England

Boris Johnson und die Juden

Der britische Ex-Premier Boris Johnson Foto: imago images/Sven Simon

»Auch wenn die Dinge jetzt manchmal dunkel erscheinen, ist unsere gemeinsame Zukunft golden«, verkündete Boris Johnson am vergangenen Donnerstag und läutete damit das Ende seiner Amtszeit als britischer Premierminister und Chef der Konservativen ein.

Es sei der beste Job der Welt gewesen, so Johnson, ohne mit einer Silbe die turbulenten Strapazen zu erwähnen, welche er den Bürgern Großbritanniens unter anderem mit dem Brexit-Referendum und seiner Pandemie-Politik zumutete. Was genau hier golden werden soll, wusste wahrscheinlich niemand so genau. Am wenigsten vermutlich die Jüdische Gemeinde Großbritanniens.

Verruf Doch der Anfang verhieß vorerst Gutes: Mit einem Sieg gegen Jeremy Corbyn dürfte Johnson den 300.000 Mitgliedern der Jüdischen Gemeinde im Jahr 2019 wohl den größten Gefallen getan haben. Als Kopf der damaligen Labour-Partei war dieser mit starkem Antisemitismus in Verruf geraten und dürfte die Judenfeindlichkeit in London erst richtig salonfähig gemacht haben.

Wie die Deutsche Welle berichtete, verzeichnete die Stadt bereits 2015 einen Anstieg von 153 Prozent antisemitischer Gewalt mit zusätzlichen 267 Angriffen auf jüdische Bürger verglichen mit dem Jahr 2011. Doch auch wenn die Tory-Partei damit weniger in Verbindung gebracht wurde als die Labour-Fraktion, sollte es Boris Johnson langfristig nicht gelingen, eine klare Haltung im Umgang mit dem aggressiv zunehmenden Antisemitismus in seinem Land einzunehmen.

So präsentierte er sich einerseits als ersten Premier mit jüdischen Wurzeln, vererbt von Großvater Elias Avery Lowe, drohte als langjähriger Brexit-Hardliner andererseits aber mit einem No-Deal-Szenario in den Verhandlungen mit der EU. Für Jüdinnen und Juden dürfte dies ein Dorn im Auge gewesen sein, denn mit einem fehlenden Deal drohte eine schrumpfende Wirtschaft und eine Rückkehr von Jeremy Corbyn umso mehr.

Es herrschte eine Stimmung, in der insbesondere die Minderheiten, egal ob sie Jahrzehnte zuvor immigriert oder in Großbritannien geboren waren, zunehmende Fremdenfeindschaft zu spüren bekamen. Die Urangst, als störende Minderheit stigmatisiert zu werden, kannten und kennen auch jüdische Briten und sie wurde von der Leave-Partei (der auch Boris Johnson angehörte) abermals neu entfacht. Die Polizei verzeichnete im Monat des Referendums einen Anstieg von 57 Prozent in Bezug auf Hassreden im Netz.

Johnson beschrieb sich einst als »great friend of Israel«.

Wirr muss neben Johnsons Frisur auch das Statement gewirkt haben, in dem er sich als passionierten Zionisten beschrieb und einen »great friend of Israel« nannte. Denn mutig ist jener Sprachgebrauch besonders in Großbritannien, wo er historisch an die blutigen Zusammenstöße der ehemaligen, britischen Mandatsmacht mit den jüdischen Kampfeinheiten Palästinas erinnert.

HILFERUFE Boris Johnson schien da drüber zu stehen. Gleichzeitig fanden die Hilferufe der jüdischen Gemeinde kein Gehör, als es darum ging, den al-Quds-Tag einer radikal-palästinensischen Bewegung von der Straße zu verbannen. Auf diesem Event waren in London jahrelang Vernichtungsappelle gegen Juden geäußert worden und sie verstummten erst, als der Muslim Sadiq Khan aus der Labour-Partei 2016 das Amt des Bürgermeisters bekleidete.

Johnson hatte dem als Stadtoberhaupt von 2008 bis 2016 wenig entgegengewirkt. Stattdessen diente der Zionisten-Aufkleber Johnson vielmehr beim Abwerben der Labour-Mitglieder (welche sich vom antisemitischen Corbyn distanzierten), als dass er der jüdischen Gemeinde in Fragen von Sicherheit, koscherer Essensbeschaffung, oder Handelsabkommen mit Israel zu Gute kam.

