Frankreich

Brutalité – neu verhandelt

Am Ende mag es selbst manchem Prozessbeobachter schwer gefallen sein zu rekonstruieren, zu welchem Ziel das Gericht ursprünglich angerufen worden war: Vergangenen Freitag wurde nach knapp zwei Monaten Verhandlung das Urteil im Revisionsprozess um den Mord an dem 23-jährigen Juden Ilan Halimi gefällt. Sieben der 17 neu verhandelten Strafurteile wurden leicht verschärft, wonach vor allem die Bewacher Halimis nun länger ins Gefängnis müssen.

Halimi war Anfang 2006 von einer Gruppe Gleichaltriger durch einen perfiden Plan in ein Appartement in einer Pariser Vorstadt gelockt worden, wo er 24 Tage lang gefangen gehalten und schließlich ermordet wurde. Die Bande, die sich den Namen »Gang der Barbaren« gegeben hatte – allen voran ihr Anführer Youssouf Fofana – war überzeugt, dass für einen Juden, per antisemitischer Definition wohl begütert, ein stattliches Lösegeld herauszuschlagen sei.

Ein weiteres Beispiel völliger Realitätsverweigerung im Banne des Antisemitismus: Mit vielen seiner Peiniger teilte der Unglückliche nicht nur die maghrebinische Herkunft – seine Eltern stammen aus Marokko –, sondern auch die finanzielle Lage. Er hielt sich mit einem einfachen Job als Handy-Verkäufer über Wasser. Nachdem abzusehen war, dass die Familie des Opfers das Geld nicht würde aufbringen können, folterten die Entführer Halimi langsam und qualvoll zu Tode.

Beispiellos Dieses in der Nachkriegsgeschichte beispiellose antisemitische Verbrechen erlangte über die Landesgrenzen hinweg enormes Aufsehen, da es ein weiteres Mal zu bezeugen schien, welche Brutalität der Judenhass in jüngster Zeit in Frankreich angenommen hatte. Kaum verwunderlich also, dass Fofana im ersten Gerichtsverfahren im Frühjahr 2009 zur Höchststrafe verurteilt wurde. Allerdings gelang es einigen Mitgliedern der Bande während des Prozesses, den Hauptangeklagten als »Blitzableiter« einzusetzen und ihm die Rolle des antisemitischen Masterminds zuzuschieben, wie der Anwalt der Familie Halimi, Francis Szpiner, beklagte. Nachdem das Gericht teilweise dieser Interpretation gefolgt war, wurden vonseiten der Opferfamilie und jüdischer Organisationen schnell Rufe nach einem Revisionsverfahren laut.

Doch obwohl diesem Anliegen mit der neuerlichen Prozesseröffnung Ende Oktober nun schließlich entsprochen wurde, geriet die Frage der Mitverantwortlichkeit der vorgeblichen Zuarbeiter Fofanas durch den Weg zur Neuverhandlung und den Kampf um ihre Durchführung bald in den Hintergrund. Da die Familie Halimis den ersten Prozess nur als Nebenkläger begleitet hatte, konnte sie nach der Urteilsverkündung keinen Einspruch erheben. Francis Szpiner forderte daraufhin die frühere Justizministerin Michèle Alliot-Marie auf, die Staatsanwaltschaft als Hauptkläger anzuweisen, in Berufung zu gehen, ein Wunsch, dem diese ungewöhnlicherweise nachkam.

Von nun an nutzten die Verteidiger jede Gelegenheit, um das Berufungsverfahren als politischen Prozess zu skandalisieren und zogen alle Register der juristischen Vernebelungskunst, indem sie unter anderem forderten, die Justizministerin als Zeugin vorzuladen. Unter den Verteidigern befanden sich delikaterweise auch jüdische Anwälte, wodurch sie sich zum Teil heftigen Anfeindungen aus der jüdischen Gemeinschaft ausgesetzt sahen. Diese gipfelten darin, dass ihnen in Anlehnung an die jüdischen KZ-Aufseher das Wort »Kapo« an die Kanzlei gesprüht und Drohbriefe zugesandt wurden.
Aufklärung Doch auch Francis Szpiner verwandte viel Energie darauf, den Prozessrahmen zu kritisieren. So forderte er beharrlich die Öffnung des Gerichtssaals für die Öffentlichkeit, um einen pädagogischen Aufklärungseffekt über die Wirkungsweise des Antisemitismus zu erzielen. Da einige der Angeklagten zum Tatzeitpunkt noch minderjährig waren, musste der Prozess jedoch hinter verschlossenen Türen stattfinden. Szpiner argumentierte, das Schweigen der Nachbarschaft habe Halimi getötet, gerade deshalb müsse man den Prozess nun für alle sichtbar machen. Während Kritiker vor einem sprichwörtlichen »Schauprozess« warnten, schloss er sich sogar mit Politikern zusammen und versuchte, parallel zu dem Verfahren eine Änderung der Minderjährigkeitsklausel zu erwirken. Die Entscheidung des Gesetzgebers dazu steht jedoch noch aus.

