Südamerika

Barmizwa an Bord

Schiff ahoi: Ob Purim, Pessach oder Rosch Haschana – mit den »Koshercruises« können jüdische Touristen koschere Ferien machen. Foto: Fotolia, (M) Marco Limberg

»Einen wunderschönen guten Morgen wünscht Ihnen Ihr Kapitän. Ich hoffe, Sie haben schön geschlafen und gut geruht! Wir haben in der Nacht 200 Seemeilen bei leichtem Seegang gutgemacht und befinden uns bereits zwei Grad und sieben Bogenminuten südlich vom Äquator ...«

Mit einem Dur-Akkord endet die Unterbrechung der Stille. Sachtes Heben und Senken. Die Kabinenwände knistern leise, und die Bügel in der Garderobe tänzeln auf der Stange. Jedesmal, wenn sie aneinanderstoßen, macht es »klick«. Die Zeit zerfließt wie der Ozean dort draußen hinter den salzverkrusteten Scheiben; die See, die graue, die blaue, die grüne, die raue und sanfte.

abgeschirmt Soll man sich das Frühstück auf die Kabine kommen lassen oder in Gesellschaft einnehmen? Der Speiseplan liegt sorgsam gefaltet neben dem Korb mit frischem Obst. Die Küche verspricht Kaschrut – garantiert koschere Speisen, permanent überwacht von zwei orthodoxen Rabbinern an Bord: Schon beim Einkauf der Speisen an Land wird über die strengen Regeln gewacht. Und in der Bordbar warten koschere Weine.

»Coshercruzeiros« oder »Koshercruises« – in Nordamerika und der Karibik gibt es solche Kreuzfahrten für das jüdische Publikum schon lange, in Südamerika (Argentinien und Brasilien) fing man damit 2008 an. Die Schiffe gehören zu den bekannten großen Reedereien – aber die Touren vor der Atlanikküste Südamerikas oder in der Karibik sind ganz auf die meist orthodoxen Kunden abgestimmt. Barmizwa, Purim oder Pessach an Bord oder Rosch Haschana: kein Problem. Geistliche Begleitung und die Synagoge sind an Bord. Aber sonst ist es genauso wie bei Nichtjuden – das Leben an Deck fernab von den Problemgebieten der Erde.

Abgeschirmt gegen den Wind durch solide gefasste daumendicke Gläser, aber doch zur Sonne und zum Pool hin ungehindert offen: das Promenadendeck. Man hat dort die Liegen an Back- und Steuerbord im gehörigen Abstand nebeneinander aufgereiht. Die gestärkten und doch pflaumenweichen schneeweißen Frotteetücher liegen bereit. Und wenn die Südpolarsonne einmal nicht scheint, gibt der Steward Cashmere-Plaids aus.

bordordnung In der Bordordnung kennen sich die Passagiere so gut aus wie in ihrem Aktiendepot, über das natürlich nicht bei Tisch gesprochen wird. Über Geld spricht man überhaupt nicht, man hat es ja; woher es stammt, tut nichts zur Sache. Umso ausführlicher werden die Einrichtungen an Bord, die auf anderen Schiffen, die Charakterzüge des Dienstpersonals, der Seegang, das Klima, die Gala von gestern, der Tagesablauf und das Essen kommentiert: Dinge, an die man sich halten kann. Das vertraute geregelte Leben an Bord eben. Nur ganz gelegentlich werden Vorgänge auf dem Land und Notizen aus der Zeitung gestreift, Dinge, die furchtbar weit weg auf dem Festland passieren, das zu betreten die Reiseleitung mittels gelegentlicher Landgänge anbietet.

Landgänge sind eigentlich nur störende, irritierende Unterbrechungen der Bordordnung, weshalb sie die erfahrenen Kreuzfahrtteilnehmer auch meistens unterlassen. Sie haben ja schon alles gesehen. Warum soll man sich den Zumutungen des Festlandes aussetzen, den Gaffern und Bettlern, den windigen Ortskräften und grinsenden Eingeborenen? »Ach, wissen Sie, ich habe Barenboim damals in Opera Colón in Buenos Aires gehört. Seitdem ist er wohl nicht mehr so gut«, kommentiert Frau Weber das globale Musikgeschehen. Und jedesmal, wenn ein Reiseziel – hier müssten wir eigentlich sagen: eine Reiseunterbrechung – zur Sprache kommt, weiß es eine oder einer aus der Runde besser: Rio erinnert an Kapstadt, dieser Ort an San Francisco, jener aber an Hongkong, wenn man einmal Sydney aus dem Spiel lässt.

appetit Nur die Anfänger begeben sich also die Gangway hinunter in die klimatisierten Busse, die sie zum Marktplatz, vor das Rathaus, in die Kathedrale und zum Stopp bei den Souvenirhändlern tragen. Die schauderhafte Hitze, die Kälte, der Wind. Nach drei Stunden kehren sie verschwitzt, ausgelaugt, verfroren und jedenfalls reuig ins Nest an Bord zurück. Auslaufen 11 Uhr, um 12 Uhr zu Tisch: die Latkes (frittierte Kartoffelpuffer) und die Pastramis zum Auftakt und hinterher den Lammbraten.

Überhaupt: die Mahlzeiten! Der außergewöhnliche Appetit, den die Gäste zeigen, treibt sie schon in Scharen vor die Türen des Speisesaals, bevor die Table d’Hôte eröffnet wird. Die Mahlzeiten sind das Maß aller Dinge im täglich wiederkehren Rhythmus an Bord, der sich auch durch das sorgsam komponierte kulturelle Beiprogramm des Kreuzfahrtdirektors nicht ändert.

Canasta-Tournee mit ansehnlichen Preisen, Pokerrunden, ein Wettbewerb im Erzählen jüdischer Witze, ein Schönheitswettbewerb der »Yiddishe Mame«, eine Rock’n’Roll-Party, Bingo und Shows iraelischer Tänzer und Sänger: Die Reise soll nicht langweilig werden. Die »spielend aus dem Felde zu schlagene Zeitgegnerschaft« wird auch an Bord gepflegt, sodass die Tage wieder leicht zu werden und zu huschen beginnen. Man werde »an diesem Lustort um das Leben betrogen«, grantelt der italienische Anarchist Ludovico Settembrini im Zauberberg von Thomas Mann , aber auch er kann sich nicht von der »Kurordnung« lösen, so wenig wie die Gäste an Bord. Wo sollten sie auch hingehen?

Der Vorfall ereignete sich vergangene Woche im AZ Zeno Campus-Krankenhaus in Knokke-Heist in Belgien.

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