Österreich

Auge in Auge mit Antizionisten

»Er schrie ›Babykiller!‹ und kam mir bedrohlich nahe« – was eine Jüdin auf dem Stephansplatz erleben musste. Foto: Gunda Trepp

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Auge in Auge mit Antizionisten

Wie spricht man mit Menschen, die Israel hassen? Und was, wenn sie Juden sind? Ein Selbstversuch in Wien

von Gunda Trepp  18.08.2025 17:51 Uhr

Am letzten Freitagabend im Juli kam ich aus der Synagoge in der Seitenstettengasse in Wien. Bester Stimmung. Die Sonne schickte ihre letzten Strahlen des Tages, es war noch warm. Nun war ich auf dem Weg zum Abendessen. Kurz vor dem Stephansdom sah ich die palästinensischen Fahnen. Und ging direkt auf sie zu. Journalistische Neugier legt man nie ab.

Die Kundgebung war langweilig wie immer. »Free, free Palestine«, schrie die Menge. Wobei »Menge« geschönt ist, es waren höchstens 50 Leute, angefeuert von einem jungen Mann mit Flagge, großem Bauch und Kufiya. »Yeah«, rief ich, »free Palestine from Hamas!« Woraufhin ein zweiter beleibter Mann im Streifen-T-Shirt auf mich zukam, um mir mitzuteilen, dass die Hamas Widerstandskämpfer seien. »Nope, letztes Mal, als ich nachgesehen habe, waren sie primitive Mörder«, erwiderte ich. Ich sei ein Monster, sagte er. Aha, nickte ich meinerseits. Dann schrie er: »Verschwinde hier!« Und ich antwortete: »Nee, gehen Sie doch.« Was er mit »Babykiller!« parierte. Und mir bedrohlich nahekam.

Ich wollte Erstaunen spielen, dann war mir das aber zu blöd

»So redet man doch nicht mit Leuten von der anderen Seite«, schritt ein danebenstehendes Ehepaar ein. Der Mann des Duos wandte sich mir mit einem »Wir reden jetzt mal wie zivilisierte Menschen miteinander«-Gesichtsausdruck zu. »Schauen Sie«, begann er, »das Ganze hat mit Israel angefangen. Die Israelis haben die Hamas ja erst erschaffen.« Ich wollte Erstaunen spielen, dann war mir das aber zu blöd. »Wollen Sie mich auf den Arm nehmen? Sie wissen genauso gut wie ich, dass die Hamas ein Ableger der Muslim Brotherhood ist.« Er solle mich stehen lassen, ich sei eben ein Monster, wiederholte sich der gestreifte Dickbauch.

»Nein, lass mich mit ihr sprechen«, sagte plötzlich ein junger, schmächtiger Mann, den ich noch nicht wahrgenommen hatte, kurze Haare und ebenfalls mit Kufiya um den Hals. »Hallo«, begann er. »Ja, hi«, erwiderte ich. Was kam nun noch? Ich wollte weiter. »Wissen Sie, was gerade passiert?«, fragte er. »Ziemlich gut«, antwortete ich. Was stimmt. Immerhin beschäftige ich mich seit Jahren auch beruflich mit dem Nahostkonflikt und muss auf der Höhe sein. Was heute heißt, alle Seiten dieses Krieges zu kennen oder ihre Positionen zumindest einschätzen zu können. Dazu sollte man alle Quellen nutzen, auch die, mit denen man absolut nicht übereinstimmt. Das war allerdings nicht so sein Ding.

Es stellte sich heraus, dass er genau zwei Argumente hatte, seinen Hass auf den jüdischen Staat zu begründen: Er war Jude. Und seine Großmutter war in Auschwitz. Das machte ihn aus seiner Sicht zum Experten. Er schäme sich, dass nun seine Leute die gleichen Verbrechen begingen. »Schauen Sie sich die Bilder aus Gaza an«, sagte er. Schon dazu hätte ich einiges sagen können, zum Beispiel, dass man mit Fotos aus Kriegsgebieten vorsichtig umgehen sollte.

Gerade war weltweit das Foto eines bis auf die Knochen abgemagerten Jungen als Beleg für die Hungersnot in Gaza veröffentlicht worden, ohne dass die Medien darauf hinwiesen, dass der Kleine unter einer genetischen Krankheit litt. Und der Grund für sein starkes Untergewicht auch darin lag, dass er auf besondere Medikamente angewiesen war, die er wahrscheinlich nicht mehr regelmäßig bekam. Hinter diesem Foto steckte eine komplexe Geschichte, die es allein nicht zeigte. Und die die Medien nicht erzählten. Stattdessen machten sie das Kleinkind zum Symbol für alle Kinder in Gaza, verbreiteten also eine Lüge.

Er ging sogar noch weiter

»Sie wollen nicht wirklich behaupten, dass sich Gaza und Auschwitz ähneln«, kam ich zurück auf seine Einleitung. Er ging sogar noch weiter. Für ihn war es dasselbe. Von Beginn an sei das Ziel der Zionisten gewesen, das gesamte Gebiet ethnisch zu säubern, sagte er. Wie er das behaupten könne? »Haben Sie jemals vom Plan D gehört?«, fragte er in einem Ton, der die militärische Entscheidung der vorstaatlichen jüdischen Widerstandsorganisation Hagana wie eine Verschwörung klingen ließ.