Wer weiterhin das Gesetz des Schweigens praktizierte, war Youssouf Fofana, dessen Verfahren nicht neu aufgerollt wurde, der jedoch als Zeuge geladen war. Diese Bühne nutzte er wie auch schon bei seinem eigenen Prozess, um sich als Märtyrer darzustellen und verlautbarte bedeutungsschwanger, er werde seine Geheimnisse mit ins Grab nehmen.

Ob sich der ganze Aufwand der Revision gelohnt hat, darf bezweifelt werden. Ein Urteil über die während des Prozesses etwas untergegangene Ausgangsfrage, inwieweit es sich um die gemeinsame Mordtat eines antisemitischen Kollektivs gehandelt hatte, ließ sich anhand des Richterspruchs jedoch nicht abschließend fällen.

Australien

Faktencheck zum Terroranschlag in Sydney

Nach dem Blutbad am Bondi Beach ist noch vieles unklar. Solche Situationen nutzen Menschen in sozialen Netzwerken, um Verschwörungsmythen zu verbreiten

 15.12.2025

Faktencheck

Ahmed Al Ahmed hat einen Angreifer am Bondi Beach entwaffnet

Ein Passant verhindert Schlimmeres - und wird im Netz umbenannt. Angeblich soll Edward Crabtree einen der Täter von Sydney entwaffnet haben. Doch die Geschichte stammt von einer Fake-Seite

 15.12.2025

Sydney

Australiens Premierminister widerspricht Netanjahu

Nach dem Anschlag in Sydney betont Premierminister Albanese: Die Anerkennung Palästinas durch Australien steht nicht im Zusammenhang mit der Tat

 15.12.2025

Kommentar

Müssen immer erst Juden sterben?

Der Anschlag von Sydney sollte auch für Deutschland ein Weckruf sein. Wer weiter zulässt, dass auf Straßen und Plätzen zur globalen Intifada aufgerufen wird, sollte sich nicht wundern, wenn der Terror auch zu uns kommt

von Michael Thaidigsmann  14.12.2025

Meinung

Blut statt Licht

Das Abwarten, Abwiegeln, das Aber, mit dem die westlichen Gesellschaften auf den rasenden Antisemitismus reagieren, machen das nächste Massaker nur zu einer Frage der Zeit. Nun war es also wieder so weit

von Sophie Albers Ben Chamo  14.12.2025 Aktualisiert

Anschlag in Sydney

Felix Klein: »Von Terror und Hass nicht einschüchtern lassen«

Zwei Männer töten und verletzen in Sydney zahlreiche Teilnehmer einer Chanukka-Feier. Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung äußert sich zu der Tat

 14.12.2025

Terror in Sydney

Zivilist entwaffnet Angreifer und wird als »Held« gefeiert

Zwei Männer schießen auf Teilnehmer einer Chanukka-Feier in Sydney: Es gibt Tote und Verletzte. Ein Video soll nun den mutigen Einsatz eines Passanten zeigen

 14.12.2025

Australien

Merz: »Angriff auf unsere gemeinsamen Werte«

Bei einem Anschlag auf eine Chanukka-Feier in der australischen Metropole gab es viele Tote und Verletzte. Der Bundeskanzler und die Minister Wadephul und Prien äußern sich zu der Tat

 14.12.2025 Aktualisiert

Terror in Sydney

Zentralrat der Juden: »In Gedanken bei den Betroffenen«

Der Zentralrat der Juden und weitere jüdische Organisationen aus Deutschland äußern sich zu dem Anschlag auf eine Chanukka-Feier im australischen Sydney

 14.12.2025 Aktualisiert