Schweiz

Bern lässt sich Sicherheit etwas kosten

Der Ständerat möchte wissen, welche Gesetzesänderungen für einen besseren Schutz religiöser Gemeinschaften nötig wären. Foto: Parlamentsdienste 3003 Bern

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Bern lässt sich Sicherheit etwas kosten

Die Kleine Kammer des Parlaments plädiert dafür, jüdische Gemeinden besser vor Terror zu schützen

von Peter Bollag  13.03.2017 18:44 Uhr

»Falls Sie den Eindruck haben, Sie hätten mich kürzlich zum gleichen Thema schon einmal reden gehört, dann spielt Ihnen Ihr Gedächtnis keinen Streich.« Der Zürcher Abgeordnete der Sozialdemokratischen Partei (SP) und derzeit einzige jüdische Vertreter im Schweizer Parlament, Daniel Jositsch, wandte sich vergangene Woche mit Humor an seine Kollegen.

Der 51-Jährige hatte durchaus Anlass zu dieser Anspielung. Im Gegensatz zu seiner ersten Intervention im Ständerat Ende 2016 stieß er diesmal mit seinem Anliegen überraschenderweise auf offene Ohren: Jositsch fordert, religiöse Gemeinschaften besser vor möglichen Terroranschlägen zu schützen und sie dabei finanziell zu unterstützen.

Bundesrat Der Ständerat stimmte dem Anliegen zu. Allerdings verpflichtet er die Regierung, den Bundesrat, momentan noch nicht zu konkreten Maßnahmen. Doch die Regierung muss nun klären, wie viel die Sicherheitsmaßnahmen zur Verhinderung möglicher Terroranschläge kosten würden. Danach kann darüber diskutiert werden, wie sich diese Kosten gerechter aufteilen lassen.

Der Ständerat möchte außerdem wissen, welche Gesetzesänderungen für einen besseren Schutz religiöser Gemeinschaften nötig wären. Bisher hatte sich die Regierung hinter der Bestimmung versteckt, dass Sicherheitsmaßnahmen in der Schweiz vor allem Sache der Kantone sind.

»Machen wir diesem unwürdigen Schwarzer-Peter-Spiel, das die Verantwortung einfach zwischen Bund und Kantonen hin und her schieben will, doch einfach ein Ende«, fasste Jositsch im Parlament zusammen und konnte damit bei seinen vorher eher skeptischen Kollegen punkten. Die Kantone würden keine Kompetenzen abgeben müssen, doch sei eine Koordination vonseiten der Regierung unumgänglich, meinte Jositsch weiter.

SIG Vertreter des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes (SIG) hatten immer wieder kritisiert, der Schweizer Föderalismus dürfe nicht als Ausrede dafür herhalten, im Sicherheitsbereich nicht aktiv zu werden. Diese Ansicht teilten auch namhafte juristische Experten.

Punkten konnte Jositsch wohl auch noch mit dem Argument, im Moment stünden vor allem die jüdischen Gemeinden im Fokus der Sicherheitsdebatte im Land, doch das könne sich auch jederzeit ändern: »Denken Sie etwa an die Situation rund um die Türkei!«

Justizministerin Simonetta Sommaruga (SP) hatte nach dem ersten, gescheiterten Vorstoß im Kreuzfeuer jüdischer Kritik gestanden: Sie habe Jositsch› Forderung nicht nur abgelehnt, sondern auch keinerlei Empathie für die Nöte der jüdischen Gemeinden gezeigt, wurde ihr vorgeworfen.

Nun zeigte sie sich deutlich offener und erklärte, sie wolle das Anliegen prüfen. Sie ging sogar noch einen Schritt weiter und kündigte an, in der Bundesverwaltung solle eine Anlaufstelle für religiöse Gemeinschaften eingerichtet werden.

Nationalrat Als Nächstes ist nun der Nationalrat, die Große Kammer des Schweizer Parlaments, am Zug. Dort hat eine SP-Vertreterin praktisch den gleichlautenden Vorstoß eingereicht, mit dem Daniel Jositsch im Ständerat Erfolg hatte.

Großes Lob für die neuesten Entwicklungen in Bern kam am vergangenen Freitag aus den Vereinigten Staaten: Ronald S. Lauder, der Präsident des Jüdischen Weltkongresses (WJC), lobte die Schweiz. Sowohl die pro-israelische Entscheidung des Nationalrats gegen die BDS-Bewegung als auch der Beschluss des Ständerats zum Thema Sicherheit seien, so Lauder, »bewunderungswürdige, nachahmenswerte Schritte« des Landes und »bedeutende Zeichen der Verteidigung der jüdischen Gemeinden«.

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