foundation und erzählten, was es für sie bedeutet, dass sich Zach gegen Antisemitismus ausgesprochen hat, und schickten ihrem Idol die erste Challa seines Lebens. Zach Banner bedankte sich mit einem Twitter-Video.

Seit nach dem Sommer für Eliana (16) die Schule wieder anfing und Chefbäckerin Hannah ihrem Studium online nachgeht, wird das Backen auf mehrere Tage in der Woche verteilt. Ein Ende der Challah Back Girls ist jedoch nicht in Sicht.

»Wir wollen weitermachen, solange es Bedarf gibt«, sagt Sara. Damit meint sie nicht nur den Hunger nach selbst gebackener Challa, sondern Organisationen, die der Öffentlichkeit vorgestellt werden müssten. »Die wird es immer geben, und wir wollen unseren Teil dazu beitragen.«

Mexiko

Präsidentschaftskandidatin von Bewaffneten aufgehalten

Steckt ein Drogenkartell hinter dem bedrohlichen Zwischenfall?

 22.04.2024

Meinung

Der Fall Samir

Antisemitische Verschwörungen, Holocaust-Relativierung, Täter-Opfer-Umkehr: Der Schweizer Regisseur möchte öffentlich über seine wirren Thesen diskutieren. Doch bei Menschenhass hört der Dialog auf

von Philipp Peyman Engel  22.04.2024

USA/Israel

Biden: Pessach-Fest ist besonders hart für Familien der Geiseln

Die abscheulichen Gräueltaten der Hamas dürften niemals vergessen werden, sagt der Präsident

 22.04.2024

Ukraine

Mazze trotz Krieg

Kyivs älteste Synagogen-Bäckerei produziert seit Jahrzehnten, und nun auch bei Raketenbeschuss

von Michael Gold  22.04.2024

Pessach

Der eigene Exodus

Wie erlangt der Mensch persönliche Freiheit? Wir haben sechs Jüdinnen und Juden gefragt

von Nicole Dreyfus  22.04.2024

London

Initiative gegen Antisemitismus: Polizeichef soll zurücktreten

Hintergrund ist ein Vorfall bei einer antiisraelischen Demonstration

 22.04.2024

Columbia University

Nach judenfeindlichen Demos: Rabbiner warnt eindringlich

Jüdische Studierende sind auf dem Campus nicht mehr sicher, sagt Elie Buechler

 22.04.2024

London

Polizeichef steht in der Kritik

Die »Initiative Campaign Against Antisemitism« fordert den Rücktritt von Sir Mark Rowley

 21.04.2024

Großbritannien

Der erste Jude in 1000 Jahren

Nick Rubins ist neuer Sheriff von Nottingham – und hat nur bedingt mit Robin Hood zu tun

von Sophie Albers Ben Chamo  20.04.2024