Bitte nicht, dachte ich. Er kann doch nicht ernsthaft im Vorbeigehen auf dem Stephansplatz etwas diskutieren wollen, womit sich Historiker jahrzehntelang auseinandergesetzt haben. Doch, wollte er. Zumindest begann er, die Ansichten israelfeindlicher Historiker darzustellen, die in den Anweisungen des späteren Premierministers David Ben Gurion in diesem Plan Dalet eine Anleitung und den ersten Schritt zu dem sahen, was sie wahlweise »Vertreibung des indigenen Volkes« oder »ethnische Säuberung« nannten.

Ich hatte jetzt einfach keine Lust mehr, erwähnte dann aber doch noch Benny Morris, der, wie andere Wissenschaftler auch, ausführlich begründet hatte, dass der Plan D – so genannt, weil er der vierte Plan in den Jahren seit 1945 war und der Buchstabe Dalet der vierte im hebräischen Alphabet ist – der Hagana die Möglichkeit gab, arabische Dörfer im Gebiet, das laut UN-Teilungsplan den Juden zustehen sollte, auch aktiv anzugreifen, wenn von ihnen eine konkrete Bedrohung ausging.

Wie diese Gefahr aussah, zeigte sich im März 1948, als die zahlenmäßig überlegenen Truppen der Arabischen Liga mithilfe umliegender Dorfgemeinschaften die Verbindung zwischen Tel Aviv und Jerusalem kappten und Einwohner des jüdischen Viertels Jerusalems unter Hungersnot litten. »Ach, Morris«, sagte er, »der denkt ohnehin, dass Töten auf der einen Seite gerechtfertigt ist, wenn die andere Seite tötet.« Ich wusste nicht, worauf er sich bezog, und fragte auch nicht mehr nach. Dachte aber, dass er genau so mit Menschen sprechen würde, die keine Ahnung haben, dafür aber viel Gefühl, die Fotos aus dem Gazastreifen sehen – und diese Bilder sind furchtbar – und froh sind, dass ein Jude einmal endlich sagt, was sie denken: Die Juden sind an allem schuld.

Ich sehe Juden wie meinen Gesprächspartner als potenzielle Gefahr für jüdisches Leben.

Natürlich gibt es gute Gründe, die Entscheidungen der Regierung Netanjahu zu kritisieren. Rechtsradikale Minister äußern sich in derart verantwortungsloser Weise, dass selbst die konservative »Jerusalem Post« ihnen Mithilfe dabei vorwirft, Israel zu einem Pariastaat zu machen. Und längst wollen die meisten Israelis nur eines: Ihre Geiseln nach Hause holen und den Krieg beenden. Doch meinem Gesprächspartner ging es nicht um Kritik an der israelischen Regierung. Für ihn war der jüdische Staat in Sünde geboren und hatte kein Recht, sich zu wehren und zu kämpfen.

»Das bringt doch nichts. Ich muss nun gehen«, sagte ich. Nun stellte sich ein älterer Mann neben den jüdischen Anti-Zionisten und legte ihm den Arm um die Schulter. »Fuck Israel«, sagte er und schaute mir direkt in die Augen. »Es gibt kein Israel. Die Kolonialisten sollen nach Europa zurückgehen.« Der junge Jude reagierte nicht.

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Ich lief weiter in die Josefstadt. Hätte ich andere Dinge sagen, mehr auf ihn eingehen sollen? Warum war ich ironisch geblieben, manchmal sarkastisch? Und warum hatte ich eine so tiefe Abneigung gefühlt? Am nächsten Abend würde Tischa beAw beginnen. Und damit die Trauer um den Verlust der beiden Tempel. Der zweite wurde von den Römern zerstört, weil die Juden einen »sinnlosen Hass« unter sich zuließen, sagen die Rabbinen des Talmuds. Ich will nicht hassen.

Auf der Seite der Feinde Israels

Doch ich sehe Juden wie meinen Gesprächspartner als potenzielle Gefahr für jüdisches Leben. Sie stellen sich auf die Seite der Feinde Israels, legitimieren die einseitige Sicht auf den Nahostkonflikt und oft genug einseitige Lösungen. Und die können, wenn sie politisch umgesetzt werden, fatal sein. Waffenembargos zum Beispiel. Oder die Anerkennung eines palästinensischen Staates, die derzeit wie eine Belohnung für die Massaker am 7. Oktober 2023 aussieht. Auf diesen »Verdienst« hat sich einer der Hamas-Bosse, Ghazi Hamad, übrigens gerade selbst berufen. Nicht zufällig haben Organisationen wie »Jewish Voice for Peace« teilweise dieselben Geldgeber wie Pro-Hamas-Studentengruppen.

Anders als früher finden jüdische Menschen mit Außenseiterpositionen heute ein riesiges Publikum. Allein das YouTube-Video des Gesprächs zwischen dem jüdischen US-Talkshow-Gastgeber Jon Stewart und dem Journalisten Peter Beinart über den vermeintlichen »Genozid in Gaza« wurde bereits von anderthalb Millionen Menschen gesehen. Dass Beinart ein Verfechter der Einstaatenlösung ist, mit der es keinen Jüdischen Staat mehr gäbe, kommt nur am Rand vor.

Und der Historiker Omer Bartov findet sowohl unter »Spiegel«-Lesern wie auch denen der »New York Times« überwältigende Zustimmung für seine Genozid-These. Wie sollen Mainstream-Jüdinnen und Juden, von denen die große Mehrheit den Zionismus unterstützt und die eine besondere Beziehung zu Israel fühlen, mit anti­zionistischen und israelfeindlichen Juden umgehen? Ich weiß es nicht. Doch Sarkasmus hilft nur vorübergehend.

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