Orthodoxe Gemeinden in Israels waren bereits Ende 2016 auf den Barrikaden, als Johnson sich für die Resolution der Vereinten Nationen und deren Einspruch gegen Israelischen Siedlungsbau verantwortlich machte, wie der Guardian berichtete. Ähnlich schockiert reagierten Israelis ein Jahr zuvor über seine Unterstützung des Atom-Deals zwischen dem Iran und den p5+, von Israelis oft als größte Gefährdung überhaupt empfunden.

BDS Auch die groß angepriesene Bekämpfung der BDS (Boycott, Divestment, Sanctions)-Bewegung, verlief im Sande, von Johnsons Gegnern als Verletzung demokratischer Werte der pro-palästinensischen Aktivisten verzeichnet.

Seinen Hals zog Boris Johnson jedoch 2018 noch rechtzeitig aus der Schlinge, als er sich als damaliger Außenminister auf die Seite der Trump-Administration schlug, welche die UN einer verzerrten wie ungerecht schlechten Darstellung des jüdischen Staates bezichtigte.

»Er hat den Eindruck erweckt, dass ihm die Gemeinschaft am Herzen liegt, aber ich kann mich nicht an einen einzigen Bereich erinnern, in dem er tatsächlich etwas geleistet hat«, bemerkte Rabbi Herschel Gluck aus dem Norden Londons, als Johnson schließlich doch noch abdankte.

Für ihn sprachen seine (ausbleibende) Taten mehr als all die Worte. Oder er dachte einfach an die Menora, die einst von der Jüdischen Gemeinde feierlich an Johnson ausgehändigt wurde, sich mehrerer ihrer Teile aber kurz nach der Überreichung auf dem Boden wiederfanden, weil Johnson mit ihr herumfuchtelte. Er wollte sie stolz und symbolisch in die Höhe halten – ging am Ende aber daneben.

Australien

Brandanschlag auf Auto eines Rabbiners in Melbourne

Kurz nach dem Terroranschlag am Bondi Beach geht im Süden Australiens ein Fahrzeug mit »Happy Chanukah!«-Schriftzug in Flammen auf

 25.12.2025

Australien

Mann solidarisiert sich mit Sydney-Attentätern – Festnahme

Bei dem Verdächtigen wurden Einkaufslisten für den Bau einer Bombe und Munition gefunden. Es erging bereits Anklage

 24.12.2025

Meinung

Die Columbia und der Antisemitismus

Ein neuer Bericht offenbart: An der US-Eliteuniversität sind die Nahoststudien ideologisch einseitig und jüdische Studenten nicht sicher. Es ist ein Befund, der ratlos macht

von Sarah Thalia Pines  22.12.2025

Frankreich

Jüdische Kinder vergiftet, aber Antisemitismus spielt keine Rolle

Ein Kindermädchen, das ihre jüdischen Arbeitgeber vergiftet hatte, wurde nun in Nanterre verurteilt - allerdings spielte ihr Antisemitismus im Urteil keine Rolle. Das sorgt für Protest

 22.12.2025

Australien

Gedenken am Bondi Beach – Forderung nach Aufklärung

Kerzen, Schweigen, Applaus und Buh-Rufe: Am Strand in Sydney trauern Tausende um die Opfer des Anschlags. Was die jüdische Gemeinde und Australiens Politik jetzt fordern

 22.12.2025

Belgien

IS droht mit Anschlägen auf Synagogen und Kirchen

Die Hintergründe

 18.12.2025

Sydney

Jüdische Bäckerei schließt wegen Antisemitismus

Nach Jahren der Anfeindungen und dem schwersten antisemitischen Anschlag auf australischem Boden hat eine beliebte jüdische Bäckerei für immer geschlossen

 18.12.2025

Strassburg

Glühwein und Kippa

In der selbst ernannten »Weihnachtshauptstadt« lebt eine traditionsbewusste jüdische Gemeinde. Wie passt das zusammen? Eine Reise zu koscheren Plätzchen und Pralinen mit »Jahresendgeschmack«

von Mascha Malburg  23.12.2025 Aktualisiert

Meinung

Weitermachen oder die jüdische Resilienz

Verfolgung, Exil und Gewalt konnten es nicht brechen: Die Widerstandsfähigkeit des jüdischen Volkes prägt seine Geschichte bis heute

von Nicole Dreyfus  18.12.2025